Geplantes Opernhaus in Kemerowo in Russland von Coop Himmelb(l)au. Ein ähnlich großer Komplex soll nun auch auf der Krim entstehen.

Darf ein Architekt Gefängnisse bauen? Meilenlange Mauern zu Mexiko? Oder olympische Stadien für die chinesische Regierung, die es mit den Menschenrechten nicht so ernst nimmt und in Sachen Pressefreiheit den viertletzten Platz auf der weltweiten Rangliste belegt? Eine solche delikate Frage beschäftigt zurzeit die Medien und die Baubranche. Im Mittelpunkt der Betrachtungen steht ein Bauprojekt des Wiener Architekturbüros Coop Himmelb(l)au in Sewastopol auf der von Russland seit 2014 annektierten Halbinsel Krim, in Auftrag gegeben von der russischen Stiftung Nationales Kulturerbe.

Konkret geht es um ein Großprojekt, das von vielen Experten als kulturelles Aushängeschild für Wladimir Putin bezeichnet wird – und zwar um vier Opernhäuser in vier russischen Himmelsrichtungen. Coop Himmelb(l)au plant die rund 50.000 Quadratmeter großen Opernkomplexe in Kemerowo (Norden) und Sewastopol (Süden), nach Auskunft des Büros seien mit den anderen beiden Planungen die norwegischen Architekten Snøhetta (Kaliningrad im Westen) und das New Yorker Office Asymptote (Wladiwostok im Osten) beauftragt. Die beiden Büros wollen sich dazu nicht äußern.

Die ablehnenden Stimmen häufen sich

Planungen für autokratische und totalitäre politische Systeme werden in der Branche von jeher kritisch beäugt. Diesmal jedoch häufen sich die ablehnenden Stimmen, bis hin zu Gewaltandrohungen gegen den Architekten. Grund dafür sind die Uno-Resolution 68/262, laut der die Annexion der Krim nicht anerkannt und die Republik Krim nach wie vor als autonomer Teil der Ukraine erachtet werde, sowie die seit 2014 geltenden EU-Sanktionen, die sich unter anderem auf technische Bau- und Ingenieursdienstleitungen beziehen.

Wolf Prix, Gründer und Partner von Coop Himmelb(l)au, der in Sewastopol die gegenständliche Mehrsparten-Oper mit Ballettschule und Kunstakademie plant, steht angesichts der aktuellen Anfeindungen für ein Gespräch nicht zur Verfügung, äußerte sich jedoch bereits im Vorfeld dazu, indem er meinte, dass Bildungsbauten aus dieser Sanktionierung ausgeschlossen und Kulturbauten nicht dezidiert eingeschlossen seien.

"Nicht unbedingt geschickt"

Auch die EU-Verordnung 692/2014, Absatz 2c, wie sie etwa auf der Website der Wirtschaftskammer Österreich (WKO) zu finden ist, scheint lückenhaft und lässt Interpretationsspielraum zu. "Im Güterbereich sind die Schnittstellen sehr klar definiert", meint Rudolf Lukavsky, WKO-Außenwirtschaftsdelegierter in Moskau, auf Anfrage des STANDARD, "bei Dienstleistungen ist der Graubereich jedoch größer, sodass jede Sanktionseinschätzung auf Basis konkreter Fakten und Unterlagen getätigt werden muss."

Das sei nicht nötig, entgegnet Gerhard Mangott, Russland-Experte und Professor für internationale Beziehungen an der Universität Innsbruck: "Eine Stellungnahme zur Errichtung von Kulturbauten ist in den Sanktionsbeschlüssen nicht enthalten. Daher verstößt Coop Himmelb(l)au womöglich gegen den politischen Geist der EU-Sanktionen, aber nicht gegen deren rechtliche Bestimmungen. Nach meiner Einschätzung kann ein solcher Bau errichtet werden. Allerdings halte ich das Projekt nicht unbedingt für eine geschickte Handlung des Unternehmens." Nachdem man rechtlich nicht dagegen vorgehen könne, so Mangott, bediene man sich nun des Instruments "Public Shaming".

Partner Putin

Und das hat in der Zwischenzeit ordentliche Ausmaße erreicht. Architekt Prix bekommt nicht nur Drohungen, sondern wurde auch schon als "Völkermörder" und "Völkerrechtsverbrecher" bezeichnet. Und im Gespräch mit dem Online-Portal immo7 äußert sich Olexander Scherba, ukrainischer Botschafter in Österreich: "So geht das nicht. Die Welt soll erfahren, dass es in so einem Fall für Coop Himmelb(l)au nur einen Partner geben kann, und das ist Putin. Es wird daran gearbeitet, dass dies nicht ohne Folgen bleibt." Er werde alle ukrainischen Botschafter darauf aufmerksam machen, das Wiener Büro zu sanktionieren.

In der Ukraine selbst, meint Gabriele Haselsberger, WKO-Wirtschaftsdelegierte in Kiew, geht es etwas ruhiger zu: "Das Thema ist seit zehn Tagen in den wichtigsten Zeitungen. Seither wurde über das eingeleitete Verfahren berichtet und die klare Haltung kommuniziert, dass das Projekt den EU-Sanktionen widerspricht. Doch die Berichterstattung ist sachlich und so abstrahiert, dass es sich um eine private Firma handelt. Es gibt keine negative Berichterstattung gegen Österreich."

Die Stimme erheben

Grundsätzlich spreche nichts dagegen, als Architekt auch in problematischeren politischen Kontexten zu arbeiten, sagt Stephan Trüby, Professor für Architekturtheorie an der Universität Stuttgart und Autor des kürzlich erschienenen Buchs Rechte Räume. Doch man müsse sich dann auch zutrauen, die Stimme zu erheben: "Die Frage ist, ob man als weltweit bekannter Architekt seine kulturelle Macht nutzt, auch ein politisches Statement abzugeben. Idealerweise geht es darum, ein Sprachrohr für gesellschaftliche Emanzipation zu sein." Im vorliegenden Fall habe Coop Himmelb(l)au dies bisher verabsäumt.

Ist Architektur Kunst oder Dienstleistung? Kultureller Akt oder ideelle Symbolträgerin? Die Frage wurde schon oft diskutiert, nun müssen abermals Antworten gefunden werden. Geplanter Baubeginn ist im Frühjahr 2021. (Wojciech Czaja, 11.12.2020)