Die Festspiele in Bayreuth fanden – im Gegensatz zur fulminanten Salzburger Jubiläumsausgabe – der Pestilenz unserer Tage geschuldet heuer nicht statt. Insofern blieben die alljährlich wiederkehrenden Entrüstungsstürme über Richard Wagner aus. Denn der dort als Heros gehuldigte Komponist ist, und war, auch abseits der Vereinnahmung durch Adolf Hitler und das verbrecherische Nazi-Regime, seit jeher Anknüpfungspunkt leidenschaftlicher, oft heftiger Diskussionen.

Moshe Zuckermann, "Wagner: ein ewig deutsches Ärgernis". € 18,50 / 144 S., Westend-Verlag, 2020.
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Aufgrund einer, wie er sagt, fünf Jahrzehnte anhaltenden "ambivalenten Faszination" versuchte sich Philosoph Moshe Zuckermann an Richard Wagner (1813–1883) als "ein ewig deutsches Ärgernis". Wagner wurde im Lauf der Jahrzehnte unterschiedlich rezipiert: Es gab den genialen Komponisten, den virtuosen Schöpfer dramatischer, imposanter Musikdramen, und es gab die politische Person, den erbitterten Antisemiten. In seinem Essay zeichnet Zuckermann Wagner als das deutsche Ärgernis nach: seine Wandlung vom linken Revolutionär zum angepassten Königstreuen. Er untersucht geistesgeschichtliche Zuordnungen des Denkens und den latenten Antisemitismus in Wagners Opern. Die Frage lautet, welche Relevanz dieser Wandel für die heutige Rezeption seines künstlerischen Vermächtnisses hat. Moshe Zuckermann, Sohn polnisch-jüdischer Holocaust-Überlebender, studierte an der Universität Tel Aviv, lehrte am "Institute for the History and Philosophy of Science and Ideas" und leitete bis 2018 das Institut für deutsche Geschichte. Er konstatiert: "Es ist dieser ‚weltanschauliche Gehalt‘, der Wagner als ‚deutsches Ärgernis‘ erscheinen lässt." Als Ideologie hätte Bismarck gar Hitler unwahrscheinlich gemacht, so die These. Eine erfolgreiche Revolution 1848 hätte Deutschland vermutlich auf den demokratischen Pfad geführt und einem Heinrich Heine gehuldigt. Zuckermann beschreibt die gesellschaftspolitische Genese Wagners im Kontext von Heinrich Heine; als Antithese. Der Widerpart revolutionärer Ideologen, deren Glaube an die Notwendigkeit einer politisch-sozialen Umwälzung sich beim antisemitischen Wagner verfestigte, im Gegensatz zum Spektrum, das der jüdische Dichter und Philosoph Heine in seinen Wahrnehmungen, und seinem Werk, reflektierte. Offen bleibt, wie Gutes oder auch Böses Anziehung ausübt. Interessante Thesen. Verstörend das Sujet selbst. (Gregor Auenhammer, 10.12.2020)