In der Coronavirus-Krise ist die Zahl von Abschiebungen um ein Drittel gesunken. Seit November jedoch finden verstärkt Frontex-Flüge statt, erst nach Georgien, Nigeria und Russland – nun offenbar auch nach Afghanistan.

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Wien – Für Flüchtlinge aus Afghanistan, die in Österreich um Schutz ersucht, aber kein Asyl erhalten haben und die daher von Amts wegen ausreisepflichtig sind, hat die Coronavirus-Krise bisher Aufschub geboten. Seit März 2020 fand keine Charterabschiebung aus oder über Österreich in das trotz sogenannter Friedensverhandlungen mit den Taliban von Anschlägen und desolater Wirtschaftslage geplagte Land statt. Lediglich zwei Einzelabschiebungen gab es in diesem Zeitraum.

Am 15. Dezember dürfte diese Schonzeit nun enden. In der Ablehnung von Schubhaftbeschwerden einer Reihe in Polizeigefangenenhäusern einsitzender Afghanen wird dieser Termin als konkreter Abschiebetag genannt.

Abschiebe-Scheintermine

Zwar, so Herbert Langthaler von der Asylkoordination, seien in derlei Bescheiden auch in den Monaten dazwischen immer wieder geplante und dann nicht eingehaltene Ausreisetermine genannt worden, um die Fortsetzung der Schubhaft zu begründen – die andernfalls widerrechtlich wäre. Doch nicht in dieser Dichte. Aus dem Innenministerium kam bis Redaktionsschluss auf eine Anfrage hin keine Reaktion.

Insgesamt hat sich die Zahl der Abschiebungen aus Österreich in den ersten elf Monaten 2020 im Vergleich zum Vorjahr mit 3.815 Fällen um 30 Prozent verringert. Grundsätzlich ausgesetzt hatte man solche Aktionen nie. Auch heuer betrafen die meisten unfreiwilligen Ausreisen EU-Bürger, die in ihre Heimatstaaten zurückgeschickt wurden. In Drittstaaten ging am 5. November ein Abschiebeflug nach Georgien, am 12. November einer nach Nigeria und am 3. Dezember einer nach Moskau.

Frontex-Flug zusammen mit Schweden

Zum offenbar bevorstehenden Flug nach Kabul sind weitere Details bekannt. Konkret wisse man bis dato von 59 Afghanen, denen der 15. Dezember als Abschiebetag angekündigt worden sei, sagt Langthalers Kollege Lukas Gahleitner-Gertz. Laut seinen Infos geht an dem Tag ein von Schweden und Österreich organisierter und von der EU-Grenzschutzagentur Frontex finanzierter Charterflug aus Stockholm und Wien in die afghanische Hauptstadt. De

nn anders als in den vergangenen Monaten hätten die afghanischen Behörden der Aufnahme der unfreiwilligen Rückkehrer diesmal offenbar zugestimmt.

Appell an afghanischen Minister

Im Namen der Asylkoordination appelliert Gahleitner-Gertz an den afghanischen Minister für Flüchtlinge und Wiedereinbürgerung, Noor Rahman Akhlaqi, die Aufnahme von aus der EU Abgeschobenen zu verweigern. Die Sicherheitslage in Afghanistan verschlechtere sich. Auch in der großteils von Angehörigen der schiitischen Minderheit der Hazara bewohnten Provinz Bamiyan, die bis dato von Anschlägen verschont geblieben sei, komme es nun zu Angriffen der Taliban oder des IS.

Doch nicht nur in der Schubhaft macht sich derzeit Angst vor einem Abtransport nach Kabul breit. Auch im oberösterreichischen Eberschwang herrscht bei Unterstützern des 26-jährigen M. H. (Name der Redaktion bekannt, Anm.) Nervosität.

Integriert, aber gefährdet

Der junge Afghane ist jederzeit abschiebbar. Sein Asylantrag wurde kürzlich in letzter Instanz abgelehnt, die dagegen eingelegte außerordentliche Berufung seiner Anwältin hat gegen einen Abtransport keine aufschiebende Wirkung: ein Umstand, der bereits in vielen vergleichbaren Fällen zu Abschiebungen geführt hat, die danach von Gerichten als widerrechtlich beurteilt wurden, ohne dass es verbriefte Wiedereinreisemöglichkeiten nach Österreich gibt.

"Wir fürchten, dass M. auf der Abschiebeliste für den 15. Dezember steht", sagt Heidi Rossak, eine Kleinkindpädagogin, die sich seit Jahren um das Fortkommen des jungen Mannes kümmert. Diesen schildert sie als voll integriert. Seit 2016 lebe M. H. in der Gemeinde, habe Pflichtschulabschluss und könne Deutschzeugnisse des Niveaus B1 sowie eine abgeschlossene Schweißerausbildung vorweisen.

Viele Empfehlungsschreiben

Auch die Liste von Empfehlungsschreiben ist lang, sie reicht vom örtlichen Turnverein zur Neuen Technischen Mittelschule in Ried im Innkreis.

Eine wirkliche Bleibechance, so Rossak, hätte ihr Schützling nur durch einen Antrag auf eine Rot-Weiß-Rot-Card. Dazu jedoch müsste er von Rechts wegen zuerst einmal aus Österreich ausreisen. (Irene Brickner, 10.12.2020)