Als der E-Sports-Hit League of Legends (LoL) im vergangenen Oktober sein zehnjähriges Bestehen feierte, lieferte Entwickler Riot Games auch die Ankündigung, mehr Spiele im Universum des Moba (Multiplayer Online Battle Arena) umzusetzen. Dazu kündigte man auch Wild Rift, eine Umsetzung für Handys und Tablets an.

Nach Alphatests zu Beginn des Jahres begann schließlich im Oktober der offene Betatest in einigen asiatischen Ländern. Die Regionsliste wurde seitdem sukzessive erweitert. Am 9. Dezember öffneten schließlich die europäischen Server ihre Pforten. DER STANDARD hat sich in die Schlacht gestürzt, um zu ergründen, ob League auch am Smartphone Spaß macht.

League of Legends: Wild Rift

Entstehungsgeschichte

Die Genese des Games ist freilich etwas länger, soll doch Tencent – der chinesische Eigentümer des amerikanischen Studios – schon vor einigen Jahren an Riot herangetreten sein und eine Mobile-Umsetzung angeregt haben. Nachdem die Firma verneinte, schaffte Tencent einem anderen Studio, Timi, an, ein Moba umzusetzen. Daraus wurde schließlich Honor of Kings, international bekannt als Arena of Valor, das – gemessen an der Spielerzahl – zum größten Game der Welt wurde. Ein Erfolg, der letztlich wohl auch Riot überzeugt hat.

Das ist wichtig zu wissen, denn das damit erworbene Knowhow floss ganz offenkundig auch in Wild Rift ein. Wer Erfahrung mit Arena of Valor hat, dem werden einige Elemente – spielerisch, als auch im Interface – bekannt vorkommen.

Foto: Wild Rift

Kompakte Karte, alte und neue Champions

Am grundlegenden Spielprinzip hat sich freilich nichts geändert. Wild Rift unterstützt soweit ausschließlich den 5-gegen-5-Teamkampf auf einer Karte, die eine kleinere und etwas vereinfachte Form von "Summoner's Rift" aus dem Original darstellt. Die Mannschaften setzen sich aus Helden zusammen, die Spieler aus einem Pool von derzeit 47 Charakteren wählen können, und die man allesamt aus League of Legends kennt. Er wird regelmäßig erweitert. Das Ziel ist es, die feindlichen Türme und schließlich den "Nexus" in der gegnerischen Basis zu zerstören.

Die Auswahl enthält dabei sowohl sehr alte Champions, etwa das Steinmonster Malphite (2009), als auch Neuzugänge wie die musikalische Magierin Seraphine (Oktober 2020). Die Figuren fallen in grob eingeteilte Klassen, reichend von widerstandsfähigen "Tanks", über "Mages" für Schaden und Beeinflussungszauber aller Art bis hin zu blitzschnellen Assassinen.

Die übliche Aufteilung aus LoL erscheint auch in Wild Rift meist sinnvoll. Auf dem oberen der drei Wege auf der Karte tummeln sich meist Tanks oder starke Zweikämpfer. In der Mitte duellieren sich Mages und Assassinen. Unten treten Duos gegeneinander an, die üblicherweise aus einem Fernkämpfer und einem Unterstützer bestehen, der ihn etwa vor Schaden bewahrt, heilt oder mit seinen Fähigkeiten die Gegner "vorbereitet". Und im Bereich zwischen den "Lanes" treibt ein "Jungler" sein Unwesen, der es vor allem zu Beginn des Spieles vorwiegend mit KI-gesteuerten Monstern aufnimmt und gelegentlich versucht, aus dem Hinterhalt einem Mitspieler auf einer Lane dabei zu helfen, seinen Gegner zu eliminieren.

Foto: Wild Rift

Drachen und andere Monster

Gestritten wird auch um die bekannten Buffs, den Rift Herald, Drachen und Baron Nashor, die an vorgegebenen Stellen der Karte auftauchen und deren Erlegung dem jeweiligen Spieler bzw. Team verschiedene Vorteile bringen.

