Inhalte des ballesterer (http://ballesterer.at) #157 (Jänner/Februar 2021) – Seit 11. Dezember im Zeitschriftenhandel und digital im Austria-Kiosk (https://www.kiosk.at/ballesterer)

SCHWERPUNKT: TONI POLSTER

WAS GILT DER STAR IM EIGENEN LAND?

Bilanz einer bewegten Karriere

DER TONI MACHT DIE MUSIK

Polster als Sänger

KOST FAST NIX

Polster in der Werbung

JA, DAS STIMMT

Polster in der Parodie

Außerdem im neuen ballesterer:

DIE TASKFORCE TAGT

Zukunftspläne für die deutsche Liga

ULTRAAMBIVALENT

Polens Fans im Konflikt um das Abtreibungsgesetz

KRISE IM WALDVIERTEL

Der SV Horn sucht Sponsoren

HADERN AUF DER HAD

Der 1. Simmeringer SC und die Lockdowns

AUFSTIEGSCHANCEN

Der Arbeiterklub Degerfors will nach oben

FALSCHE VERSPRECHEN

Die Rijeka-Fans wollen zurück ins Kantrida

DIE HERRLICHKEIT DES FRAUENFUSSBALLS

Ein Auszug aus Megan Rapinoes Autobiografie

AMERIKANISCHE BANDEN

Slavisa Zungul und der Hallenfußball

LIEBE IM GERUNDIUM

Zur Würdigung von Diego Armando Maradona

GROUNDHOPPING

Matchberichte aus Ungarn und Deutschland

Im Innenhof des Gemeindebaus am Brunnweg in Wien-Favoriten herrscht Aufregung. Eine Gruppe Acht- bis Zwölfjähriger hat sich um einen großgewachsenen, weißhaarigen Mann versammelt und befragt ihn zu seiner Kindheit auf der Siebenerstiege. Als der Mitarbeiter von Wiener Wohnen erkennt, um wen es sich handelt, pirscht er sich heran und legt schließlich die signalfarbene Weste ab. Ob er ein Selfie mit ihm machen dürfe? Toni Polster nickt, natürlich.

"Wer A sagt, muss auch B sagen", pflegt er solche Momente zu kommentieren: Wer so viel Talent zeigt, dass Bekanntheit unausweichlich ist, muss mit den Konsequenzen im Alltag leben. Auf dem kurzen Spaziergang zur Konditorei, in der das Interview stattfinden wird, erzählt er von den Schaumhäferln, die ihm die Oma mitgebracht habe. Alles andere, was es über ihn zu wissen gebe, sagt er, "wisst ihr doch eh schon".

ballesterer: Sie waren als Fußballer, Vereinspräsident, General Manager, Trainer, Marketingmitarbeiter, Sänger, Tänzer, Showmaster, TV-Kommentator, Kolumnist und Testimonial aktiv. Kommt für Sie noch eine Beschäftigung infrage, die abseits der Öffentlichkeit passiert?

Toni Polster: Mit meinem Gesicht und meinem Namen wird das schwierig. Ich werde kaum irgendwo Reifen wechseln. Aber ich könnte es, denn ich bin es gewohnt, mich durchzubeißen.

ballesterer: Setzt Ihnen Ihr Bekanntheitsgrad manchmal zu?

Polster: Ich kenne es ja nicht anders. Ich bin immer schon als Star gehandelt worden. Mit 16 Jahren hat mich in Wien fast jeder auf der Straße erkannt. Alle Menschen in meinem engeren Umfeld haben mir auf die Schulter geklopft. Das irritiert, denn in dem Alter bist du noch keine fertige Persönlichkeit. Nach der Grundausbildung beim Bundesheer war ich dann bei der Austria auf einmal Bankerldrücker. Da ist mir klar geworden, dass ich mich entscheiden muss: Entweder bist du eine Sternschnuppe, die schnell wieder untergeht, oder du bist ein Stern, der oben leuchtet. Ich habe mir also meinen eigenen Trainingsplan gemacht, um wieder in Form zu kommen. Der Rest ist Geschichte.

ballesterer: Sie haben einmal gesagt, Sie seien das Gegenteil eines Trainingsweltmeisters und dann besonders gut, wenn man Ihnen zusehe. Lässt sich das auch auf andere Lebensbereiche übertragen?

Polster: Unbedingt. Wenn anderen das Herz in die Hose rutscht, werde ich stärker. Das ist überall so – ob beim Tennis oder beim Kartenspielen. Ich bin eine Rampensau. Das ist auch ein Phänomen: Ich habe Mitspieler gehabt, die viel besser waren als ich. Aber sie haben sich ein Dress angezogen und waren um 40 Prozent schlechter. Wenn es darauf angekommen ist, war ich immer da.

ballesterer: Am 15. November 1989 sind Sie beim WM-Qualifikationsspiel gegen die DDR vom Großteil der Fans in Wien ausgepfiffen worden. Dann haben Sie Österreich mit drei Toren zur Endrunde nach Italien geschossen. Woher haben Sie die Willensstärke genommen?

