Um die Pandemie in den Griff zu bekommen, muss die Regierung die Bevölkerung stärker einbinden, fordert Heinrich Breidenbach, Unternehmer und früherer Pressesprecher für die Grünen in Salzburg.

Die Beteiligung an den Massentests ist bisher überschaubar. In sieben Bundesländern, darunter Salzburg, Oberösterreich und Kärnten, sind am Wochenende Schnelltests möglich.
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Es wäre so einfach. Die meisten Corona-Infizierten erkranken gar nicht oder haben nur leichte Symptome. Ein kleinerer Prozentsatz erkrankt schwerer und langwieriger. Ein noch kleinerer Prozentsatz muss ins Krankenhaus und dort allenfalls auf eine Intensivstation. Der allerkleinste Prozentsatz stirbt. Aber je mehr Infizierte es gibt, desto größer werden in absoluten Zahlen die kleinen Prozentsätze. Und irgendwann schaffen dann unsere Krankenhäuser, die Ärzte und Ärztinnen, die Pfleger und Pflegerinnen die zusätzliche Belastung neben den "normalen" Kranken nicht mehr.

Eine solidarische, zivilisierte Gesellschaft muss daher gemeinsam versuchen, die Zahl der Infizierten möglichst zu begrenzen. Bis es eine zugelassene, sichere Impfung gibt, müssten wir nur Abstand halten, Hände waschen, Mund-Nasen-Schutz tragen, Testangebote annehmen und Kontakte einschränken. Nichts Schlimmeres oder Schwierigeres soll uns passieren im Leben! Theoretisch müsste das eine moderne Gesellschaft mit aufgeklärten Bürgern und Bürgerinnen gut schaffen. Praktisch funktioniert es aber nicht.

Wir bekommen die Pandemie auch mit schweren und sehr teuren Eingriffen in das private und wirtschaftliche Leben nicht in den Griff. Ein zu großer Teil der Bevölkerung macht einfach nicht mit.

Survival of the Fittest

Trotz Grauzonen und diffuser Überschneidungen können zwei große Gruppen benannt werden. Einmal sind es die Bösartigen. Esoterische Spinner, Mediziner, die auf sich aufmerksam machen wollen, unverwundbare Machos, verbitterte Obskuranten, skrupellose Barbetreiber, hasserfüllte Psychopathen, Rechtspolitiker, deren Rezepte darauf hinauslaufen, einen Teil der Bevölkerung – "die besonders Schützenswerten" – brutal abzusondern, und beim großen Rest ein Survival of the Fittest zu veranstalten.

Corona wirkte als Turbo dafür, dass sich dieses Konglomerat zu einer politischen, mehr noch zu einer sozialen Kraft verfestigte. Mit einigem Erfolg und voller Absicht sabotiert sie ganz bewusst alle Maßnahmen zur Eindämmung des Virus. Sie versteht Demokratie und ihre Freiheiten als das Recht, Teil einer Meute zu sein. Diese Gruppe ist vorläufig mit positiver, aufklärender Kommunikation nicht zu erreichen.

Angst vor Spott

Aber es gibt auch die zweite Gruppe. Die vielen Bürger und Bürgerinnen, die schlecht oder miserabel leben, die große und andere Sorgen haben, die Gefahren ganz anders wahrnehmen, die Angst vor Spott, um den Job, um die Existenz, ihre Akzeptanz und ihr soziales Leben haben. Sie treffen sich "privat". Sie setzen keine Maske auf. Sie lügen beim Contact-Tracing, weil sie ihr Umfeld nicht vernadern wollen. Sie gehen selbst bei leichten bis mittelschweren Symptomen nicht zum Arzt und rufen auch keine Hotline an. Sie wollen nicht "erfasst" werden. Sie verweigern die gratis angebotenen Massentests. Sie verhalten sich bei der Arbeit so, wie es die Mehrheit oder die Vorgesetzten vorgeben. Die Regierung müsste zumindest versuchen, diese Teile der Bevölkerung zu erreichen. Das tut sie aber nicht.

Letzte Woche beim Einbau von neuen Fenstern. Einer nach dem anderen kommen sieben Handwerker von zwei verschiedenen Firmen ohne Maske, ohne Abstände hereinmarschiert. Den ganzen Tag über wurde so zusammengearbeitet. Oder eine Flüchtlingshelferin berichtet, dass sich 16 (!) ihrer Schützlinge in einer kleinen Wohnung zum gemeinsamen Essen getroffen haben. Alle 16 waren nachher positiv. Kein Vorwurf. Wer Bomben, Granaten, Folter, Attentate, Gewalt, Hunger und Willkür als Gefahren erlebt hat, nimmt dieses Virus anders wahr.

Mangel am Wollen

Es ist einfach so, dass ein guter Teil der Bevölkerung nicht (mehr) über die klassischen Instrumente der politischen Kommunikation wie Pressekonferenzen, Interviews oder Inserate zu erreichen ist. An diese Menschen kommt man auch mit dem Dreifachen an Ganzseiteninseraten und doppelt so vielen Pressekonferenzen nicht heran. Es mangelt der Regierung nicht an Geld, es mangelt an Hirn und sachbezogenem Wollen. Es ist ein längst bekanntes Phänomen in der Gesundheits- und Umweltkommunikation, dass die ersten Bevölkerungsprozente schnell und einfach etwa für Mülltrennung, Vorsorgeuntersuchungen, Bewegung oder bewusstere Ernährung zu erreichen sind, es dann aber zunehmend schwieriger wird. Bei den jeweils "letzten" Prozentsätzen beißt man sich die Zähne aus.

Was tun? Man müsste zum Beispiel die Flüchtlingshelfer und Flüchtlingshelferinnen als Verbündete gewinnen so wie die Vorarbeiter und Vorarbeiterinnen, die Poliere und Polierinnen, die Unternehmer und Unternehmerinnen, die Betriebsräte und Betriebsrätinnen, die Sozialarbeiter und Sozialarbeiterinnen, die Sportler und Sportlerinnen, die Meinungsmacher und Meinungsmacherinnen der verschiedenen Sozietäten, die Künstler und Künstlerinnen, die Lehrer und Lehrerinnen und Schulkinder, die ihre Eltern und Großeltern erziehen. Die können das!

Wo sind die gezielten Anstrengungen in diese Richtungen?

Vertrauen sinkt

Diese Unterlassungen wiegen schwer. Weil ohne die bislang nicht Erreichten zu erreichen wird man gegen diese Pandemie nicht erfolgreich ankommen.

Die zuletzt sehr geringe Beteiligung an den Massentests sind ein drastischer Hinweis auf die Defizite. Ganz offensichtlich wird es schwieriger, notwendige Maßnahmen durchzusetzen. Das Vertrauen in den Staat und seine Akteure sinkt. Abwägungen, Irrtümer, Unwissenheit, das oft notwendige Vortasten, das bei einer so neuen, dynamischen und riesigen Herausforderung eigentlich ganz normal ist, werden zunehmend als Ungerechtigkeit, Unfähigkeit, böse Absicht oder Verschwörung gesehen. Das sollte beunruhigen.

Es braucht jetzt Erfolge. Nicht nur wegen der Gesundheit, auch wegen der Demokratie. (Heinrich Breidenbach, 12.12.2020)