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Müde, aber sichtlich zufrieden: Emmanuel Macron.

Foto: Olivier Hoslet, Pool via AP

Zähe EU-Marathongipfel sind für Charles Michel inzwischen fast schon ein Markenzeichen. Ende Juli ließ der Ständige Präsident des Europäischen Rates "seine" 27 Staats- und Regierungschefs vier Tage lang – mit kurzen nächtlichen Unterbrechungen – durchverhandeln.

Erst dann waren sie "weichgeklopft", hatten sich im Prinzip auf einen rekordverdächtigen EU-Budgetrahmen bis 2027 verständigt, der sich vor allem durch eine wesentliche Neuerung auszeichnete: Neben den 1.100 Milliarden Euro an regulären Ausgaben sollte ein Wiederaufbaufonds im Umfang von 750 Milliarden Euro zusätzlich aufgebaut werden, der noch dazu mittels erst zu schaffender Klimaabgaben der Union finanziert werden sollte (siehe Wissen unten).

Gelungenes Budget

Im Vergleich dazu war das jüngste Treffen in Brüssel, das am Freitag kurz nach zehn Uhr zu Ende ging, nach Michel-Maßstäben beinahe locker: Man brauchte "nur" 21 Stunden Dauerverhandlungen durch die ganze Nacht, um am Ende zu praktisch allen eher schwierigen, national heiklen Themen auf der Tagesordnung doch noch eine Kompromisslösung zu finden.

Am Abend war das beim Budget gelungen, das an einem Veto Ungarns und Polens wegen eines neuen Sanktionsmechanismus bei Verstößen gegen die Rechtsstaatlichkeit zu scheitern drohte.

In der Nachtschicht widmete man sich dann ganz einer Schlacht um verschärfte Klimaziele: Bis 2030 will die EU ihren Treibhausgasausstoß um 55 Prozent statt um 40 wie bisher geplant reduzieren (gemessen an 1990), um die Pariser Klimaziele bis 2050 zu erreichen. Diese Zahl war weniger umstritten als die Bedingungen für die Mitgliedsstaaten, wie sie das umsetzen, wie sie die Wettbewerbsfähigkeit in gewissen Branchen erhalten – und welche EU-Subventionen sie aus Brüssel dafür erhalten (siehe Frage & Antwort unten). Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz betonte, dass dies etwa für den Erhalt des Standortes der Voest und im Stahlbereich ein entscheidender Faktor sei.

EU-Position zum UN-Klimagipfel

Weil es neben dem Dauerproblemfall Brexit am Ende doch gelungen ist, vor allem die künftige Finanzierungsbasis der Europäischen Union sicherzustellen, zeigte sich der Ständige Ratspräsident überaus zufrieden, auch wenn es "zeitweise sehr schwierig war", wie er sagte. Das sei vor allem deshalb bedeutend, weil am Samstag eine große UN-Konferenz zum Pariser Abkommen stattfinde. "Dazu gibt es nun eine gemeinsame europäische Haltung, die auch kohärent ist", betonte Michel.

Er erinnerte daran, dass man zum Start der neuen EU-Kommission unter Präsidentin Ursula von der Leyen vor einem Jahr den "Green Deal" als die erste Priorität europäischer Politik definiert habe. Wenige Wochen später kam die schwere Krise durch die Corona-Pandemie. Nun habe man aber erfolgreich die Instrumente zur Verfügung, die es brauche, um eine zukunftsgerichtete Politik machen zu können.

Er bedankte sich extra bei der deutschen Kanzlerin Angela Merkel, der aktuellen Ratspräsidentin. Mit ihr habe er "jeden Tag, Zentimeter für Zentimeter, weitergearbeitet". Merkel bekannte, dass auch ihr "ein Stein vom Herzen gefallen" sei. Jetzt müsse auf den nationalen Ebenen umgesetzt werden. Von der Leyen rief bei der Pressekonferenz in Richtung ihrer Landsfrau aus: "Was für eine Präsidentschaft!" Für die Kanzlerin war dieser Gipfel der krönende Abschluss auf der EU-Bühne. Sie wird im Herbst 2021 bei der Bundestagswahl nicht mehr antreten.

Ausweitung der Türkei-Sanktionen

So erleichtert sie war, so enttäuscht zeigte sich Merkel in Bezug auf die Türkei: "Ich hätte mir eine andere, erfreulichere Situation gewünscht. Das ist enttäuschend für uns. Wir reichen der Türkei aber weiter die Hände."

Der Gipfel hat eine Ausweitung von (leichten) Sanktionsmaßnahmen gegen die Türkei beschlossen. Vor allem wegen des Streits um die Förderung von Gas im Mittelmeer liegt Ankara mit Zypern – und damit mit der EU – im Dauerkonflikt, den Präsident Recep Tayyip Erdoğan auch ständig anheizt. Aber das von den Vertretern einer härteren EU-Haltung – darunter Österreich und Frankreich – geforderte Waffenembargo kommt nicht.

Hoffen auf Joe Biden

Neben der Türkei waren die EU-Außenbeziehungen auch zu Russland und den USA eines der Kernthemen des Gipfels. Es zeigte sich erneut, dass dieses Feld eine der großen Schwächen der Union ist. Denn auch im Verhältnis zu Russland gibt es keinerlei Anzeichen für eine Entspannung. Die Regierungschefs verlängerten die seit 2014 wegen des Ukraine-Konflikts bestehenden Sanktionen gegen Moskau. Umso mehr Hoffnungen setzt man auf eine Wiederbelebung des strategischen transatlantischen Verhältnisses zu den USA unter dem neuen Präsidenten Joe Biden ab 20. Jänner 2021.

Durchgewinkt wurde das von der Kommission erarbeitete Konzept zur Terrorbekämpfung und des Islamismus. Es war von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron mit Kurz und Merkel im November in Paris nach dem Anschlag in Wien angestoßen worden. Auch bei Corona-Maßnahmen will man sich besser koordinieren. (Thomas Mayer aus Brüssel, 11.12.2020)