18 Rotoren in einer tieferen, angenehmeren Tonlage sollen dafür sorgen, dass der Volocity bei Flügen über 100 Metern im üblichen Stadtlärm kaum zu hören ist.

Foto: Volocopter
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Die Branche hat ein merkwürdiges Problem. In einem ganzen Kosmos, in dem es nur so von Anglizismen, "freshen" Wortkreationen und Erfindergeist wimmelt, fehlt irgendwie just für jenes Produkt das passende Wort, das unser Stadtbild so nachhaltig verändern soll. Ist es nun eine Passagierdrohne, ein bemannter Multikopter, ein Passenger Air Vehicle (PAV) oder gar ein Electric Vertical Take-off and Landing Aircraft (EVTOL)?

Nicht einmal die Abkürzungen der englischen Sprache machen was her. Gut, das wird nicht der Bremsklotz sein, der den technologischen Fortschritt aufhält. Passagier- und Lastendrohnen sind im Anflug – und das schon bald. Die Technik dafür existiert bereits. Sie ist zwar noch nicht hundertprozentig ausgereift, aber definitiv auf dem richtigen Weg. Das sieht zumindest der Luftfahrtforscher Holger Friehmelt so: Die in dem Geschäft handelnden Akteure hätten "ihre Hausaufgaben schon sehr gut gemacht".

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Foto: BMW

Beim Drohnen-Passagierflug handle es sich nicht um eine ferne Utopie, "das passiert jetzt", sagt auch Christian Bauer, CCO des deutschen Multikopter-Herstellers Volocopter. Zwei bis drei Jahre werde es noch dauern, bis die ersten Modelle kommerziell und im Regelbetrieb unterwegs sind. Die von der europäischen Luftfahrtbehörde EASA vorgelegten Tests werde man erfolgreich bestreiten, gibt man sich selbstbewusst. Anfangs werden die Flüge noch von Piloten gesteuert, bald aber auch ganz autonom. War es früher eine Frage des "ob" und lange eine des "wann", ist es mittlerweile nur mehr eine des "wo".

Stadt oder Land?

Urbane Gegenden mit besonders hohem Verkehrsaufkommen und schlechter Infrastruktur böten sich freilich am ehesten an – Mexiko-Stadt oder asiatische Megastädte werden immer wieder genannt. "Superreiche fliegen dort heute schon sehr viel mit dem Hubschrauber von Hausdach zu Hausdach, weil sie nicht im Verkehr stecken bleiben wollen", sagt Friehmelt. Auch im chinesischen Guangzhou, wo der mit der österreichischen FACC kooperierende Lufttaxi-Hersteller Ehang seine Wurzeln hat, sollen schon bald fünf Hubs entstehen, die passagierlose Tests entlang dieser Knotenpunkte erlauben, sagt FACC-CEO Robert Machtlinger. Rund 30.000 Logistikflüge finden dort jährlich bereits mit Drohnen statt. Eine Hotelkette aus Singapur habe zudem 25 Stück für Rundflüge auf einem Testgelände geordert, so Machtlinger.

Innovationstreiber könnten wieder einmal die Olympischen Spiele sein. Rund um sportliche Großereignisse gab es schon viele nachhaltige (aber auch unsinnige) Infrastrukturprojekte. Im Vorfeld der Pariser Sommerspiele 2024 könnte der große Auftritt des Volocity – wie der 18-rotorige City-Flieger des selbsternannten Weltmarktführers aus Baden-Württemberg heißt – kommen, glaubt Bauer. Man sei bezüglich Teststrecken mit der Pariser Bürgermeisterin im Austausch. Ein Transfer vom Flughafen Charles de Gaulle ins Zentrum würde sich nach Angaben von Volocopter von 90 Minuten auf knappe 20 reduzieren.

Das chinesische Lufttaxi der Marke Ehang fliegt mit Leichtbauelementen der österreichischen Firma FACC. Es ist eines von mehr als 100 verschiedenen Konzepten am Lufttaximarkt.
Foto: Ehang

"Wir sind ein europäisches Unternehmen und möchten auch unsere ersten kommerziellen Flüge in Europa absolvieren", sagt Bauer, bringt aber sogleich die Tech-Metropole Singapur als Alternative für erste Flüge ins Spiel.

