Alle zwei bis drei Wochen durchquere ich das Land in einer Diagonale, South by Southwest. Vor dem Wochenende geht es hin, nach dem Wochenende retour. Der Name des angesteuerten Ortes tut nichts zur Sache, das einigermaßen leicht zu erratende Bundesland ebenso wenig. In Kilometern umrunde ich auf diese Weise jedes Jahr die halbe Welt. In Wirklichkeit geht es dabei um eine ganze. Sie ist persönlich und privat. Für einmal aber, diesen November, geriet die kleine Vater-Sohn-Welt gar zur Probe aufs Exempel staatlicher Verordnungen.

Alles begann damit, dass aufgrund der Covid-19-Notmaßnahmen meine nächste Fahrt ungewiss wurde. Damit hatte ich nicht gerechnet. Dem Lockdown des Frühlings hatten wir mithilfe eines erst Monate davor angeschafften VW-Busses ein Schnippchen geschlagen. Anstatt in der gewohnten Frühstückspension zu übernachten, waren wir auf einem Wiesenparkplatz vor dem Haus gestanden. Schlafgelegenheit, Tisch, Küchenblock, Campingklo und Kühlaggregat. Nudelwasser am Gasherd, eine vorgekochte Bolognese, die grüne Wiese vor uns und ein See, Fußbälle und Tore. Schön war es gewesen, doch nicht ohne Folgen geblieben. Die Wiener Kennzeichen des blauen VW-Busses hatte für Gerede in der kleinen Seegemeinde gesorgt. Damit war nicht zu spaßen. Um das zu wissen, war ich Landkind genug.

Örtliche Bezirksbehörden

Es war der 12. November, der leichte Lockdown ging zu Ende, der harte hatte noch nicht begonnen, und es galt zu verhindern, dass mein Auftauchen vor Ort zu Anzeigen führte. Mein Besuchsrecht schien einerseits unstrittig, doch den Ankündigungen der Bundesregierung zufolge waren lediglich Geschäftsreisende vom Beherbergungsverbot ausgenommen, das für Fremdenzimmer ebenso wie für Campingplätze galt.

Wildes Campieren war ohnedies stets verboten und über dem Wiesenparkplatz vor der Frühstückspension schwebte das Gerede der Ortschaft. Ich schrieb dem Bürgermeister. Die Antwort aus der Gemeinde kam innerhalb weniger Stunden. Darin hieß es, obwohl die genaue Notmaßnahmenverordnung erst drei Tage später per Veröffentlichung im Bundesgesetzblatt bekannt werden sollte, man könne mir aufgrund der "leider klar negativen Stellungnahmen sowohl der Bezirksbehörde wie auch der Executive (sic)"leider keine Hilfe anbieten.

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"Dem Lockdown des Frühlings hatten wir mithilfe eines erst Monate davor angeschafften VW-Busses ein Schnippchen geschlagen."
Foto: Picturedesk

Worauf diese Stellungnahmen sich bezogen, wurde mir nicht beschieden. Vermutlich hatte es im Bezirk auch Anfragen anderer gegeben, denen nun, frei nach Kafka, ebenfalls nichts anderes blieb als der Wunsch, Geschäftsreisender zu werden. Womit für mich tatsächlich eine Geschäftsreise begann. Noch am selben Tag schilderte ich unter dem Hinweis, dass ich an einer Zeitungsgeschichte dazu arbeite, sowohl dem Familien- als auch dem Justiz- und dem Gesundheitsministerium das angesichts der Notmaßnahmen zutage tretende Aufenthaltsproblem für Eltern, deren örtliche Entfernung zu ihren nicht im eigenen Haushalt lebenden Kindern Übernachtungen zwingend notwendig machte.

Unverbindliche Schlupflöcher

Während das Familienministerium mittels automatisierten Rückschreibens am schnellsten antwortete, das Gesundheitsministerium stumm blieb, erkundigte sich die Medienstelle des Justizressorts bereits am nächsten Morgen, ob es um eine persönliche Rechtsauskunft oder um eine Recherche zu einem Artikel gehe. Ich erwiderte, bei einem Schreibenden wie mir lasse sich Persönliches von Textrecherche und Publikation nicht immer trennen. Wenige Stunden später meldete sich ein freundlicher Beamter von einer zur Wahrung seiner Anonymität ungenannten Stelle des Ministeriums.

Das Justizressort sei zwar "für das elterliche Kontaktrecht zuständig", nicht aber, wie er formulierte, "für die anderen Normen, die Ihr Problem betreffen". Mehr als eine "kurz recherchierte, vollkommen unverbindliche Auskunft ohne Anspruch auf Richtigkeit und Vollständigkeit"könne er deshalb leider nicht anbieten. Immerhin aber erhielt ich die Information, dass laut Naturschutzgesetz des fraglichen Bundeslandes nächtliches Abstellen meines VW-Busses auf "im Zusammenhang mit Wohngebäuden stehenden, besonders gestalteten Flächen wie Vorgärten, Haus- und Obstgärten"erlaubt sei.

