Wenn ein Chor "Die Lauten Säcke" heißt, dann kann das schon mal zu Missverständnissen oder gar erschrockenem Davonlaufen führen. In diesem Fall aber rührt der Name nur von einer Gasse im 14. Wiener Gemeindebezirk her, der Lautensackgasse, wo in einem schmucken Häuschen alle drei Wochen die Proben dieses Chors stattfinden, jeweils am Sonntagabend. Vor zwei Monaten, Anfang Oktober, war die erste nach langer Urlaubs- und Corona-Pause, und alle waren gespannt.

Über den Sommer hatten die Mitglieder allein zu Hause den "Banana Boat"-Song geübt, Chorleiterin Paula hatte ihnen die Files mit ihren jeweilen Stimmlagen über Glasfaser geschickt: Fiona ist mit 15 die Jüngste und war damals zum ersten Mal dabei. Ihre Stimme schwankte noch zwischen Alt und Sopran, aber den Namen ihres neuen Chors fand sie schon vor der ersten Probe zum Brüllen. Mal sehen, wird sie sich vielleicht gedacht haben, wie laut die Säcke sind. Lange konnten sie aber nicht zusammen proben, denn bald kam der nächste Lockdown.

Eine Probe der "Lauten Säcke" vor dem zweiten Lockdown.
Foto: Christian Fischer

Mehr als Singen unter der Dusche

Amateurchöre boomen, seit die 80er-Jahre-Elterndrohung "Wir machen Hausmusik!" ihren Schrecken verloren hat. Die Lauten Säcke gibt es nun immerhin auch schon seit 13 Jahren, seit Rucki (62) nämlich sein Singen unter der Dusche auf "ein etwas höheres Niveau bringen" wollte. Der erste Versuch, mit seiner Frau Sissi zusammen einen Chor zu gründen, ging freilich schief, "denn da war so ein Überehrgeizling dabei!". Das führte zum Abbruch der Singerei schon nach der zweiten Probe.

Beim nächsten Versuch waren sie dann schon recht laut, aber auch recht überambitioniert. Sie sangen Bruckner und Mozart, womit sie nicht annähernd das Niveau des Jedweder Küchenchor erreichten, der legendär ist und unter den mittlerweile hunderten Laienchören Wiens einer, für den die Leute sogar Eintritt zahlen. "Bei uns war es umgekehrt!", erzählte Robert, 56, der in dieser Runde mit dem großen Vorteil punktet, Tenor zu sein. Tenöre wünschen sich alle Chöre so sehnlich wie Donald Trump einen zweiten Wahlsieg.

Viele Chöre beginnen ohne Chorleiter und merken bald, dass nichts weitergeht – beziehungsweise gibt es auch Chorleiter, mit denen dann ebenfalls nichts weitergeht. Manche sollen ihren Mitgliedern ein paar Lieder vorgesungen und sich dann virtuos und vierstimmig mehr oder weniger selbst am Klavier begleitet haben, den Chor selbst brauchten sie eigentlich gar nicht.

In Spur bringen

Hingegen Paula! Die gebürtige Argentinierin mit 15 Jahren Chorerfahrung haben die Säcke vor drei Jahren engagiert. Neben ihnen hat sie noch zwei weitere Chöre unter ihrem Taktstock, aber die Lauten Säcke, sagte sie, wären von allen dreien … "der lustigste!". Ein Lob, das die fröhliche Runde bei gutem Wein auf der damals noch spätsommerlichen Terrasse gern entgegennahm.

Kann sie den lustigsten Chor aber auch noch zu ihrem besten machen? Zunächst musste sie ihn in die Spur bringen und ihnen Lieder wie Bruckners "Kyrie" austreiben. Sie verteilte ihre Amateure je nach Stimmlage im Raum, denn "am Anfang ist es leichter, wenn man um sich herum Leute hat, die dieselbe Stimme singen". Sobald Paula ihren "Klangkörper" vor sich hatte, konnte sie dessen Möglichkeiten einschätzen und die Musik diesen Möglichkeiten anpassen. Bald war es für die Mitglieder ungleich befriedigender, einfache Volkslieder richtig gut zu singen anstatt Bruckner richtig falsch. "Es braucht einen Coach, der eine Vision hat, wie diese Gruppe von Menschen in Begegnung mit der Musik kommen kann", erklärte Paula.

