Während Speiseerdäpfel in Steigen gelagert werden, kann man Stärkeindustriekartoffel einfach aufeinandertürmen. Was schwerwiegende Folgen haben kann, die vier Männer nun vor Gericht brachten.

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Korneuburg – Obwohl Korneuburg nur gut 15 Kilometer Luftlinie von Wien entfernt liegt, kann man bei einem Besuch des Landesgerichts für Strafsachen Korneuburg mitunter in eine ziemlich andere Welt eintreten – wie beim Prozess gegen drei Angestellte einer Raiffeisen-Lagerhaus-Genossenschaft und einen für den Agrarkonzern Agrana tätigen Landwirt. Die Staatsanwaltschaft wirft den vier Unbescholtenen fahrlässige Beeinträchtigung der Umwelt vor. Durch 5.000 Tonnen der Sorte Solanum tuberosum, in Österreich unter dem Begriff Erdäpfel bekannt.

Genau genommen geht es um sogenannte Stärkeindustriekartoffel, die in den Agrana-Fabriken weiterverarbeitet werden sollten. Im Gegensatz zu Speisekartoffeln ist bei deren Zwischenlagerung auf wenig zu achten – sie können auch einfach zu einem Berg zusammengeschoben werden. Das geschah so im Oktober 2019 in einer dem Lagerhaus gehörenden Halle in einem 200-Einwohner-Dorf im Bezirk Gänserndorf.

"Habe geglaubt, es ist der Kanal"

Am Abend des 17. November fiel Frau L., einer Anrainerin, die vor Richterin Monika Zbiral als Zeugin aussagt, erstmals etwas Seltsames auf. "Ich habe mit meiner kleinen Tochter gebadet und mir gedacht, dass es stinkt. Ich habe aber geglaubt, es ist der Kanal." War es nicht, wie sie am nächsten Morgen feststellte. Denn aus dem Hahn kam auch da übelriechendes Wasser.

"Ich habe gestunken, wie wenn ich in einem Schweinestall gebadet hätte", beschreibt die Frau olfaktorisch gut vorstellbar, wie sie nach einer Dusche roch. Ihr Sohn bekam nach dem Haarewaschen sogar kurzfristig einen Ausschlag auf dem Kopf. Das aus einem Hausbrunnen stammende Wasser verfärbte sich im Lauf der Zeit auch noch: "Dann ist das Klo immer schwärzer geworden", berichtet die Zeugin.

Kein Schmutzwasserkanal

Der Grund waren die Erdäpfel. Denn in dem Berg hatten sich "Fäulnisnester" gebildet, die Folge war ausrinnendes "Fäulniswasser". Und da es keinen Schmutzwasserkanal gab, versickerte die Flüssigkeit im Boden und verseuchte das Grundwasser. Mehrere Nachbarn waren davon betroffen und müssen zum Teil heute noch mit einer Extraleitung aus anderen Brunnen versorgt werden.

Die drei Lagerhaus-Mitarbeiter bekennen sich vor Zbiral alle schuldig. Die Genossenschaft hatte das Gelände im Jahr 2018 bei der Übernahme eines anderen Unternehmens bekommen. Als Agrana wegen Lagermöglichkeiten anfragte, vermietete man die Halle und sorgte für die Abwaage der Erdäpfellieferungen. Ob eine Abwasserbehandlung vor Ort vorhanden ist, wusste niemand.

Der 45-jährige Drittangeklagte ist der Einzige, der sich nicht schuldig bekennt. Der Landwirt ist für Agrana als "Kulturberater" tätig. Der Begriff bezieht sich natürlich nicht auf den Vertrieb von Andreas-Gabalier-CDs, sondern auf Informationen für Bauern, was diese auf ihren Feldern anbauen sollen. Industriekartoffel seien eine Zeit lang sehr gefragt gewesen, mittlerweile gebe es ein Überangebot, erfährt man.

Keine Besorgnis wegen "Lackerl"

Im Sommer habe er die Lagerstätte mit dem Zweitangeklagten besichtigt und sei begeistert gewesen, da sie alle Anforderungen erfüllte. Bis auf den Kanal, aber auch dieser Angeklagte dachte offenbar nicht daran. Nach Beginn der Anlieferungen sei er alle paar Tage vorbeigekommen. Am 23. Oktober habe noch kein Fäulniswasser wahrgenommen, später einmal "ein paar Lackerl". Dokumentieren kann er das anhand von Fotos, die er bei den Besuchen aufgenommen hat. "Warum?", will Richterin Zbiral wissen. "Mache ich immer. Damit man sie bei Vorträgen und Beratungen über Erdäpfellagerung herzeigen kann." – "Es hätte ein Herzeigelager werden sollen?" – "Ja, eigentlich schon."

