Stürmer Patson Daka schoss in vier Spielen kein Tor – ein echter Goalgetter fehlte Salzburg.

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Es hatte was von Déjà-vu. Vor einem Jahr musste Salzburg für den Aufstieg in das Champions-League-Achtelfinale das übermächtige Liverpool, damals ungeschlagener Tabellenführer der Premier League, schlagen – und kassierte eine 0:2-Niederlage. 364 Tage später mussten sie Atletico Madrid, ungeschlagener Tabellenführer der Primera Division, bezwingen – und wieder setzte es ein 0:2.

Damals war das Stadion voll, diesmal war es leer. Der Kern war gleich: Die Champions-League-Gruppenphase ist Salzburg eine Nummer zu groß. Der STANDARD analysiert, wo die Probleme lagen – und wo nicht.

WAS EIN PROBLEM WAR

  • Die Defensive

Das Offensichtlichste vorweg: 17 Gegentore in sechs Spielen sind untragbar viele. Nur ein Aufsteiger der Königsklasse (RB Leipzig) hat zweistellig kassiert. Salzburgs Defensivprobleme sind beunruhigend vielfältig: Mal fehlt die Abstimmung, mal werden fahrlässig Elfer verschenkt, mal landet ein haltbarer Ball im Netz – und am öftesten darf ein Gegenspieler unbedrängt einköpfeln.

  • Die Kadertiefe

In einer Saison mit fünf erlaubten Wechseln werden finanzielle Unterschiede noch deutlicher. Die reichen Teams profitierten massiv von ihren Wechselspielern, einige erschöpfte Salzburger dürften immer noch Albträume von Bayerns Joker Leroy Sané haben. Jesse Marsch konnte von der Bank nur selten nennenswerte Impulse setzen.

WAS VIELLEICHT EIN PROBLEM WAR

  • Das böse Los

Ja, die Champions League ist kein Kindergeburtstag – aber eine Gruppe mit den aktuellen Tabellenführern von zwei der besten Ligen der Welt muss man nicht zwingend erwischen. Angesichts einiger anderer Hammergruppen hätte es für eine wirklich machbare Aufgabe aber ordentliches Glück bei der Auslosung gebraucht. An PSG und Leipzig, Manchester City und Porto oder Liverpool und Atalanta müsste man auch erstmal vorbeikommen.

  • Die Spielanlage

"Wir haben unseren Fußball und unsere Mentalität richtig gut repräsentiert", sagte Marsch nach dem Ausscheiden. Salzburgs Spielanlage brachte auch nominell stärkere Gegner ins Schwitzen, insbesondere zu Beginn. Diego Simeone sagte über die ersten 30 Minuten: "Sie waren eindeutig besser." Zu oft fehlte aber die Kraft, dieses Spiel 90 Minuten durchzuziehen. Der Gesamtscore aus den ersten Halbzeiten lautet 5:6, der aus den zweiten Halbzeiten 5:11.

Mag sein, dass kein Kader der Welt die Salzburger Intensität eine ganze Partie lang durchziehen könnte. Aber diese Spielanlage ermöglicht Salzburg erst, mit Großen zumindest phasenweise auf Augenhöhe zu kommen. "Ein bisschen" Salzburger Risiko-Powerfußball wäre schwer durchführbar, zumal ein abwartender Kick bei den Defensivschwierigkeiten wenig erstrebenswert erscheint.

  • Der Goalgetter

No na, mit Erling Haaland wäre alles anders gewesen. Auf den ersten Blick vertrat Mergim Berisha den Norweger mit vier Toren anständig, das trügt aber: Berisha traf alle 118 Minuten, zahlreiche in der Torschützenliste hinter ihm Kicker brauchten deutlich weniger Einsatzzeit für ihre Goals. Zum Vergleich: Haaland traf alle 57 Minuten.

Man wird das Gefühl nicht los, dass mit einer echten Strafraumkobra mehr möglich gewesen wäre. Zu oft blieben Halbchancen eben diese, zu oft wurden Abschlüsse wegen eines Extrahakens verpasst. In der Bundesliga kann man sich den Ball auch im Strafraum oft noch auf den besseren Fuß legen – in der Königsklasse ist die Kugel weg.

WAS KEIN PROBLEM WAR

  • Die Abschlussschwäche

Dank der Expected-Goals-Statistik lässt sich einschätzen, wie viele Tore eine Mannschaft angesichts ihrer Chancen schießen sollte. Zum Beispiel: Landet ein Drittel der unbedrängten Rechtsschüsse aus zwölf Metern im Tor, sind solcherlei Abschlüsse 0,33 Expected Goals (kurz xG) wert. Salzburg? Sammelte insgesamt 9,7 xG und schoss zehn Tore. Man kann den Bullen maximal vorwerfen, dass sie in den falschen Spielen die Großchancen vergeigten, zahllose Gelegenheiten im Auswärtsspiel bei Bayern und Dominik Szoboszlais Fehlschuss im Entscheidungsspiel kommen da in den Sinn.

Das xG-Problem liegt eher beim Erfolg der Gegner: Laut einem Statistikanbieter (je nach Berechnungsart weichen die Zahlen leicht ab) fielen aus Chancen für 8,84 Goals unglaubliche 17 Gegentore, eine solche Differenz hat kein anderes Team auch nur annähernd. Da kann und muss man von Pech und überragender Qualität der Gegner sprechen.

  • Das Mittelfeld

Dass Dominik Szoboszlai bei aller Launenhaftigkeit der beste Kicker der Salzburger ist, steht außer Frage. Mohamed Camara war die Entdeckung der CL-Gruppenphase, immer wieder war der 20-jährige Abräumer mit Kreativgeist unter den stärksten Salzburgern – als ihm beim 2:6 gegen Bayern der Saft ausging, zerfiel die Mannschaft. Zlatko Junuzovic bewies Woche für Woche seine Verlässlichkeit, auch Enock Mwepu war ein Fixpunkt – wenn auch auf dem rechten Flügel phasenweise etwas unglücklich. (Martin Schauhuber, 10.12.2020)