Herzenswunsch

Paula bringt die Songs am liebsten nach Gehör bei.
Foto: Christian Fischer

Den Wunsch nach einer solchen Begegnung verspürte Christoph (54), Bass und Jim-Jarmusch-Lookalike, schon als Kind, aber die Eltern trieben ihm seine Freude am Singen aus. "Du kannst das nicht!", hörte er immer wieder. Aber ihm, der heute Arzt ist, steckte der Wunsch nach Ausdruck durch Gesang so tief in der Seele, dass er mit 45 Jahren noch mit Gesangsunterricht begann, und dort sagte man ihm, dass Singen jeder lernen könne. Bald war er einer der lautesten "Basssäcke" bei den Lauten Säcken.

Für die erste Probe druckte Paula die Liedtexte in großen Buchstaben aus und stellte die Blätter neben sich in den Notenständer. Vorteil: "Dann schaut nicht jeder stur in seine Noten, die ohnehin die wenigsten lesen können, sondern nach vorne zu mir!" Paula bringt ihren Sangesbrüdern und -schwestern die Songs sowieso am liebsten nach Gehör bei, und die Texte können dann schon mal auf Russisch, Griechisch oder Latein gesungen werden. Oder Kärntnerisch. Jedes Mitglied darf auch ein "Hasslied" haben, während dem er/sie aufs Klo geht oder Handy spielt. Mathias, ein weiterer Bass, und Sabine, Sopran, laufen verlässlich davon, sobald das Kärtnerlied "Trog mi Wind" angestimmt wird. Das klingt auch tatsächlich so, als würde es Jörg Haider noch immer vom Balkon seiner Kärntner Almhütte herunterzwitschern.

Zweimal im Jahr ins "Trainingslager"

Mittlerweile beherrschen die Säcke aber auch Englisches wie "Java Jive", bekannt geworden durch "Manhattan Transfer". "Da muss man sich ein bisschen lockermachen und den Jive haben", sagte Paula. Aber können Österreicher überhaupt locker sein, im Vergleich zu – sagen wir – den Kubanern? Rucki, gut genährt, hob entrüstet sein Glas: "Also, ich finde, dass dieses Bild des Österreichers, dass er beim Salsatanzen im Vergleich zu einem Kubaner verklemmt wäre, unangemessen ist!" Margot, Gerhard, Gerlinde und Elke, die mittlerweile eingetrudelt waren, stimmten ihm zu. Prost!

Es gab dann mal einen gewissen Wildwuchs bei den Lauten Säcke, erklärte Robert, jeder hätte jemanden mitgenommen, vor allem Soprane. "Bis Sissi das ein bisschen unter Kontrolle bringen wollte." Heute haben sie an die 27 Mitglieder, von denen um die 15 jeweils zur Probe kommen. An zwei Wochenenden im Jahr, zu Allerheiligen und Pfingsten, fahren sie dann noch ins "Trainingslager", in ein "sehr sympathisches Landhotel in der Steiermark", wie Rucki erzählte, wo sie dann intensiv feiern und noch intensiver singen. Die Meinungen über ihre Qualitäten gehen dabei freilich noch ein wenig auseinander: Letztes Jahr, erzählte Robert, wären sie dort abends am Feuer gesessen, und ein Gast hätte sich fürchterlich über sie aufgeregt. Aber am nächsten Tag, als sie zum Frühstück kamen, hätte sich die Chefin ihrerseits fürchterlich über den Gast aufgeregt. "Ihr hat's nämlich gefallen!"

"Im Namen der Chorleiterin!", rief Rucki dann bei jener ersten Probe, und sie gingen alle hinein ins Haus. Sie stellten sich auf um den großen Tisch, und Paula setzte sich ans Piano. "Vergessen wird immer viel während der Pausen!", lachte sie noch. Beim ersten Durchlauf höre sie immer: "Des hamma noch nie gsungen!" Beim zweiten Durchlauf dann: "Kommt mir irgendwie bekannt vor." Beim dritten Durchlauf: "Welche Nummer war das nochmal genau?" Und schließlich beim vierten Versuch: "Ah! Kenn ich!" (Manfred Rebhandl, 12.12.2020)