Polster: Das Durchsetzungsvermögen habe ich von meiner Mutter geerbt. An diesem Tag schien meine Kraft für die Ewigkeit zu reichen. Ich bin dem lieben Gott dankbar dafür, dass er mich so stark aufs Feld geschickt hat und dass ich viele Dinge geschafft habe, die mir niemand zugetraut hat.

ballesterer: Wie erklären Sie sich die Ablehnung durch die Anhänger des Nationalteams?

Polster: Eine ganze Nation lastete auf meinen Schultern. Damals waren ja nur zwei Legionäre pro Verein erlaubt. Ich war erst in Italien einer der Auserwählten und dann in Spanien. Natürlich hat man von mir Wunder erwartet. Die habe ich nicht abliefern können. Ich war zwar gut, aber nicht so gut, dass ich das im Umbau begriffene Nationalteam genug hätte beeinflussen können. Das hat ein bisschen gedauert. Aber dieses Spiel hat alles geändert. Da bin ich auf einmal vom unbeliebtesten zum beliebtesten Sportler geworden. Später hat man mich zum Sportler des Jahres gewählt. Da sieht man, wie schnell so etwas geht.

ballesterer: Ist es legitim, Sie als Trotzkopf zu bezeichnen? Laufen Sie zur Höchstform auf, wenn man Sie kritisiert?

Polster: Das glaube ich schon. Ich habe meine Leistung oft aus Konflikten gezogen.

Video von Marc Jarabe, ballesterer
ballesterer

ballesterer: Wir haben uns vor Kurzem mit einem Austria-Fan über Sie unterhalten. Er hat gesagt: "Toni Polster war zwar der Beste, aber er hat sich nicht dafür entschuldigt." Hätte man Ihnen schneller verziehen, wenn Sie bescheidener gewesen wären?

Polster: Das ist ein schöner Satz. In Österreich habe ich immer das Gefühl gehabt, ich muss mich für das entschuldigen, was ich im Ausland erreicht habe. Hier glauben viele Menschen, dass sie sich selbst erheben können, wenn sie andere schlecht machen. In anderen Ländern ist es oft umgekehrt: Da erhebt man sich, indem man andere erhebt. Das ist etwas, das mir an unserer Mentalität nicht gefällt.

ballesterer: Haben Ihnen umgekehrt einige unterstellt, dass Sie sich für etwas Besseres halten?

Polster: Ich habe polarisiert, natürlich. Vielleicht unbewusst, vielleicht bewusst. Ein Dazwischen gab es bei mir nicht. Man hat mich geliebt – oder halt nicht. Das Mittelding habe ich nie gewollt.

ballesterer: In einem Instagram-Posting haben Sie vor wenigen Wochen die Austria-Führung scharf kritisiert. Warum lässt Sie der Verein nicht los?

Polster: Bevor ich auf Instagram ein Statement abgebe, rede ich mit 150 Leuten. Darunter sind 40 Austrianer, und die klagen mir ihr Leid. Ich bin selbst Austrianer und werde das immer bleiben. Von Vorstand Markus Kraetschmer hätte ich mir trotz meines kurzen Missverständnisses mit Frank Stronach mehr Respekt gewünscht. Ich finde es beschämend, wenn der beste Torschütze in der Geschichte der Wiener Austria nicht zur Stadioneröffnung eingeladen wird. Das ist unterstes Niveau.

ballesterer: Nutzen Sie soziale Medien, um sich in öffentliche Debatten einzumischen?

Polster: Das Schöne an Social Media ist ja, dass ich mich selbst zu Wort melden kann und nicht darauf warten muss, dass mich jemand fragt. Wir machen außerdem bezahlte Kooperationen über Instagram. Neulich hat mir mein Team geschrieben: "Es ist Nationalfeiertag. Machen wir etwas dazu." Das geht mir aber zu sehr ins Politische. Ich habe meine Meinung, aber die sage ich nicht in der Öffentlichkeit, weil ich da zu wenig im Thema bin.

ballesterer: Durch die Sendung "Schlag den Toni" auf oe24.tv mit Philippa Strache und anderen FPÖ-Mitgliedern haben Sie sich durchaus politisch positioniert.

Polster: Das ist eine Quizsendung. Das hat ja mit Politik nichts zu tun.

ballesterer: Gibt es Werbepartnerschaften, die Sie bereuen?

Polster: "Club7 Poker" bereue ich, weil die Verantwortlichen verschwunden sind und ich das Geld nicht gekriegt habe. Aber sonst kann ich für alles geradestehen. Zum Teil waren das Riesenerfolge. "Dany + Sahne" hat damals den Umsatz um 20 Prozent gesteigert.

Foto: Daniel Shaked, ballesterer

ballesterer: Sie haben eine Einladung ins Dschungelcamp des deutschen TV-Senders RTL ausgeschlagen. Warum?

Polster: Ich werde bei jeder Staffel gefragt. Das sind tolle Angebote, aber ich bin Trainer, und ich müsste meine Mannschaft dafür vier bis sechs Wochen alleine lassen. Das tut man einfach nicht, auch nicht für viel Geld.

ballesterer: Woran liegt es, dass Sie als Trainer nicht so erfolgreich sind wie als Spieler?

