Die Impfung gegen Covid-19 rückt näher. Während in Großbritannien bereits die ersten Menschen mit dem Impfstoff von Biontech und Pfizer geimpft wurden, muss hierzulande noch etwas gewartet werden. Am 29. Dezember soll der mRNA-Impfstoff von Pfizer/Biontech in Österreich zugelassen werden.

Florian Krammer ist im Laufe der Corona-Krise zu einem der weltweit führenden Experten zur Bekämpfung von Sars-CoV-2 avanciert. Der aus Österreich stammende Forscher ist Professor für Impfstoffforschung an der Icahn School of Medicine at Mount Sinai, einer privaten Hochschule in New York City, und hat in den letzten Monaten vielbeachtete Fachartikel über Impfungen gegen Corona veröffentlicht. Im Folgenden beantwortet er als Mitglied im Corona-Fachrat des STANDARD Fragen der User*innen zu den Themen Impfstoffproduktion, Nebenwirkungen und Langzeitfolgen.

Die Impfung ist in Reichweite.
Foto: AFP

Frage: Poster*innen im Forum fragen sich nach der Wahl des Impfstoffes für Österreich. Welcher wird zur Anwendung kommen?

Florian Krammer: Die ersten vor der Zulassung stehenden Impfstoffe sind von Pfizer und Moderna – beides mRNA-Impfstoffe. Es ist anzunehmen, dass diese beiden als Erstes in der EU und in Österreich zur Anwendung kommen. Andere Kandidaten, etwa Astra Zeneca, Novavax et cetera, sind etwas hintennach. Die Wahl hängt vor allem davon ab, welche Impfstoffe von der Europäischen Arzneimittelbehörde (EMA) zugelassen werden und mit welchen Firmen Verträge bestehen.

Frage: Wie lange hält der Impfstoff? Und wie fehleranfällig ist die schnelle Massenproduktion?

Krammer: Die Produktion von Arzneimitteln und vor allem von Impfstoffen ist eine der reguliertesten Industrien, die es gibt. Impfstoffe werden in Current Good Manufacturing Practice (cGMP) hergestellt. Die Herstellung wird strengstens überwacht, der Umfang an Dokumentation, der hier nötig ist, ist gewaltig. Fehler können passieren, aber gerade hier ist die Wahrscheinlichkeit für Fehler sehr gering. Die RNA-Impfstoffe sind bei der angegebenen Lagerungstemperatur für recht lange Zeit stabil: minus 60 bis Minus 80 Grad Celsius für Pfizer beziehungsweise Minus 20 Grad Celsius für Moderna. Pfizer gibt an, dass der Impfstoff für sechs Monate bei dieser Temperatur gelagert werden kann. Es kann aber durchaus sein, dass die Impfstoffe für weit längere Zeit lagerstabil sind. Für wie lange, wird sich noch zeigen, da Stabilitätsstudien natürlich in "Echtzeit" durchgeführt werden.

Frage: Viele Poster*innen können die Nebenwirkungen, wie im Artikel beschrieben, nicht gut einordnen. Wie schauen Nebenwirkungen – Wahrscheinlichkeit und Art – bei bereits etablierten Impfungen, zum Beispiel Grippe, Tetanus, Masern oder Zecken, im Vergleich aus?

Krammer: Nebenwirkungen wie erhöhte Temperatur, Müdigkeit, Schmerzen an der Einstichstelle, Muskelschmerzen und Kopfweh treten recht häufig auf, öfter als bei vielen anderen Impfstoffen, vor allem nach der zweiten Dosis. Sie sind aber schwächer bei älteren Personen. Was da passiert, ist, dass das Immunsystem auf den Impfstoff reagiert und Interferon ausgeschüttet wird. Interferon ist ein Botenstoff, der den Körper vor "Eindringlingen" warnt, die Immunantwort ankurbelt, aber eben auch diese Symptome verursacht. Das ist unangenehm, aber nicht gefährlich.

Frage: Im Forum tauchen ein paar Fragen zu RNA-Impfstoffen auf. Bisher wurde noch keiner zugelassen, und jetzt geht es recht schnell damit. Warum ist das so? Und konkret wird die Frage nach Autoimmunerkrankungen als Nebenwirkung bei RNA-Impfstoffen gestellt. Wann haben sich diese genau gezeigt?

