Nicht so ein Pirat.

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Es ist noch gar nicht so lange her, da war Netflix für viele eine Art Synonym für Video-Streaming-Plattformen. Doch im vergangenen Jahr hat sich in dieser Hinsicht einiges getan: Mit Disney+ ist ein starker Gegner hinzugekommen, und auch Apple bietet über Apple TV+ eigene Serien und Filme an. In den USA gibt es dazu noch einige andere Plattformen, die auf dem Sprung zu einer globalen Expansion sind. So hat etwa Warner Media gerade erst angekündigt, seinen Streaming-Dienst HBO Max 2021 auch in Europa an den Start schicken zu wollen.

Alles hat zwei Seiten

Ein Phänomen, das man aus zweierlei Perspektiven betrachten kann: Zunächst wäre da der unleugbare Umstand, dass das Angebot für Film- und Serienfans so groß ist wie nie zuvor. Wer etwa eine gesteigerte Affinität zum Superhelden-Genre pflegt, der bekommt in den kommenden Monaten zahlreiche neue Serien und Filme geboten, die es ohne den aktuellen Streaming-Boom wohl nie gegeben hätte. Doch auch im Bereich der Dokumentationen oder anspruchsvolleren Filme wird mittlerweile vieles produziert, das es früher niemals über das Konzeptstadium hinaus geschafft hätte.

Ein nicht so kleines Aber

Doch es gibt eben auch einen anderen Blickwinkel, und zwar: Wer soll das eigentlich alles noch bezahlen? Wer sich Netflix, HBO Max, Disney+ und vielleicht auch noch Apple TV+ leistet, der muss monatlich einen durchaus signifikanten Betrag abliefern. Rechnet man dann noch dazu, dass Youtube bei intensiver Nutzung ohne Abo eigentlich kaum mehr schaubar ist und dass es ja auch noch Amazon Prime Video und andere Plattformen wie Sky X, Flimmit oder Zattoo gibt, kommt schon ein veritables Sümmchen zusammen.

Nun wird natürlich niemand dazu gezwungen, all diese Abos abzuschließen. Gleichzeitig: Während früher fast alles auf Netflix – oder im besten Fall noch Prime Video – zu finden war, sind die Serien- und Filmhits künftig über all diese Plattformen verstreut. Wer nicht gerade einen ziemlich monotonen Geschmack hat, der wird also schnell in Versuchung kommen, hier bei mehreren Anbietern zuzuschlagen.

Ein Comeback

Freilich ist das längst nicht allen finanziell möglich, andere sehen wiederum prinzipiell nicht ein, warum sie so viel Geld für diese Inhalte ausgeben sollten. Und so zeichnet sich ab, dass der Streaming-Boom paradoxerweise die Wiederbelebung eines Themas bringen könnte, um das es in den vergangenen Jahren merklich ruhiger geworden ist: die Piraterie.

Solange das Film- und Serienbedürfnis zu einem überschaubaren Preis auf ein oder zwei Plattformen abgedeckt wurde, gab es für viele schlicht keinen Grund, sich die zusätzliche Arbeit für das Besorgen entsprechender Kopien via Bittorrent oder Usenet-Gruppen anzutun. Muss man aber plötzlich monatlich das Zwei- bis Dreifache zahlen, um die eigenen Interessen abzudecken, verschiebt sich diese Kalkulation schnell in die andere Richtung.

Schlechtere Nutzererfahrung

Dazu kommt aber noch ein anderer Punkt, der aus der Zersplitterung des Angebots indirekt resultiert: Viele Plattformen heißt auch, dass es für die Nutzer viele unterschiedliche Anlaufpunkte gibt. Gibt es diesen Film nun auf Disney+ oder bei Amazon? War jene Serie bei Netflix, oder ist sie mittlerweile zu HBO Max gewandert? Welche App muss ich jetzt öffnen, und auf welchem Gerät läuft die? Das ist mühsam und unübersichtlich. Bei eigenen Medienzentralen hat man dieses Problem schlicht nicht, da stehen all diese Inhalte gleichberechtigt nebeneinander. Zugegeben, üblicherweise mit einem rechtlich weniger einwandfreien Hintergrund, aber das stellt in Relation zur Bequemlichkeit und dem Kostenunterschied wohl nicht für alle das ganz große moralische Problem dar.

Für die Streaming-Plattformen könnte dies übrigens noch einen anderen unerfreulichen Nebeneffekt haben – also ganz unabhängig von der Piraterie –, kommt so doch den Aggregatoren eine zunehmende Bedeutung zu – also etwa Amazon und Google mit ihren Streaming-Geräten. So versucht sich Google schon bei seinem aktuellen Chromecast an der Zusammenführung von Inhalten aus unterschiedlichen Quellen. Das ist aus Nutzersicht erfreulich, heißt aber natürlich auch, dass Google – oder wer auch immer diese Plattform jeweils betreibt – entscheiden kann, was hier prominent empfohlen wird – und damit auch indirekt mitbestimmt, was ein Hit wird und was ein Reinfall.

Gute Zeiten für Piraten

Doch zurück zur Piraterie: denn gerade die kommenden Monate könnten in dieser Hinsicht besonders intensiv werden – plant doch Warner, programmierte Hits wie "Wonder Woman 1984", "Dune" oder auch "Matrix 4" parallel zum Kinostart auf HBO Max zu veröffentlichen. Das gilt aber nur für die USA. Es bedarf keiner besonderen seherischen Fähigkeiten, um zu prognostizieren, dass sich Kopien – und in diesem Fall in perfekter Qualität – in Windeseile in andere Länder verbreiten und dort neue Downloadrekorde erzielen werden.

Gibt es eine smartere Antwort?

Bleibt abzuwarten, ob die Branche dieses Mal eine originellere Antwort auf die Piraterie findet als den Versuch, gegen alles und jeden zu klagen. Denn mit dieser Strategie ist man schon vor mehr als zehn Jahren auf allen Ebenen gescheitert. Und das wird auch dieses Mal nicht anders sein. Wenn die Erfahrung etwas zeigt, dann dass nur ein besseres Angebot zu vernünftigen Preisen die Piraterie zurückdrängt. Dafür müssten die Anbieter allerdings auch bereit sein, zusammenzuarbeiten – etwas, wofür man in dieser Branche nicht gerade berühmt ist. (Andreas Proschofsky, 21.12.2020)