Polster: Ich bin ja erfolgreich gewesen. Mit den LASK Juniors bin ich in die Regionalliga aufgestiegen. Mit der Wiener Viktoria bin ich dreimal Meister geworden und habe einmal den Wiener Pokal gewonnen. Einmal sind wir auch abgestiegen, aber als Viertletzter, was ein Skandal ist. Es gibt keine andere Liga der Welt, in der vier Mannschaften absteigen. Ich war also nicht unerfolgreich. Nur bin ich nicht dorthin gekommen, wo ich mich fix gesehen habe, nämlich in die Bundesliga oder zum Nationalteam.

ballesterer: Warum hat das nicht funktioniert?

Polster: Ein Grund ist sicher, dass viele Ehrenamtliche im Fußball glauben: Wenn ich komme, kriegen sie zu wenig Sonne. Ich will dort auch gar nicht mehr hin. Da, wo ich bin, bei der Wiener Viktoria, bin ich sehr gut aufgehoben.

ballesterer: Würde der ÖFB Ihnen heute einen Trainerposten anbieten, hätte er also keine Chance?

Polster: Ich glaube nicht. Sie haben mich einmal gefragt, ob ich Stürmertrainer werden will. Das war ein gutes Gespräch mit Willi Ruttensteiner vor fünf Jahren. Bis heute hat er mir keine Antwort gegeben. Leo Windtner, der Präsident, sagt mir jedes Mal, wenn wir uns sehen: "Toni, ich hab dich im Fokus." Da sage ich immer: "Super, Präse."

ballesterer: Der Obmann der Wiener Viktoria, Roman Zeisel, sagt, dass Sie überall im Verein Verbesserungspotenzial fänden. Machen Sie sich damit unbeliebt?

Polster: Dinge, die mich stören, müssen wir irgendwie regeln, nicht? Bevor man drei oder vier Wochen darauf wartet, dass etwas repariert wird, macht man es besser selbst. Oder man teilt jemanden ein. Wenn ich in meinem Arbeitsumfeld Schwächen sehe, versuche ich, sie auszumerzen. Das ist wie bei der Mannschaft. Es ist möglich, dass mich das bei manchen unbeliebt macht.

Foto: Daniel Shaked, ballesterer

ballesterer: Bekommen Ihre Kollegen einen Vertrauensvorschuss, oder sind Sie jemand, der kontrolliert?

Polster: Grundsätzlich arbeite ich nur mit Menschen zusammen, denen ich vertraue. Das war bei der Admira ein Fehler. Ich wollte nicht mit Oliver Lederer als Co-Trainer zusammenarbeiten, aber das war eine Bedingung für den Job. Im Fußball muss man oft Entscheidungen treffen, ohne die Zukunft abschätzen zu können. Als ich nach Köln gekommen bin, habe ich nicht gewusst, ob ich dahin passe, ob mir die Stadt gefällt oder der Fußball, der dort gespielt wird. Ich bin gekommen, weil das Angebot gut war. Dass mir die Menschen dann sagen, ich bin der einzige Kölner in der Mannschaft, das war wie ein Ritterschlag.

ballesterer: Als Spieler waren Sie dafür bekannt, sich nicht immer an die Regeln zu halten. Was raten Sie heute einem jungen Spieler?

Polster: Ich glaube, man muss immer im Rahmen bleiben, aber man muss auch ein Schlaumeier sein. Man muss die Wahrheit so biegen können, dass es passt. Wenn man nur angepasst ist, wird es wahrscheinlich mit dem Fußball nicht funktionieren. Das ist wie in der Kunst. Ein bisschen schlau zu sein, schadet nicht.

ballesterer: Ihre Spieler sagen über Sie, Sie seien ein ausnehmend schlechter Verlierer.

Polster: Es ist schon besser geworden, aber zu verlieren, ist nach wie vor etwas, das ich hasse wie die Pest. Das Wochenende nach einer Niederlage ist ziemlich trist.

ballesterer: Gleichzeitig werden Sie für Ihren Schmäh geschätzt. Erfüllen Sie gerne die Rolle des Unterhalters?

Polster: Ich bin der Überzeugung, dass Arbeit Spaß machen muss. Ich möchte, dass meine Spieler gerne zum Training kommen und mit einem Lächeln den Platz verlassen. Ich habe viel erreicht, wenn ein Spieler über mich sagt: "Er hat mich zwar nie aufgestellt, dieser Schweinstrainer, aber menschlich war er okay."

ballesterer: Wie lange bleiben Sie noch bei der Wiener Viktoria?

Polster: Ich glaube, es ist den Vereinsverantwortlichen und mir bewusst, dass es irgendwann einmal zu Ende gehen muss. Und wir fürchten uns vor diesem Tag. Was danach kommt, weiß ich noch nicht. Irgendetwas, das mich reizt. (Mareike Boysen und Mario Sonnberger, Video: Marc Jarabe, 14.12.2020)