Es war eine schöne Zeit. Die Bankenkrise 2008 war noch in weiter Ferne und Corona eine mexikanische Biermarke, die man bei einem schönen Sonnenuntergang vorzugsweise mit einer Limettenscheibe an den Ufern des noch schöneren Wörthersees in einer Runde noch viel schönerer junger Männer mit bronzefarbener Bräune genoss. Die Stimmung hatte etwas Testosterongeschwängertes. In Kärnten regierte der Archetyp eines Landeshauptmannes namens Jörg Haider, an den sich vielleicht immer noch viele, in Zeiten eines brav-biederen aber verlässlichen Nachfolgers Peter Kaiser von der SPÖ und eines geilen, aber bei weitem nicht so geilen und kognitiv-vielschichtigen Kanzlers mit neoliberal-klerikalem Background, in einem Moment leicht emotional-melancholischer Schwäche, gerne zurückerinnern. Welchen kreativen Wind hätte der liebe Jörg nur in die aktuell schwierige Corona-Zeit mit ihren vielen Lösungen gebracht? Wir werden es nie erfahren. Trotzdem ein Anlass zu einer heimatromantischen Retrospektive in eine längst vergangene Epoche.

Rolo

Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne

Im Gedicht “Stufen” von Hermann Hesse heißt es treffend “Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne”. So kann man auch den Weg und die Karriere des einstigen FPÖ-Chefs beschreiben. Angetreten war er mit einer jungen Truppe, der sogenannten “Buberlpartie“, die das herrschende politische Establishment verändern wollte. Mit der jugendlichen Leichtigkeit des Seins und wenig Respekt vor gewachsenen Autoritäten wurde die Politlandschaft in Österreich in Unruhe versetzt. Angelehnt an amerikanische Wahlkämpfe traten bei Veranstaltungen stramme Burschen umrahmt von martialischen 80er-Jahre-Hits in Erscheinung. Gerade den Kärntnern wurde durch den gebürtigen Oberösterreicher auf diese Art ein gewisses Selbstbewusstsein injiziert. “Wir gegen die in Wien“ war das Motto, welches sich auch in der Plakatserie “Sie sind gegen ihn, weil er für Euch ist“ manifestierte. Der einstige FPÖ-Chef war sich der Macht der Worte, lange bevor der NLP-Trend in Österreich aufkam, bewusst und wusste diese vortrefflich zu nutzen.

Erfolgsformel des dritten Lagers

Wenige wissen, dass die Erfolgsformel des einstigen FPÖ-Chefs neben Intelligenz und Charisma, die unglaubliche Ausdauer und der Fleiß des passionierten Bergsteigers und Läufers war. Der “Thunder on the Right“, wie die US-Zeitschrift „Newsweek“ einst titelte, musste sich seine Machtbasis in mühevoller Kleinarbeit und durch unzählige persönliche Kontakte aufbauen. Was bei polarisierenden Grenzgängern oft vergessen wird, ist der Mensch hinter der Politfassade. Haider, geliebt von seinen Anhängern und verteufelt von seinen politischen Gegnern, war kein Übermensch. Er hatte Phasen von Selbstzweifel und Unsicherheit und obwohl er selbst mit harten Bandagen kämpfte, gingen ihm viele Angriffe und eigene Fehler näher als die eloquente Fassade vermuten ließ.

Haider führte die FPÖ bis zur Regierungsbeteiligung.
Foto: APA/GERT EGGENBERGER

Soziale Intelligenz

Die interessanteste Facette seiner kognitiven Bandbreite war die für einen Politiker wichtige soziale Intelligenz. Sich in sein Gegenüber hineinzuversetzen und Empathie für dieses zu entwickeln, war seine größte Stärke. Im persönlichen Gespräch war er, im Gegensatz zu seinen öffentlichen Auftritten, ein eher introvertierter, sensibler Zuhörer als ein populistischer Polterer. In seinem letzten Lebensjahr 2008 hatte sich Haider für die Nationalratswahlen neu erfunden. Die Leichtigkeit der Anfangsjahre war der Schwere der politischen Verantwortung gewichen. Haider war sich seiner Handlungen und Taten bewusst und reflektierte mehr als manche Beobachter anzunehmen vermochten über seine individuelle Genese. Dies wurde auch im TV-Duell 2008 mit seinem einstigen politischen Verehrer, Heinz-Christian Strache, sichtbar. In diesem bekam er seinen Spiegel vorgesetzt. Seiner persönlichen Eigendynamik konnte auch der Wandelbare nicht entfliehen. (Daniel Witzeling, 15.12.2020)

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