Foto: Tor Books

It was high summer in Orange, in York, in the Human Domain of Earth. There was commerce in the town, crops in the field, beasts in the byre, bandits in the roads, thants and chimeras in the hills, and God in His Heaven – which was fifteen miles away, due east. Man möchte sich am Kamin in eine Decke kuscheln und einfach nur den Worten von Gardner Dozois lauschen, so stimmungsvoll beginnt "City under the Stars". Doch so märchenhaft dieser erste Eindruck auch sein mag – rasch werden wir feststellen, dass die Geschichte, die uns hier erzählt wird, alles andere als erbaulich ist.

Eine Geschichte von zwei Städten

Wir befinden uns in einer fernen Zukunft, irgendwo im Osten der ehemaligen USA. Die Menschen, die es noch gibt, führen ein entbehrungsreiches Leben in Armut, Krankheit und ewiger Plackerei. Und das sind nur die, die wenigstens überhaupt noch ein Leben haben. Wer in den Slums der Bergbaustadt Orange gelandet ist, kann tiefer nicht mehr sinken. Hier vegetiert man nur noch dahin und frisst Leichen, bis man selbst einer Seuche zum Opfer fällt. Von dieser Hölle sind die, die eine Arbeitsstelle haben, stets nur einen Schritt entfernt – und so schuften sie buchstäblich bis zum Umfallen.

Es ist ein Charles-Dickens-Szenario, gesteigert bis ins Extrem – doch etwas ist hier entscheidend anders. Zwar wird auch diese Gesellschaft zum größten Teil von Dampf- und Muskelkraft angetrieben. Doch läuft mittendrin immer noch das eine oder andere Relikt aus der Vergangenheit: die blitzblanken, unverwüstlichen Maschinen der Utopier, jener lange vergangenen Zivilisation, die einst in unvorstellbarem Überfluss schwelgte. Und im Osten ragt – "golden und herzlos" – eine unüberwindliche Mauer in den Himmel, hinter der die Stadt liegen soll, in der Gott und seine Engel wohnen. Und sich keinen Deut um die Belange der Sterblichen scheren.

Ein Ende und ein Anfang

Das erste der neun Kapitel, aus denen "City under the Stars" besteht, ist der Countdown eines Zusammenbruchs und an Intensität kaum zu überbieten. Hauptfigur Hanson schaufelt tagein, tagaus die Kohle, die ein autominer der Utopier aus der Erde holt, von einem Haufen auf den anderen. In mittleren Jahren, verwitwet und todkrank, steuert Hanson unaufhaltsam auf den Tiefpunkt zu. Das letzte, was ihm geblieben ist, ist der Stolz, seine Arbeit leisten zu können. Als ihm auch das noch von seinem Vorgesetzten genommen wird, ist es eine Demütigung zu viel. Seit Jahren hin und hergerissen zwischen Angst und Wut, gewinnt letztere nun die Überhand: Now it was as if his mind was a blinking light, first flashing red, then black. When it flashed black he would huddle freezing and paralyzed, immobilized by despair and futility, unable to move, unable to think. When it flashed red, he regained the ability to move, but only in one direction ... und diese Richtung wird Hanson zum Mörder machen.

Nach der Tat bleibt ihm nichts anderes übrig, als aus der Stadt zu fliehen. Und eine zufällige, aber folgenschwere Begegnung unterwegs wird ihn – davon ist jetzt vermutlich niemand überrascht – durch die Mauer in die angebliche Stadt Gottes bringen. Was Hanson dort vorfindet ... nun, es ist vielleicht nicht mehr sonderlich originell, Arthur C. Clarkes Satz "Jede hinreichend fortschrittliche Technologie ist von Magie nicht zu unterscheiden" zu zitieren. Aber genau das haben Gardner Dozois und sein Koautor Michael Swanwick hier nach Leibeskräften heraufzubeschwören versucht.

Hintergrund

Üblicherweise würde eine solche Erzählung vermutlich linear vom Elend des Ausgangspunktes zur kaum noch vorstellbaren Fülle an Möglichkeiten verlaufen, die sich am Zielpunkt eröffnet. "City under the Stars" allerdings pendelt mehrfach hin und zurück – und das ist in erster Linie seiner bewegten Entstehungsgeschichte geschuldet, die Swanwick im Nachwort erklärt.

Der 2018 verstorbene Gardner Dozois war eine legendäre Figur im Genre. Nicht wegen seiner eigenen Biografie, die hat es in fast 50 Jahren nur auf eine Handvoll Kurzgeschichten und ganze drei Romane gebracht. Mehr konnte Dozois nicht schreiben, weil er voll und ganz in seiner Aufgabe aus Herausgeber aufging. In dieser Funktion allerdings prägte er die US-amerikanische Science Fiction so sehr wie vor ihm nur John W. Campbell. Die von Dozois zusammengestellten Anthologien genossen den allerhöchsten Ruf, wurden wieder und wieder mit Preisen ausgezeichnet – und würden in ihrer Gesamtheit eine Bibliothek füllen.

Unzufrieden damit, dass er kaum zum Schreiben kam, gab Dozois eines Tages seinem langjährigen Freund und Weggefährten Michael Swanwick das Fragment einer alten Erzählung, die er seine "Digger Novel" nannte (wir erinnern uns: Hanson schaufelt Kohlen). Es dauerte Jahre, aber schließlich erwuchsen daraus immerhin eine Novelle und der Plan, auf diese zwei weitere Novellen folgen zu lassen – was den mäandernden Handlungsverlauf erklärt. Leider konnte Dozois aber nur noch den Anfang von Teil 2 schreiben, den Rest hat Swanwick beigesteuert. Und obwohl der seinerseits ein arrivierter Autor ist, muss man doch konstatieren: Die sprachlich eindrucksvollsten Kapitel sind die aus Dozois' Feder. Was es nur umso bedauerlicher macht, dass er den Autor in sich ganz dem Herausgeber untergeordnet hatte.

Macht Macht unweigerlich korrupt?

Während die aktuelle SF-Generation Macht vorzugsweise in Zusammenhang mit Geschlecht und Hautfarbe thematisiert, ging es Dozois um einen allgemeineren Ansatz. Er versetzt seinen Protagonisten in die Lage, aus tiefstem Elend in höchste Höhen aufzusteigen. Aber was wird Hanson mit seiner Allmacht tun, wenn er auf "Gottes Thron" Platz nimmt? Wird er nun seinerseits zu genau der Art Ausbeuter, unter der er sein ganzes Leben gelitten hat? Bringt man alle Bosse um, tritt der stille Typ, der immer neben dir gearbeitet und nie Probleme gemacht hat, nach vorne und füllt die Position. Und dann fressen wir zu seinen Füßen Staub – nichts wird sich jemals ändern, denkt Hanson einmal. Wird nun auch er in diese Falle tappen?

"City under the Stars" ist sicher kein perfekter Roman, das macht alleine schon seine disparate Entstehungsgeschichte unmöglich. Aber ein beeindruckender und sprachlich streckenweise wunderschöner. Im Nachwort bekennt Swanwick, was seine Hauptmotivation für die Fertigstellung des Buchs war: nämlich Gardner Dozois' trügerisch schmale Biografie wenigstens um einen vierten Roman zu erweitern. Das ist doch ein edles Ansinnen, das man mit einem Kauf belohnen sollte.