Mehr Rechte für russische Polizeibeamte.

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In Uniform stehen dir alle Türen offen. Die Aussage stimmt mehr denn je für Russland. Die russische Staatsduma will den Beamten nämlich nun eine Reihe neuer Kompetenzen einräumen. Unter anderem dürfen die Polizisten dann ohne Gerichtsbeschluss in Wohnungen eindringen und Autos aufbrechen.

Die Abgeordneten haben das Gesetz diese Woche in erster Lesung verabschiedet. Obwohl es auf der Webseite des Parlaments mit der klingenden Intention, es diene der "Stärkung des Schutzes der Rechte und gesetzlichen Interessen der Bürger, der Vervollkommnung der praktischen Tätigkeit der Polizeibeamten und der Verhinderung, Unterbindung und Aufdeckung von Verbrechen und anderen Delikten" vorgestellt wurde, gab es einige Gegenstimmen aus den Reihen der Kommunisten und der Partei Gerechtes Russland.

Leibesvisitationen und Dursuchungen

294 Abgeordnete, zumeist aus der Regierungspartei "Einiges Russland", stimmten dafür, 44 dagegen. Komplett enthalten hat sich die nationalistische LDPR um den Populistenführer Wladimir Schirinowski. Das Gesetz erlaubt Polizisten unter anderem, Gebiete abzusperren und Bürger zu durchsuchen. Bislang brauchten sie bestimmte Informationen über mögliche Verstöße für eine Leibesvisitation, jetzt formuliert es das Gesetz in abgeschwächter Form: "wenn es Grund zur Annahme gibt".

Auch Fahrzeuge dürfen nun nicht nur bei Verdacht auf Waffen- und Drogenbesitz durchsucht werden, sondern auch wenn der Polizist glaubt, dass darin Diebesgut versteckt wird. Aufgebrochen werden kann ein Auto zudem, wenn Menschenleben in Gefahr sind oder sich Verdächtige darin verstecken.

Neuerungen bei Schusswaffengebrauch

Verantworten müssen sich Polizisten nun auch nicht mehr für eventuelle Schäden, die am Fahrzeug entstehen. Das Gleiche gilt für das Aufbrechen von Wohnungen und anderen Immobilien, in denen die Polizei Verdächtige vermutet. Größere Diskussionen in der Öffentlichkeit riefen zudem die Neuerungen beim Schusswaffengebrauch hervor: Derzeit dürfen die Beamten nur schießen, wenn der Festgenommene ihnen trotz Warnung zu nahe kommt oder gar nach der Waffe greift.

Nun dürfen sie bei der Festnahme auch feuern, wenn ihr Visavis "andere Handlungen begeht, die Grund geben, diese als Angriff auf den Polizeibeamten zu werten". Diese ziemlich verschwommene Formulierung lässt einen breiten Ermessungsspielraum für die Polizisten selbst, den der Bürgerrechtler Boris Wischnjowski zusammen mit der neuen Straffreiheit der Polizei bei ihren Aktionen scharf kritisiert: Für nichts müsse ein Polizist nun noch Verantwortung übernehmen. "Nicht für das Zusammenschlagen eines wehrlosen Bürgers, nicht dafür, wenn er scharf schießt, nur weil er meint, dass die Gefahr eines Angriffs besteht", klagte er.

Besorgt äußern sich auch Rechtsvertreter: Die Leiterin der Moskauer Anwaltskollegiums Wiktoria Daniltschenko befürchtete einen Missbrauch der neuen Rechte durch die Polizei. "Konkret kann die Möglichkeit, nun ohne Gerichtsbeschluss praktisch in jedes Eigentum der Bürger einzudringen, zum Ziel offener Korruption genutzt werden", kommentierte sie.

Demonstrationsrecht weiter eingeschränkt

Während Bürger in Uniform nun mehr Rechte bekommen, werden jene der Bürger ohne Uniform eingeschränkt – zumindest, wenn sie protestierten wollen: So hat die Duma ebenfalls in erster Lesung Demonstrationen vor Gebäuden des Innenministeriums oder Geheimdienstes generell verboten. Nachdem Kundgebungen inzwischen generell genehmigungspflichtig sind, geht die Duma nun auch gegen so genannte Einzelproteste vor, d.h. gegen Bürger, die allein mit einem Plakat Mahnwachen abhalten. Diese konnten – bei Einhaltung eines Mindestabstands zu anderen Protestierenden (in Moskau 50 Meter) – bisher ohne Genehmigung abgehalten werden.

Da die Opposition nach Meinung der Gesetzgeber diese Lücke missbraucht hat, indem mehrere Menschen in einer Schlange standen und warteten, bis sie die Mahnwache übernehmen konnten, hat die Duma diese Lücke nun geschlossen und fordert ebenfalls eine vorherige Erlaubnis. Nicht nur Ausländern ist die Finanzierung von Kundgebungen untersagt, sondern auch Jugendlichen unter 16 Jahren und NGOs, die vom Justizministerium als "ausländische Agenten" – ein in Russland immer häufiger genutzter Kampfbegriff – registriert wurden. Anonyme Spender sind ebenfalls verboten.

Für Journalisten wird die Berichterstattung von Oppositionsveranstaltungen ebenfalls schwieriger. Sie müssen nun nach außen sichtbar als Pressevertreter erkennbar sein. Selbstgebastelte Presseschilder gelten nicht. Die Kennzeichnung muss von Innenministerium und Aufsichtsbehörde abgenickt werden.

Der Initiator der Gesetzesnovelle Dmitri Wjatkin begründete die Verordnung mit dem besseren Schutz der Journalisten selbst. So seien sie künftig vor willkürlichen Festnahmen gefeit, sagte er. (André Ballin, 10.12.2020)