Neben der entsprechenden Infrastruktur für solche Unternehmungen wird es vor allem auch "um die richtigen luftfahrtrechtlichen Regeln und Gesetze" gehen, sagt Friehmelt. Ein Rowdytum wie im Straßenverkehr sei in der Luft undenkbar.

"Wir beobachten nicht nur, wir sind mittendrin", sagt Valerie Hackl, Geschäftsführerin der österreichischen Luftfahrtbehörde Austro Control. Nach Jahren von Nationalstaaterei gibt es ab kommendem Jahr in der EU endlich eine einheitliche Regelung für Drohnen sowie einen "Drohnenführerschein", der vor allem Hobby-Drohnenpiloten das Leben einfacher macht. Für Flugtaxis gibt es in der neuen EU-Verordnung bereits eine eigene Kategorie. Bis sie genutzt wird, dauert es allerdings noch. Ein regulärer Flugbetrieb im Jahr 2025 sei laut Hackl "sehr optimistisch" gedacht, sie glaubt eher an einen Start 2030. Von der Qualität der Sicherheit befinde man sich hier schließlich im Bereich normaler Passagierflugzeuge. Derzeit sei man aber mit FACC im Gespräch, um Erprobungsflüge in Österreich durchzuführen.

Der große Vorteil von Multikoptern gegenüber Flugzeugen – das theoretisch überall mögliche senkrechte Starten und Landen ohne lange Pisten – dürfte zum Teil der Sicherheit zum Opfer fallen. Wie Luftfahrtexperte Friehmelt geht auch Hackl davon aus, dass es zunächst fixe Stationen geben wird, an denen auch Sicherheitschecks stattfinden werden.

Nur ein Spielzeug für Millionäre?

Dass die Welt nicht erst 2025 oder 2030 für einen Flug in den Mini-Helikoptern bereit ist, zeigt eine Vorverkaufsaktion von Volocopter: Die ersten 1000 Tickets für Testflüge um 300 Euro waren in Windeseile verkauft. Vom beinahe mantraartig wiederholten Ziel der Branche, einen Flug so günstig wie eine Taxifahrt anzubieten, ist man mit diesen Summen freilich noch weit entfernt. Werden Flugtaxis also ohnehin nur ein Gadget reicher Multimillionäre sein? Friehmelt glaubt das nicht: "Es wird sicher nicht ganz so billig wie die Fahrt mit dem Taxler. Es wird aber auch nicht um die Zehnerpotenz teurer." Irgendwo dazwischen, in der Region eines sehr teuren Taxis, dürften sich die Kosten für einen Flug einpendeln.

Doch die Branche ist bemüht, diesen Preis zu drücken. Bauer geht davon aus, dass man in "Herstellung, aber auch im Betrieb und in der Wartung" deutlich günstiger sein werde als ein Helikopter, allein schon aufgrund der niedrigen Anzahl an Komponenten und der hohen produzierten Stückzahl. Man orientiere sich da weniger an der Luftfahrtindustrie mit ihren 80 bis 100 Fliegern pro Jahr. "Wir wollen in die Tausende gehen, um die hohe Nachfrage befriedigen zu können", sagt Bauer. Auch die Leichtbaukomponenten von Betrieben wie FACC machen die Drohnen leichter und damit günstiger.

Lilium

Eine weitere Möglichkeit, den Preis zu drücken, wäre freilich, die Anzahl der Passagiere zu erhöhen. Dennoch wird es wohl eher keine Flugbusse geben. Friehmelt spricht von "bedarfsorientierter" Fortbewegung, es gehe darum, möglichst wenig leere Luft herumzufliegen und die Flugtaxis auch nicht zu groß werden zu lassen. Auch Hersteller Volocopter nimmt sich die herkömmliche Auslastung eines Taxis zum Vorbild. Diese liege irgendwo zwischen 1,2 und 1,4 Personen. Sobald der Pilot einmal wegfällt, passe man mit der 2er-Drohne genau in dieses Spektrum. Ob künftig doch größere Flugtaxis vonnöten sind, das werde sich erst weisen.

Stellt sich noch die Frage der Nachhaltigkeit. In den letzten Jahren ist Fliegen wegen seiner verheerenden CO2-Bilanz in Verruf geraten. Aber gilt das auch für die elektrisch betriebenen Passagierdrohnen? Kommt ganz drauf an, schreiben Forscher in einem 2019 in Nature Communcations veröffentlichten Paper.

