Willkommen in der Welt des Jahres 2134 – entschuldigen Sie, dass es grade etwas hektisch zugeht: Immerhin ist die schöne Tiga aus der wichtigsten Castingshow des Planeten als Siegerin hervorgegangen und wird nun in Amsterdam 2.0 zur neuen Weltkaiserin gekrönt. Aric Ekloppos hat sich in die Menge der euphorisch Feiernden eingereiht und wird im Trubel fast zu Tode getrampelt – erstes Schlaglicht auf die Welt von "Symbiose". Ein weiteres wird auf Aniaa Karim geworfen, die in Tübingen in einer Beziehung mit einer außerirdischen Vyrroc lebt. Ein drittes auf Leop Üller, der als Symbioniker am Heidelberger Biotools-Institut arbeitet.
Alles bio
Letzterer bietet sich zugleich als Führer in die einzigartige Welt von "Symbiose" an, wo man auf Mechanik und Elektronik gerne verzichtet und statt dessen auf künstlich gezüchtete Organismen setzt: Flechten und Moose kleiden das Eigenheim aus, methanfurzende Luftfische kurven wie Allzweck-Zeppeline durch den Himmel, Telefonschnecken schieben sanft ihre Pseudopodien in Ohr und Kehlkopf und die Kinder kicken (fies! Szenenapplaus!) flauschige weiße Knutbälle durch die Gegend.
Biologisch abbaubar sind die hilfreichen Produkte allesamt – meistens gleich durch die eigenen Artgenossen. Ein paar allzu kalauernde Wortspiele wie Brillenschlangen oder Trinkuine tauchen zwar auch auf, aber das verzeiht man dem Autor gerne, der hier seinen zweiten Genre-Roman vorlegt und zuvor bereits in zahlreichen Kurzgeschichten seine überbordende Fantasie unter Beweis gestellt hatte.
Da braut sich was zusammen
Doch ist nicht alles eitel Wonne in der schönen neuen Weltsymbiose. Das Baby von Aniaas Partnerin Pschist-I wird krank und auf die Heimatwelt der Vyrroc gebracht; in der familiären Klokröte findet Aniaas Freundin Vita seltsame Mikroben. Der unschuldige Narr Aric wird in einem fort herumgereicht, ohne zu begreifen, wie ihm geschieht: Nach einem Talkshow-Auftritt wird er zum publicityfördernden Begleiter einer nicht nur machtlüsternen Politikerin und gerät in einen Terroranschlag der Steeldogs, der letzten militanten Vertreter des Maschinenzeitalters.
Und Leop muss feststellen, dass seine angebetete Arbeitskollegin Mooha nicht mehr ins Büro zurückkehrt; das verheißt nichts Gutes in einer Welt, die ein Ministerium für Meinungsschutz kennt und in der nicht nur unliebsame Texte, sondern auch schon mal Personen oder ganze Organisationen verschwinden. Ganz zu schweigen von mörderischen Jugendbanden, die in den verwahrlosten Zonen Leichen zu makabren Tableaus drapieren.
Alle drei Hauptfiguren stoßen überdies auf unterschiedlichen Wegen auf Spuren einer nahenden Bedrohung: Leop findet in Moohas Notizen Anmerkungen über ein weltraumtaugliches Fluchtfahrzeug, Aniaa sieht in einer esoterischen Gaia-Seance, wie sich riesige Kiefer um die Erde schließen. Was kommt da auf unseren Planeten zugeflogen – ein seltsam geformter Asteroid oder tatsächlich ein gigantischer Weltraumhai? Doch was immer es ist: Chaos und Unruhen brechen aus, und die Spitzenpolitiker haben längst beschlossen, sich an Bord eines biotechnischen Riesenkäfers ins All abzusetzen; auf die Bevölkerung wird gepfiffen. "Ich war schon immer der Meinung, dass Bürger die Ausübung unserer Tätigkeit nur behindern", findet einer den Silberstreifen am Horizont des Weltuntergangs.
Fürchtet die Spamtaube!
Nicht selten hat man beim Lesen den Eindruck, sich selber einen Halluzinogene-absondernden Psyfrog unter die Zunge geklemmt zu haben. In ultrakurzen Kapiteln hasten die Protagonisten durch eine mit bizarren Details vollgestopfte Travestie von Zukunftswelt, in der Humor und Gewalttätigkeiten aneinanderknallen. Das lässt an China Miévilles New Crobuzon denken oder auch an Moebius' "John Difool"-Comics ... oder an die abgedrehte TV-Serie "LEXX", Sein Schatten hab' sie selig.
Vor allem aber macht es jede Menge Spaß zu lesen. Und trotz des wirbelnden Chaos wird das Ganze schließlich sogar zu einem runden Ende gebracht, das Schicksal der Erde inklusive. Aber Hand aufs Herz: Mit Posts schlimmster Horrorvision, der Spamtaube, könnte es ohnehin kein Weltuntergang aufnehmen. Nicht auszudenken, wenn all die unerschöpflichen Legionen versiffter Stadttauben auch noch in einem fort Reklamebotschaften in die Gegend plärrten ...