London/Brüssel – EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen hält einen Brexit-Handelspakt mit Großbritannien inzwischen für unwahrscheinlicher als einen No Deal zum Jahreswechsel. Entsprechend informierte sie nach Angaben eines Diplomaten am Freitag die Staats- und Regierungschefs beim EU-Gipfel in Brüssel.

Wie hoch die Chancen für eine Einigung noch seien, habe von der Leyen nicht gesagt, hieß es. Sie hatte sich am Mittwochabend mit dem britischen Premier Boris Johnson zum Krisengespräch getroffen, doch wurde kein Fortschritt erreicht. Beide Seiten setzten sich eine letzte Frist für Verhandlungen bis Sonntag. Dann soll sich entscheiden, ob ein Handelsabkommen ab Jänner 2021 möglich ist. Die EU bereitet sich bereits auf einen harten Bruch vor.

Großbritannien war Ende Jänner offiziell aus der EU ausgetreten und scheidet zum Jahresende auch aus dem EU-Binnenmarkt und der Zollunion aus. Ohne Vertrag drohen Zölle und große Handelshemmnisse.

Johnson: Hohe Wahrscheinlichkeit für "No Deal"

Johnson hatte sich am Donnerstagabend ähnlich wie von der Leyen geäußert. "Es besteht nun die hohe Wahrscheinlichkeit, dass wir eine Lösung bekommen, die dem Verhältnis Australiens mit der EU ähnelt, und nicht eine, die den kanadisch-europäischen Beziehungen entspricht", sagte der britische Premier. "Das heißt nicht, dass es schlecht ist." Dennoch werde er nach Paris, Brüssel oder Berlin reisen, um doch noch ein Abkommen zu erziehen. Das britische Pfund gab nach Johnsons Aussagen nach.

Die EU hat mit Australien bisher nur ein Rahmenabkommen, das unter anderem technische Hürden betrifft. Im Großen und Ganzen findet der Handel zwischen Europa und Australien auf Basis der Regeln der Welthandelsorganisation (WTO) statt. Zwischen der EU und Kanada gibt es im Gegensatz dazu ein Freihandelsabkommen.

Handel erwartet "Zollbombe"

Der britische Handelsverband BRC warnte am Freitag vor einer "Zollbombe" für Supermärkte und Verbraucher, falls das Vereinigte Königreich sich nicht mit der EU auf einen Brexit-Handelspakt einigt. In diesem Fall würden Zölle von durchschnittlich mehr als 20 Prozent auf frische Lebensmittel wie Obst und Gemüse fällig, die aus der EU importiert werden, teilte der BRC (British Retail Consortium) mit. Derzeit stammen rund 80 Prozent der britischen Lebensmitteleinfuhren aus der EU. (red, APA, 11.12.2020)