Bei einer Besetzung von 1,54 Passagieren – in etwa der eines Taxis – könnten Flugtaxis pro Passagierkilometer um die Hälfte weniger Treibhausgase emittieren als Autos mit Verbrennungsmotor und um immerhin sechs Prozent weniger als Elektroautos. Dabei rechneten die Wissenschafter aber mit einer Reisestrecke von 100 Kilometern, wo das besonders stromfressende Starten und Landen weniger ins Gewicht fällt. Dass der Strom für die Drohnen dabei aus Wind- oder Solaranlagen kommen muss, um mit der Konkurrenz am Boden mitzuhalten, versteht sich von selbst.

Andere Einsatzmöglichkeiten

Der menschliche Traum vom Fliegen ist ungebrochen. Es ist daher nur logisch, dass die Personenbeförderung die Nachrichtenlage und Investorennachfrage dominiert. Viele Flugtaxierbauer haben aber längst ihre Portfolios diversifiziert, wollen Drohnen vermehrt für Search-and-Rescue-Operationen nach Naturkatastrophen, für die Lieferung von Spenderorganen oder die Versorgung von Berghütten einsetzen. Die Schneemassen, die Anfang Dezember wieder einmal ganze Täler im Süden Österreichs von der Versorgung abschnitten, wären der perfekte Einsatzort für günstige, unbemannte Logistikflüge gewesen.

Autonome Drohnen können nämlich auch bei null Sicht eingesetzt werden, ganz ohne den Piloten zu gefährden. Friehmelt sieht in der Logistik gar "den ersten großen Markt", erst nachgelagert werde sich der Personentransport entwickeln. Es gebe mehr Nachfrage – und auch die SicherheitsStandards seien durchaus überschaubarer. Zweifelsfrei werden sich auch Synergien nutzen lassen, die dem Flugtaximarkt nützen.

Aus heutiger Sicht scheint dieser noch zu kreierende Markt übrigens differenzierter zu werden, als es das Duopol in der Luftfahrt aus Airbus und Boeing vermuten lässt. "Ich glaube, dass am Weltmarkt Platz für ein bis zwei Dutzend Hersteller ist", sagt Holger Friehmelt.

Der Aussiebeprozess ist dabei längst in vollem Gange. Rund 100 bis 200 ernst zu nehmende Konzepte existieren weltweit. Über Computermodelle und Prototypen seien viele aber noch nicht hinaus, urgiert man bei Volocopter, das mit seinen ersten Flügen im Jahr 2011 tatsächlich zu den Entwicklungsführern zählt. Bauer freut sich aber über die zahlreichen "Marktbegleiter", wie er die Konkurrenz liebevoll nennt. Das zeige, dass man nicht komplett auf dem falschen Dampfer sei, meint er schmunzelnd.

Volocopter

Dass diese Mitbewerber teils auch ganz andere Wege gehen, zeigt etwa der Lilium Jet. Der Senkrechtstarter verfügt über schwenkbare Mantelpropeller und agiert dank seiner Tragflächen eher wie ein Flugzeug als ein Helikopter. Ab 2025 will man damit die Mittelstrecke dominieren, Piloten werden von Lufthansa ausgebildet. Die Branche diversifiziert sich also laufend.

Tatsächlich wäre es überraschend wenn so viele Unternehmen, gesponsert und getragen von noch viel größeren Firmen sich derart verkalkulieren würden und die Flugtaxis nicht regelmäßig abheben. Das Flugtaxi wird zwar auch in den nächsten zehn Jahren keine Heerscharen von Touristen zwischen Schwechat und dem Stephansplatz hin- und herpendeln. Dank immer leiserer Rotorentechnik, die im "normalen Stadtlärm" gar nicht mehr auffalle, wie Volocopter behauptet, werden sie aber in der ein oder anderen Millionenmetropole immer häufiger zum Einsatz kommen – womöglich auch in Wien.

Vor diesem Hintergrund richtet auch Luftfahrforscher Friehmelt einen Appell an die junge Generation flugbegesiterter Menschen: "Wir brauchen die richtig ausgebildeten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Industrie". Sprach man früher über Kerosinfresser, so spreche man heute über Elektroantriebe, sprach man früher über Piloten, brauche es heutzutage geballtes Wissen rund um autonome Systeme. Vielleicht fällt einem dieser schlauen Köpfe dann auch ein ordentlicher Name für die fliegenden Geräte ein. (Philip Pramer, Fabian Sommavilla, 11.12.2020)