Wiewohl dies zu Zeiten eines Beherbergungsverbots ein Schlupfloch darstelle, sei aus seiner Sicht nicht eindeutig geregelt, ob ich angesichts der vorerst nur nächtlichen Ausgangsbeschränkungen meinen privaten Wohnbereich "zur Ausübung des elterlichen Kontaktrechtes"überhaupt verlassen dürfe: "Allenfalls bildet derzeit eine Kontaktaufnahme mit Fernkommunikationsmitteln einen gangbareren und vernünftigeren Weg."

In den Tagen danach trat die Notmaßnahmenverordnung mit ganztägiger Ausgangsbeschränkung in Kraft. Vom Gesundheitsministerium hörte ich weiterhin nichts und vom Familienministerium nur äußerst offen gehaltene Sätze mit Verweis auf das Gesundheitsministerium. Ich begann über Bekannte nach einem Zugang zum Gesundheitsministerium zu recherchieren, bedankte mich bei der Medienstelle wie dem freundlichen Beamten des Justizministeriums, erlaubte mir dabei jedoch hinzuzufügen, dass die öffentliche Bekräftigung des Besuchsrechtes durch die Justizministerin zwar schön klinge, doch doppelbödig bleibe, solange selbst den eigenen Ministerialbeamten unklar sei, ob dem nicht die faktischen Hürden der Covid-19-Notmaßnahmen entgegenstünden.

Trojanische Pferde

Meine Kritik sollte inhaltlich unbeantwortet bleiben, und der freundliche Beamte zog daraufhin seine erste Auskunft gänzlich zurück, wollte sein Schreiben nur mehr als Antwort auf ein privates Problem verstanden wissen und darin "keine Aussagen über zulässige Formen des elterlichen Kontaktrechtes während des nunmehrigen Lockdowns allgemein getroffen"haben. Auch in den übrigen Auskünften sei weder Anspruch auf Richtigkeit und Vollständigkeit gegeben, noch handle es sich dabei "um die Rechtsansicht des – wie erwähnt: unzuständigen – Justizministeriums".

Wohin aber führte sein abschließendes Ersuchen, von jeglicher Verwertung seiner Antwort Abstand zu nehmen? Hieße es doch, davon zu schweigen, wie schnell man als Bürger in elementaren Fragen wie den Kontaktmöglichkeiten zu den eigenen Kindern gegen eine Mauer liefe. Gern sicherte ich ihm zu, keine seiner Antworten namentlich zu zitieren und weder Abteilung noch Stelle zu nennen.

Vom Erzählen aber rückte ich nicht ab, schon gar nicht vom öffentlichen. Nicht nur, da es letztendlich auch im Gesundheitsministerium als Sesam-öffne-dich wirkte, sondern gerade in Momenten als öffentliche Sache nie für sich allein steht, in denen es sich etwa mit der Chuzpe des Trojanischen Pferdes vor den Befestigungsringen einzelner Ministerien und deren manchmal kurzsichtiger Verantwortungsmonopole aufbaut.

So lange, bis sich tatsächlich die Tore öffneten, wie am Abend des 18. November im Gesundheitsministerium geschehen. Samt Rechtsauskunft, dass für Elternteile, die durch familiäre Rechte und Pflichten an ihre nicht im eigenen Haushalt lebenden Kinder gebunden seien, eine Mindestausnahme im Maßnahmengesetz vorgesehen sei. Demnach dürften, sofern die entsprechenden Besuche ein dringendes Wohnbedürfnis auslösten, auch Beherbergungsbetriebe betreten werden.

Buchstäblich ganz erledigt hatte sich mein Wunsch, Geschäftsreisender zu werden jedoch erst mit den abschließenden Zeilen, wonach diese Informationen zu gleicher Zeit auch für die FAQs der Website des Sozialministeriums aufbereitet und öffentlich zugänglich gemacht würden.

Martin Prinz lebt als Schriftsteller in Wien.
Foto: Lukas Beck

Mehr blieb auch nicht zu sagen. Bald darauf durchquerte ich das Land wieder in einer Diagonale. South by Southwest. Der Name des angesteuerten Ortes tat weiterhin nichts zur Sache, privat war wieder privat und eine ganze Welt. Ebenso wie alle womöglich verbotenerweise betretenen Lockdown-Fußballplätze oder, nunmehr ganz bei Kafka, das erleichtert gegen jede Geschäftsreise eingetauschte Indianersein: "... gleich bereit, und auf dem rennenden Pferde, schief in der Luft (...), bis man die Sporen ließ, denn es gab keine Sporen, bis man die Zügel wegwarf, denn es gab keine Zügel, und kaum das Land vor sich als glatt gemähte Heide sah, schon ohne Pferdehals und Pferdekopf." (Martin Prinz, ALBUM 12.12.2020)