Fröhliche Weihnachten 2020: Der Christbaum wird mit Operationsmasken geschmückt.

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Es wird die entscheidende Frage in den kommenden zwei Wochen sein: Legen wir uns mit der – zu Wochenbeginn erfolgten – Lockerung der Corona-Maßnahme den dritten Lockdown quasi unter den Christbaum? Knallen zu Silvester noch die Korken – und dann folgt die virale Katerstimmung? Angesichts der harten Gangart in Deutschland stellen sich auch viele in Österreich die Frage, wie wir möglichst gut durch die Feiertage kommen.

Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) fühlt sich in seinem bisherigen Streben nach harten Maßnahmen jedenfalls durch ein aktuelles deutsches Papier bestätigt. Die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina in Deutschland – ein renommiertes Gremium – drängt auf massive Vorsicht und einen harten Lockdown rund um Weihnachten. Aus Sicht von Kurz ist diese Expertise "nicht nur für Deutschland von wesentlicher Bedeutung, sondern ist auch für Österreich hilfreich". Aber was heißt das nun konkret?

Kritik am Koalitionspartner

Ganz klar ist das vorerst nicht. Kurz sagt: "Diese eindeutigen und mutigen Aussagen der Wissenschaft sind hilfreich und unterstreichen die Notwendigkeit, dass die Politik konsequent handeln muss. Jeder, der uns damals für harte Maßnahmen kritisiert hat, sollte die Empfehlungen der deutschen Wissenschaft endlich zur Kenntnis nehmen und die richtigen Lehren daraus ziehen." In Österreich habe er schließlich "von manchen Experten und vor allem auch politischen Lagern" enormen Widerstand gegen den harten Lockdown und besonders die Schulschließungen erlebt.

Die Worte des Kanzlers richten sich somit auch zweifelsfrei an seinen grünen Regierungspartner. Denn insbesondere der Streit um eine generelle Schließung der Schulen ließ zuletzt koalitionsintern die Wogen hochgehen.

Der grüne Gesundheitsminister Rudolf Anschober stellte noch am selben Tag klar, dass man in Österreich vorerst nicht in die Richtung Deutschlands gehen wolle: "Unser Ziel ist, all das zu vermeiden." Die konkrete Verordnung mit den Regeln für Weihnachten werde spätestens Mitte nächster Woche vorliegen.

Deutsche Risikominimierung

Bei unseren deutschen Nachbarn will man das Risiko, dass bei den diversen Weihnachtsfeiern zwischen dem Engelshaar auch die Aerosole munter fliegen, jedenfalls nicht eingehen. Konkret fordert die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina: "Ab dem 24. Dezember 2020 bis mindestens zum 10. Jänner 2021 sollte das öffentliche Leben weitgehend ruhen und ein harter Lockdown gelten."

Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel wurde am Mittwoch bei ihrer Regierungserklärung im Bundestag richtig emotional. "Es tut mir im Herzen leid", erklärte die deutsche Kanzlerin mit Blick auf all jene Aktivitäten, die derzeit wegen Corona nicht möglich sind. Aber, so Merkel, wenn – wie zuletzt – an einem Tag 590 Menschen sterben, "ist das nicht akzeptabel". Ab 14. Dezember sollen nur Geschäfte des täglichen Bedarfs offen sein und Kontakte in der Bevölkerung auf das "absolute Mindestmaß" reduziert werden.

"Letzte Weihnachten"

Außerdem fordern die Experten, zu denen auch der Virologe Christian Drosten und der Ökonom Clemens Fuest gehören, die Aufhebung der Schulpflicht bis zum Beginn der Weihnachtsferien. Drosten will das Papier als vielleicht "deutliche und letzte Warnung der Wissenschaft" verstanden haben.

Merkel schloss sich den Forderungen an, für die Umsetzung sind aber die 16 Bundesländer zuständig: "Wenn wir jetzt vor Weihnachten zu viele Kontakte haben und es anschließend das letzte Weihnachten mit den Großeltern war, dann werden wir etwas versäumt haben. Das sollten wir nicht tun."

Vergleich Bayern – Österreich

Der an der Uni Wien lehrende und forschende Mikrobiologe Michael Wagner, der selbst Mitglied der Leopoldina ist, begrüßt die Stellungnahme der deutschen Wissenschaftsakademie ausdrücklich. Er vergleicht die aktuelle Situation in Österreich mit der Bayerns, das ungefähr so groß wie Österreich ist und aktuell ähnliche (wenn auch immer noch bessere) Infektionszahlen hat. "Während die Bayern aufgrund der Zahlen den Katastrophenfall ausrufen, wird hier gelockert."

Der angesehene Mikrobiologe, der auch dem STANDARD-Corona-Fachrat angehört, verweist darauf, dass die Infektionszahlen in Österreich "erst mit dem strengeren Lockdown wieder nach unten gingen, als Handel und Schulen geschlossen hatten". Entsprechend befürwortet Wagner angesichts der aktuellen Infektionszahlen auch in Österreich ähnliche Maßnahmen, wie sie von der Leopoldina vorgeschlagen wurden.

Dass die Weihnachtsfeiertage hinsichtlich des Infektionsgeschehens folgenreich werden könnten, illustriert Komplexitätsforscher Stefan Thurner (CSH Vienna, Med-Uni Wien) am aktuellen Beispiel von Thanksgiving (26. November) in den USA: "Da waren die Infektionszahlen eigentlich klar auf dem Weg nach unten, erreichen jetzt aber wegen der vielen Feiern mit Mitgliedern aus anderen Haushalten wieder Rekordwerte."

Ausnahmsweise ohne Singen

Thurner, der ebenfalls dem Corona-Fachrat des STANDARD angehört, ist zwar prinzipiell sehr skeptisch, wenn sich der Staat auch in private Weihnachtsfeiern einmischt. Aber in diesem Ausnahmejahr braucht es ausnahmsweise wohl noch einmal dringende Erinnerungen, Weihnachten nach Möglichkeit nur in der eigenen Familie zu feiern – wobei er dieses Mal vom gemeinsamen Singen abrät.

Besonders schlecht sei es, nach den Familienzusammenkünften dann auch noch in die Kirche zu gehen oder Verwandte im Altersheim zu besuchen. Entscheidend sei, die Anzahl der Kontakte möglichst gering zu halten. "Wenn das nicht gelingt, ist für den Jänner ein enormer Anstieg bei den Neuinfektionen zu befürchten – ähnlich wie gerade jetzt in den USA." (Birgit Baumann, Klaus Taschwer, Markus Rohrhofer, Katharina Mittelstaedt, 9.12.2020)