Noch halten die K-Pop-Superstars BTS dem Druck stand und brechen die Rekorde im Akkord.

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Man muss sich die Ohren zuhalten, will man verhindern, dass Dynamite sich hineinwurmt. Schon sehr eingängig, die Nummer. Sie könnte von einem Bruno Mars stammen, der den Discopop der 1970er erfolgreich zu neuen Höhen und sagenhaften Charterfolgen upgecycelt hat.

Der Song stammt aber von BTS, der erfolgreichsten K-Pop-Band, ja, der erfolgreichsten Boyband der Gegenwart. Es ist ihr erster rein englischsprachiger Song, ein Tool, mit dem die sieben Boys taten, was sie am besten können: Rekorde brechen.

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Er bescherte ihnen ihre erste Nummer eins in den USA und machte sie zur ersten südkoreanischen Band, die diese Weihen empfing. Auf dem aktuellen, bereits neunten Studio-Album der 2013 erstmals in Erscheinung getretenen Gruppe, BE, das nur acht Nummern lang ist, befasst sich ein gesprochener Dialog zwischen den Bandmitgliedern nur damit, wie großartig das ist. "Don’t you think this is what happiness is like?", lauten die Schlussworte des Skits.

Sowohl auf Spotify als auch auf Youtube – das Video, das im August erschien, hat mittlerweile 675 Millionen Aufrufe – explodierten die Zahlen, sobald sich das Dynamit dort manifestierte. Als erste K-Pop-Band waren RM, Jin, Suga, J-Hope, Jimin, V und Jungkook für einen Grammy nominiert.

Boy- und Girlband-Revival

BTS sind ein Phänomen innerhalb eines Phänomens: Dass K-Pop, also Korean Pop, den es in seiner modernen Form seit den 1990ern gibt, die ganze Welt in Sturm erobern würde, gehört doch zu den größeren Überraschungen der jüngeren Musikgeschichte. Selbst als Gangnam Style von Psy 2012 mit großem Erfolg erschienen war, hielt man die Angelegenheit für eine Eintagsfliege, maximal ein witziges Meme. Damals dachte niemand ernsthaft, was aus K-Pop noch werden würde, schon gar nicht in Form der Boy- oder Girlband, die längst passé wirkten.

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Zwar gibt es nach wie vor amerikanische Girl- und Boygroups – die Pussycat Dolls starteten erst kürzlich ein Comeback –, doch hatten das choreografierte Herumgehopse, die aufeinander abgestimmte Kleidung, die kalkulierten "Persönlichkeiten", die die Bandmitglieder zu verkörpern hatten, irgendwie ausgedient. Dass in den letzten Jahren im amerikanischen Pop Individualistinnen wie Billie Eilish großen Zuspruch erhielten, verhärtete die These, dass gecasteter Einheitsbrei ein Ding der Vergangenheit sei – zumindest wenn er länger erfolgreich sein soll.

Nun lehrt uns Südkorea, dass wir uns ordentlich geschnitten haben. Dass das Verlangen nach perfekter Popinszenierung genauso groß ist wie damals, als Backstreet Boys, Spice Girls und Konsorten Kinder und Jugendliche zum Kreischen brachten.

Absurd, aber ziemlich 2020

BTS sind aber nicht nur aufgewärmtes Gulasch mit koreanischer Note, sie bedienen inhaltlich den Zeitgeist. Ihre Songs verhandeln nicht nur Schmusen mit der Liebsten, sondern auch Themen wie psychische Gesundheit oder soziale Ungerechtigkeit. Und natürlich verkörpern die sieben androgynen Mittzwanziger auch ein anderes Männerbild als, sagen wir, die Beatles. Ihre ARMY, so wird der unfassbar große Fanclub von BTS genannt, sind gleichzeitig Internet-Mob, der jeden niedermäht, der nur ein schlechtes Wort über die Band denkt, und Charity-Organisation, die sich für philanthropische Zwecke starkmacht. Genau das ist die widersprüchliche Welt um BTS. Da geht ein völlig unreflektierter Idolkult seitens der Fans mit "Wokeness", also dem erhöhten Bewusstsein für Privilegien und damit verbundene Ungerechtigkeiten, Hand in Hand. Absurd, aber ziemlich 2020.

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Dass BTS im Gegensatz zu vielen anderen K-Pop-Bands die meisten ihrer Hits selber schreiben, soll nicht darüber hinwegtäuschen, dass die sieben Herren eher weniger bei kreativen Entscheidungen mitzureden haben. Darum kümmert sich Bang Si-hyuk, der Chef von Big Hit Entertainment, der mittlerweile börsennotierten koreanische Plattenfirma und Agentur, die die Mitglieder von BTS nicht nur bei landesweiten Castings handverlesen, sondern auch den zu behopsenden Weg vorgegeben hat. Ursprünglich als Hip-Hop-Truppe geplant, wünschte sich Bang Si-hyuk für die Jugend dann doch lieber "a hero who can lend them a shoulder to lean on, even without speaking a single word". Sehr poetisch, ziemlich konkret und irgendwie schauderhaft.

Genau das liefern BTS relativ skandalfrei, während die K-Pop-Szene rund um sie in den letzten Jahren von einer Reihe von Suiziden erschüttert wurde.

Einstweilen vermarktet Südkorea fleißig seine Stars. Dem Land ist die "koreanische Welle" (der chinesische Begriff dafür lautet Hallyu) – also ein weltweit gestiegenes Interesse an koreanischer Kultur und speziell Popkultur – nicht verborgen geblieben. Kein Wunder. Der Song Dynamite allein generierte 1,4 Milliarden für den Fiskus. "Don’t you think this is what happiness is like?" (Amira Ben Saoud, 10.12.2020)