Diese sind teilweise etwas anders gelagert, als im "echten" LoL. So gibt es in Wild Rift keine Veränderungen auf der Map nach dem Ableben des dritten Drachen und auch die Buffs, die man durch ihre Erlegung bekommt, wurden etwas abgeändert. Je nach Drachen erhält das Team ein Schild, Bewegungsgeschwindigkeit, Lifesteal oder erhöhten Schaden.

Nach dem vierten erlegten Riesenreptil erscheinen "Elder Dragons", die gefährlicher sind als ihre einfachen Verwandten und dafür auch stärkere Buffs sowie als Bonus auch unverhinderbaren Zusatzschaden für Angriffe bieten.

Gerade wenn das Spielgeschehen auf den Lanes recht ausgeglichen ist, kann es entscheidende Vorteile bringen, sich als Team auf diese zusätzlichen "Objectives" zu konzentrieren. Pattsituationen sind allerdings recht selten. In vielen Games zeichnet sich früh die Dominanz einer Seite ab, was schlicht daran liegen dürfte, dass das Matchmaking – da nach Release jeder bei Null anfängt – mitunter blutige Anfänger mit Gegnern zusammenbringt, die schon jede Menge Erfahrung aus League of Legends am PC mitbringen.

Foto: Wild Rift

Ranked

Mit der Zeit sollte sich das aber bessern, speziell da man ab Level 10 an Ranglistenspielen teilnehmen kann. Im Gegensatz zu non-ranked Spielen gibt es hier vor dem Match einen sogenannten "Draft Pick", in dem beide Teams abwechselnd ihre Champions wählen und ein schon gewählter Held für die andere Seite nicht mehr verfügbar ist.

Hier kann man versuchen, taktisch vorzugehen, und etwa einen Charakter auszuwählen, dessen Fähigkeiten den mutmaßlichen Gegner auf der eigenen Lane kontern. Eine Bannphase, bei der man bestimmte Champions für alle komplett aus der Partie nehmen kann, gibt es – wohl aufgrund der noch relativ kleinen Auswahl – aktuell nicht.

Steuerung

Die Steuerung am Touchscreen funktioniert gut. Links unten befindet sich ein virtueller Joystick, um den eigenen Held zu bewegen. Rechts findet man die Knöpfe für die Fähigkeiten des eigenen Helden, die bei jenen, die gezielt werden müssen, ebenfalls wie ein Analogstick fungieren. Dadurch, dass man den eigenen Kämpfer also nicht per Point-and-Click bewegt, bewegt man sich gefühlt präziser.

Das Zielen mit den eigenen Abilities ist dafür gerade bei solchen, mit denen man auch weiter entferntere Areale treffen kann (etwa Ziggs "Mega Inferno Bomb") oder einzelne Gegner oder Mitspieler auswählen muss (Namis "Ebb and Flow") schwerer. Teilweise gibt es Hilfsfunktionen, mit denen man zum Beispiel einen Gegner dauerhaft "anvisieren" kann, solange er in Reichweite ist.

Foto: Wild Rift

Kurze Matches, unfertiges Balancing

Das Feeling der Champions ist in Wild Rift aber dennoch gut erhalten geblieben. Auch dass die Spielkarte komprimiert ist, fällt nicht unmittelbar auf, sondern macht sich vor allem durch die kürzere Matchdauer bemerkbar. Verbringt man in League of Legends gut und gerne 30 Minuten und in manchen Fällen auch schon einmal eine Dreiviertelstunde in einer Partie, sind es in Wild Rift geschätzt 15 bis 20 Minuten im Schnitt. Extrem einseitige Matches können auch in unter zehn Minuten vorbei sein, selbst wenn das unterlegene Team nicht von sich aus vorzeitig aufgibt.

Am Balancing der Helden muss Riot Games noch arbeiten, was für eine Betaversion aber zu erwarten war. Einzelne Champions neigen dazu, sehr schnell und selbst ohne großem Anfangserfolg zu einem schier unbezwingbaren Terror zu werden (Looking at you, Master Yi).