Beunruhigt hätten den Drittangeklagten die "Lackerl" aber nicht, da bei einem 5.000-Tonnen-Berg damit zu rechnen sei. Im Agrana-Werk Gmünd würden im Zuge der Verarbeitung die Fäulnissäfte als Dünger an die Landwirte der Umgebung weiterverkauft, erzählt der Drittangeklagte. "Ah, daher riecht es in Gmünd immer so. Zumindest früher", quittiert die Richterin diese Enthüllung.

"Massive Schaumbildung"

Ein für betroffene Anrainer tätiger Privatbeteiligtenvertreter zweifelt die Darstellung des Drittangeklagten an. "Das san ja kane Lackerl. Laut dem Vertreter der Bezirkshauptmannschaft sind das Bäche, zumindest Rinnsale, mit massiver Schaumbildung gewesen!" – "Das hat mich nicht beunruhigt. Nicht bei dieser Menge", beharrt der Drittangeklagte auf seiner Einschätzung. Eine gewisse Fäulnis sei üblich, die Ware aber in Ordnung gewesen.

Nachdem am 25. November die Bezirkshauptmannschaft das Lagerhaus über die Wasserverunreinigung informiert hatte, wurden die 5.000 Tonnen Erchtlinge, wie sie in Tirol genannt werden, in der Woche ab 27. November mit 27 Lastkraftwagen täglich abtransportiert, berichten die Angeklagten. 728 Tonnen, die "Fäulnisnester", wanderten in eine Biogasanlage, der Rest wurde wie geplant weiterverarbeitet.

Gemeinde riet zu Wassertest

Warum der Abbau des Grundbirn-Bergs erst begonnen wurde, nachdem bei den ersten Nachbarn seit zehn Tagen stinkendes Wasser aus der Leitung gekommen war? Zeugin L. schildert es so: "Es hat lange gedauert, bis wer reagiert hat." Bei der ÖVP-regierten Gemeinde habe man ihr zu einem Wassertest geraten. "Ich habe gesagt, ich brauche keinen Test, das Wasser stinkt, und so eine Analyse dauert ja ein paar Wochen." – "Sie wurden also bei der Gemeinde abgeschasselt, wie man so sagt", stellt die Richterin fest. "Ja. Erst die Bezirkshauptmannschaft hat dann schnell reagiert."

Wie man den "Niederösterreichischen Nachrichten" entnehmen kann, beruhigten Bürgermeister und einer der nunmehr Angeklagten noch im Dezember 2019 die Öffentlichkeit: Es gebe nur einen Betroffenen, und es soll auch keine schädlichen Rückstände im Grundwasser geben, sagten sie dem Medium. In einem weiteren "NÖN"-Bericht zwei Wochen später war die Lage schon anders: Lagerhaus und Agrana gaben die Grundwasserverunreinigung zu, mit Pumpen und Sperrbrunnen musste die Verschmutzung beseitigt werden.

Diversion gegen Geldbetrag

Am Ende des Beweisverfahrens kündigt Richterin Zbiral an, dass ihr für die drei geständigen Lagerhaus-Mitarbeiter eine Diversion vorschwebt. Gegen einen Geldbetrag von 60 bis 90 Tagessätzen, dessen Höhe sie entsprechend den Einkommen der Angeklagten erst noch ausrechnen will, würde sie das Verfahren vorläufig einstellen.

Die Staatsanwältin hat nichts gegen eine Diversion, es bleibt der Agrana-Mann. "Sie haben das Angebot jetzt gehört. Für eine Diversion ist aber eine Verantwortungsübernahme nötig. Wenn Sie sagen, Sie sind nicht schuldig, brauche ich ein Sachverständigengutachten. Vielleicht wollen Sie sich nochmals mit Ihrem Verteidiger besprechen?", lockt die Richterin. Nach einigen Minuten Besprechung vor dem Saal ist auch der Drittangeklagte mit einer Diversion einverstanden. Die Privatbeteiligten werden auf den Zivilrechtsweg verwiesen. (Michael Möseneder, 11.12.2020)