Das Wiener Unternehmen Anyline hat Smartphones das Lesen beigebracht.

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Seit 2013 entwickelt Anyline mobile Scan-Lösungen für die Industrie und die Verwaltung.

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Wien – Wenn die Polizei Nummerntafeln oder Ausweise scannt, kommt Anylines Technologie zum Einsatz. Ebenso, wenn Energiedienstleister Stromzähler ablesen. Vereinfacht gesagt hat das Wiener Unternehmen mithilfe von künstlicher Intelligenz Smartphones das Lesen beigebracht. Mit dieser Technologie lässt sich auch in der Pandemie etwas anfangen. Die Anyline-Datenerfassungssoftware kommt nämlich bei Corona-Tests zum Einsatz und wird eine noch gewichtigere Rolle spielen, sobald die Impfungen beginnen.

Unter anderem arbeitet Anyline mit Lead Horizon zusammen, einem Start-up, das Corona-Schnelltests entwickelt hat, die es bei Bipa zu kaufen gibt. Kunden geben eigenständig eine Speichelprobe ab, die dann für einen PCR-Test ins Labor kommt. Über die Lead-Horizon-App scannt der Nutzer seine Daten ein (Führerschein oder Reisepass), um sich zu identifizieren. Diese Daten werden hinterlegt und im Fall eines positiven Ergebnisses an die Behörde weitergeleitet. Den Scan ermöglicht Anyline.

E-Card scannen

Corona öffnet den Wienern die Tür zu einem weiteren Geschäftsfeld: Impfungen. Es zeichnet sich bereits ab, dass die ersten Chargen des Impfstoffs nicht für die ganze Bevölkerung reichen. Vulnerable Personengruppen und medizinisches Fachpersonal werden Vorrang haben, sagen Entscheidungsträger. Die Impfungen sollen zum Teil von mobilen Teams durchgeführt werden.

"Zusammen mit der IT-Abteilung der Sozialversicherung (ITSV) haben wir eine Lösung für den neuen E-Impfpass und E-Cards entwickelt, damit die Registrierung papier- und kontaktfrei und ohne eigens angeschaffte Scanner an vielen Orten gleichzeitig durchgeführt werden kann", sagt Anyline-Geschäftsführer Lukas Kinigadner im Gespräch mit dem STANDARD. Der Ablauf sei digital und mit deutlich weniger Aufwand verbunden als beispielsweise die Massentests. Man spare es sich überdies, eigene Scanner anzuschaffen.

Krisengewinner

Wie so viele hat Corona das Unternehmen kalt erwischt. Anfang Jänner gab es noch ein Investment in Höhe von knapp elf Millionen Euro, das Team wurde von 50 auf 80 Mitarbeiter aufgestockt, und auch sonst gab es zahlreiche Pläne, aus denen dann vorerst nichts wurde. "Als im Frühjahr plötzlich die Welt stillstand, mussten wir umdisponieren", sagt Kinigadner. "Wir haben unsere Website sowie Produkte und unsere internen Strukturen überarbeitet." Dann ergaben sich jedoch neue, unerwartete Aufträge, und die Bestandskunden hätten ihnen nicht den Rücken zugekehrt. Für die Zukunft könne er sich weitere Geschäftsmöglichkeiten in der Gastro und Hotellerie vorstellen. Zum Beispiel in der kontaktlosen Kunden- und Gästeregistrierung, die auch gerade von der Politik diskutiert wird.

Viele andere in der Start-up- und Tech-Branche traf die Krise bekanntermaßen sehr hart. "Die Corona-Hilfen für die Start-ups waren essenziell, die Politik hat vieles richtig gemacht, aber das Zeitmanagement war teilweise furchtbar", meint Kinigadner. Natürlich wäre es punktuell besser gegangen, er wolle mit Wirtschaftsministerin Schramböck momentan auch nicht den Platz tauschen. Aber das lange Warten und die Ungewissheit seien verheerend. "Der zweite Start-up-Hilfsfonds ist nach über neun Monaten immer noch nicht vollständig da, obwohl er laufend angekündigt wurde. Für viele, die Hilfe gebraucht hätten, ist es jetzt schon zu spät."

Wer ist Anyline

Optical Character-Recognition (OCR) nennt sich Anylines Technologie im Fachjargon – zu Deutsch: Texterkennung. Seit 2013 entwickelt die Firma mobile Scan-Lösungen für die Industrie und die Verwaltung. Die Software erkennt Schriftzeichen ohne Internetverbindung in Echtzeit und bereitet sie so auf, dass die Daten von anderen Programmen weiterverarbeitet werden können. Zu den mehr als 200 Kunden zählen Firmen wie Pepsi, Toyota und Porsche, aber auch Organisationen wie die Uno oder die Polizei in Österreich und Teilen Deutschlands. Der Jahresumsatz bewegt sich im einstelligen Millionenbereich.

Im Oktober startete Anyline eine Forschungskooperation mit Österreichs KI-Aushängeschild Sepp Hochreiter von der Uni Linz und finanziert in den kommenden drei Jahren eine Doktorandenstelle (DER STANDARD hat berichtet). Maschinen lernen derzeit primär durch die Analyse großer Datenmengen. Weil das aufwendig ist, wird in der Forschung der Ansatz des "few shot learning" verfolgt. Ähnlich wie Menschen sollen Systeme künstlicher Intelligenz aufbauend auf vorhandenem Wissen anhand nur weniger Beispiele neue Fähigkeiten erlernen. (Andreas Danzer, 15.12.2020)