Einsteigerfreundlich

Im Gesamtpaket bietet Wild Rift zwar nicht ganz den Tiefgang von League am PC, ist dafür aber auch tendenziell einsteigerfreundlicher. Es gibt weniger Gegenstände, um seinen Champion mit der Zeit aufzurüsten (teilweise auch ein paar ältere Items, die aus dem PC-Spiel mittlerweile gestrichen oder dort stark geändert wurden), die kleinere Karte erleichtert es, die Übersicht zu behalten.

Was man aber auch hier nicht los wird sind so manche Mitspieler, die mit gnadenloser Inkompetenz, Toxizität oder Teamplay-Unfähigkeit anstrengender sind, als der stärkste Gegner. Zynisch formuliert: Auch in diesem Belang liegt die Mobile-Umsetzung nahe am Hauptspiel.

Was Wild Rift aber sogar besser macht als League of Legends, ist das "Einlernen" neuer Spieler. Es gibt ein recht umfangreiches Tutorial, das fast alle wichtigen Bereiche abdeckt, wenn man von der empfohlenen Rollen- und Lane-Verteilung absieht. Es belohnt Spieler auch dafür, mehr Lektionen abseits den verpflichtenden Basics zu absolvieren. Und wer bereits ein aktiver League-Spieler ist und sich mit seinem Riot-Account einloggt, kann relativ schnell einige zusätzlichen Boni – darunter ein ganzes Paket zufälliger und frei wählbarer Helden und mehrere Skins – erspielen.

Foto: Wild Rift

Technisch ausgereift

Die Monetarisierung von Wild Rift entspricht weitgehend dem PC-Original. Das heißt: Neue Helden muss man nicht unbedingt über die kostenpflichtige Premiumwährung ("Wild Cores") erwerben, sondern man kann auch durch Spielen "Blue Motes" verdienen, um sie ohne Geldeinsatz freizuschalten. Nicht so allerdings Skins. Für diese gibt es, zumindest aktuell, im Shop keine Alternative zum Kauf. Sie tauchen aber auch als Belohnung in Events auf.

Auf technischer Ebene darf man den Entwicklern zur Umsetzung gratulieren. Selbst auf einem Tablet, das nach heutigem Stand bestenfalls untere Mittelklasse ist (Xiaomi Mi Pad 4 mit Snapdragon 660 und 4 GB RAM) läuft das Spiel in mittleren bis höheren Einstellungen und maximaler Auflösung ruckelfrei. Wild Rift ist zwar nicht ganz so detailreich gestaltet, wie League am PC, sieht aber durchaus hübsch aus. Akustisch steht man dem Original in nichts nach.

Wild Rift ist auch erstaunlich freundlich zum Akku. Über zwei Stunden Spielzeit reduzierten den Ladestand gerade einmal von 100 auf knapp 80 Prozent. Andere Mobile Mobas wie Arena of Valor oder Mobile Legends erweisen sich als deutlich hungriger.

Foto: Wild Rift

Fazit

Der langen Rede kurzer Sinn: Im Vergleich mit den zwei anderen größeren Mobile Mobas, Arena of Valor und Mobile Legends, ist Wild Rift das bisher wohl beste Game. Hier zahlt sich die lange Erfahrung seiner Entwickler spürbar aus. Obwohl offiziell noch eine Beta ist das Game auch technisch schon sehr ausgereift und läuft auch auf weniger starken Endgeräten flüssig, ohne dabei hässlich auszusehen oder den Akku leerzufressen.

Am Wichtigsten ist aber freilich, dass man sich als Spieler von League of Legends auch in der mobilen Ausgabe schnell daheim fühlt. Wild Rift mag einfacher gestrickt sein, fängt aber den Kern von League gut ein und bietet dafür flottere Partien für unterwegs, oder wenn man gerade nicht aus dem Bett aufstehen und den Computer anwerfen möchte.

Gerade in Ländern, in denen ein eigener bzw. spieletauglicher PC nicht Standard ist und daher Smartphones für viele die Zentrale ihres digitalen Lebens ist, wird dieses Game wohl massiv einschlagen. Aber auch in westlichen Gefilden dürfte es beachtliche Anhängerschaft finden, die längst nicht nur aus League of Legends-Fans bestehen wird. (Georg Pichler, 12.12.2020)