Krammer: Die ersten RNA-Impfstoffe wurden 2013 an Menschen getestet, und wie das eben normalerweise so ist, mahlen die Mühlen hier langsam. Einige dieser Impfstoffe sind erfolgreich und werden weiterentwickelt. Moderna hat zum Beispiel gerade eine Phase-II-Studie mit einem Cytomegalievirus-Impfstoff gestartet. Im Tiermodell funktionieren diese Impfstoffe hervorragend. So weit ich weiß, waren Autoimmunerkrankungen kein Problem im Tiermodell, aber man muss das natürlich monitoren, vor allem bei Menschen, die zu Autoimmunreaktionen neigen.

Aber zur Frage von Autoimmunantworten im Generellen: Es besteht immer wieder die Sorge, dass es zu solchen kommt, mit dem Argument, dass das Antigen, also das Oberflächenprotein des Virus, ja von den eigenen Zellen dem Immunsystem präsentiert wird. Man muss aber bedenken, dass das bei jeder viralen Infektion auch der Fall ist. Sars-CoV-2 infiziert viele Zellen in den Atemwegen (und manchmal auch im Darm, im Herz, im Gehirn et cetera), die dann das gleiche Antigen – und noch viele andere – herstellen. Und auch dabei kommt es im Normalfall nicht zu Autoimmunreaktionen, obwohl die Stimulation des Immunsystems im Kontext der Infektion natürlich sehr stark ist. Ausschließen kann man seltene Autoimmunreaktionen natürlich nicht, auch bei zugelassenen und lang erprobten Impfstoffen nicht.

Frage: Wie schaut es mit den Nebenwirkungen bei den Risikogruppen aus? Ist es überhaupt sinnvoll, diese zuerst zu impfen? Und wie schaut es mit der Immunität bei der Impfung aus?

Krammer: Bei älteren Menschen kam es zu weniger Nebenwirkungen (Reaktogenität) als bei jungen Menschen. Bei älteren Leuten (65–85 Jahre) funktioniert der Impfstoff sehr gut. Wie gut die Impfung bei Personen mit Immunschwäche wirkt, ist momentan nicht klar, und dazu wird es weitere Studien geben. Von anderen Impfungen weiß man, dass Personen mit Immunschwäche oft weniger gut geschützt sind als gesunde Personen, aber oft trotzdem ein gewisser Schutz besteht. Da es sich bei den Sars-CoV-2-Impfungen nicht um Lebendimpfstoffe handelt, schätze ich das Risiko von Nebenwirkungen hier als gering ein. Ich würde auf jeden Fall empfehlen, mit dem behandelnden Arzt und den jeweiligen Vertretungen der Patientengruppen Rücksprache zu halten.

Frage: Bei welchen Allergikern kam es zu heftigen Impfreaktionen, und sollen diese daher nicht geimpft werden?

Krammer: Die einzigen Allergiker, die aus der Pfizer-Phase-III-Studie ausgenommen wurden, waren Personen, die mit starken allergischen Reaktionen auf Impfungen reagieren. Man kann also annehmen (basierend auf dem hohen Anteil von Allergikern in der Bevölkerung), dass viele Allergiker an der Studie teilnahmen, und es gab keine Problem. Mir persönlich ist eine schwere Wespen-/Bienenallergikerin bekannt, die teilnahm. Bei den zwei Personen, die in Großbritannien allergisch reagierten, handelte es sich meines Wissens um Personen, die schon in der Vergangenheit starke allergische Reaktionen hatten, mir ist aber nicht bekannt, auf was. Auf jeden Fall wird es von Pfizer dazu bald Daten geben.

Frage: Viele User*innen beschäftigt die Frage nach den Langzeitfolgen. Was kann man darüber sagen?

Krammer: Grundsätzlich ist es immer schwierig, selten auftretende Nebenwirkungen in Phase-III-Studien zu identifizieren. Wenn etwas selten auftritt, findet man es in Phase III meistens nicht, weil diese Studien bei 3.000 bis etwa 80.000 Leuten durchgeführt werden. Aber wenn etwas so selten ist, ist eben das Risiko für den Einzelnen verschwindend gering. Was man aber auch hervorstreichen muss: Im Prinzip alle schweren, seltenen Nebenwirkungen, die bisher bei Impfungen gefunden wurden (Virus wurde virulent wie bei Polio oder Gelbfieber, Narkolepsie bei H1N1, Intussuszeption bei Rotavirus, Guillain-Barre-Syndrom), treten Tage bis wenige Monate nach der Impfung auf und sind sehr, sehr selten. Normale Phase-III-Studien dauern übrigens normalerweise auch nicht besonders lange, etwa zwei bis drei Jahre. (Judith Wohlgemuth, 14.12.2020)