"Es ist schwierig", sagte Kommissionschefin Ursula von der Leyen nach einem dreistündigen Arbeitsessen mit dem britischen Premier Boris Johnson. In Sachen Handelsvertrag liegt man weit auseinander.

Foto: EPA / John Thys

In der Stunde der Not hilft es manchmal, sich an große Zeiten und bedeutende Persönlichkeiten wie Valéry Giscard d’Estaing zu erinnern, die das gemeinsame Europa geprägt haben. Angela Merkel schien das durch den Kopf zu gehen, nachdem der Ständige Ratspräsident Charles Michel am Donnerstag den EU-Gipfel eröffnet hatte.

Gleich zum Einstieg hielten die 27 Staats- und Regierungschefs, nach längerem wieder physisch in Brüssel, eine Gedenkminute für den vergangene Woche gestorbenen früheren französischen Staatspräsidenten ab. Die Kanzlerin aus Deutschland war im Stillen sichtlich bewegt von dem Moment.

Immer diese Briten

Denn für einen Moment war die Stimme Giscards zu hören. In einem kurzen Einspielerfilm erzählte er, wie er nach seiner Wahl 1974 zu Kanzler Helmut Schmidt sagte, man müsse doch mehr für Europa machen, regelmäßige Treffen auf höchster Ebene. "Helmut war sofort einverstanden", schilderte er die Situation, damals schwierig nach dem Ölschock, nur die Briten, die gerade der EWG beigetreten waren, hätten "leichte Einwände" gehabt.

Aber letztlich fand man sich, auf Einladung des Franzosen wurde der Europäische Rat zur fixen Einrichtung zur Lösung konkreter politischer Probleme, nicht für zeremonielle Geplänkel. "Es lebe der Europäische Rat!", rief Giscard im Film aus. Dann wurde er ausgeblendet.

45 Jahre später sind Brüsseler Gipfel Routine, die zur engen Union zusammengeschlossenen Staaten streiten heftig. Und die Briten machen noch immer Zores – aber nach einer entscheidenden Veränderung. Am 1. Februar ist das wirtschaftlich, außen- und sicherheitspolitisch bedeutende Land aus der EU ausgetreten.

Kein Ergebnis bei Abendessen

Seit Monaten verhandelt man über eine Nachfolgelösung in Form eines Freihandelsvertrags, um die ohnehin schweren wirtschaftlichen Folgen des Brexits zu mildern. Wie sich nach einem Arbeitsessen von Premierminister Boris Johnson mit Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen Mittwochnacht zeigte, will das nicht gelingen.

"Es ist schwierig", resümierte die Kommissionschefin "ein langes, gutes Gespräch", nach dem beide Seiten dennoch gravierende Auffassungsunterschiede bestätigten. Es spießt sich vor allem an der Frage, wie "faire Wettbewerbsbedingungen" garantiert werden können, sollten die Briten im Binnenmarkt bleiben. Johnson will möglichst wenige Verbindlichkeiten.

Chefverhandler machen weiter

Auch bei Fragen der Fischfangrechte und eines nötigen Streitbeilegungsmechanismus mit dem Neodrittland Großbritannien spießt es sich. Die beiden vereinbarten eine letzte Frist bis Sonntag, innerhalb derer es eine definitive Entscheidung geben soll, ob man abbricht oder einen Deal macht.

Die Chefverhandler machen also weiter. Weil es damit auf eine finale Entscheidung hinausläuft, hat die Kommissionspräsidentin den EU-Gipfel darüber informiert, dass die Behörde nun ihre "Notfallpläne" für den Fall ausrollt, dass es am 1. Jänner keinen Deal, aber an den Grenzen wahrscheinlich chaotische Szenen gibt. Ob das nur Taktik ist, um den Druck zu erhöhen, ist unklar. Theoretisch können die EU und Großbritannien auch nach dem 1. Jänner weiterverhandeln, wenn beide Seiten das wollten.

Mit dieser Zuspitzung hatte es Johnson doch noch geschafft, Thema beim Gipfel zu werden, was Ratspräsident Michel eigentlich verhindern wollte.

EU-Budgeteinigung

Eine "gute Chance" auf Einigung gab es hingegen nach den Worten von Bundeskanzler Sebastian Kurz vom Start weg beim zweiten großen Streitthema, beim EU-Budgetrahmen plus Wiederaufbaufonds im Volumen von 1800 Milliarden Euro bis 2027. Ungarn und Polen, die wegen eines neuen Mechanismus, wonach EU-Subventionen für Länder gestrichen werden können, die gegen die Rechtsstaatlichkeit verstoßen, mit Veto gedroht hatten, lenkten ein. In einer "Erklärung" zu den Schlussfolgerungen des Gipfels wird jedoch klargestellt, dass es diese Sanktion nur geben kann, wenn EU-Mittel korrupt missbraucht werden bzw. EU-Recht gebrochen wird.

Neuigkeiten gab es in Brüssel auch in Sachen Terrorbekämpfung. Onlinedienste wie etwa Facebook oder Youtube müssen künftig binnen einer Stunde Terrorpropaganda löschen, wenn sie von einem EU-Staat dazu aufgefordert werden. Darauf einigten sich am Donnerstag Unterhändler von Europaparlament und EU-Staaten. (Thomas Mayer aus Brüssel, 10.12.2020)