Am Mittwoch öffnet das Humboldt-Forum seine Pforten, zumindest digital. Dessen Leere soll allerdings erst ab 2021 befüllt werden.

Foto: Alexander Schippel

Die Nachricht klingt widersinnig, und sie ist es in vielerlei Hinsicht auch: Am kommenden Mittwoch wird in Berlin nach fast zwanzig Jahren Bauzeit das Humboldt-Forum eröffnet. Wegen der Corona-Pandemie allerdings nur digital – man kann den Neubau auf dem Berliner Schlossplatz vorerst nur virtuell kennenlernen, bis auf weiteres muss die Homepage das aufwiegen, was man von außen eben keineswegs erahnen kann.

Denn das alte, im Krieg beschädigte Hohenzollern-Schloss, das von der DDR-Führung 1950 in einem hochsymbolischen Akt gesprengt wurde, steht nun in den überlieferten Dimensionen und mit einer Rekonstruktion seiner barocken Fassade (samt Kuppel und Goldkreuz!) wieder da.

Glanz und Glorie

Da es aber keinen Kaiser mehr gibt, der einziehen könnte, und überhaupt mit Preußens Glanz und Glorie heute nicht mehr so leicht Staat zu machen ist, ist das Schloss im Inneren etwas ganz anderes: ein moderner Museumskomplex, von dem allerdings im Winter 2020 unklarer denn je ist, was er künftig leisten könnte.

Warum nun die Eile? Bei einer Pressebegehung vergangene Woche wurde deutlich, dass das Gebäude zwar so gut wie fertiggestellt ist, aber eben auch weitgehend leer steht. Die wichtigen Inhalte werden alle erst im nächsten Jahr zugänglich, und zwar zu wichtigen Teilen erst im Herbst 2021. Man hätte gut und gern so lange noch warten können.

Ungeduld der Leitung

Stattdessen findet nun eine offizielle Eröffnung statt, die keine ist, und das ausgerechnet in einer Zeit, in der die Politik mit häppchenweise verabreichten Teilschließungen des öffentlichen Lebens um den richtigen Kurs in der Gesundheitskrise ringt. Die merkwürdige Ungeduld der Leitung des Humboldt-Forums passt aber zur ganzen Geschichte seiner Entstehung. Denn diese stand von Beginn an im Zeichen falscher Horizonte: Beim Humboldt-Forum wurde häufig groß, aber selten zeitgemäß gedacht.

Dass es überhaupt zu einem Neubau auf dem Schlossplatz kam, verdankt sich einer konservativen Lobby-Gruppe, die außer einer Sehnsucht nach einem Übersprung zurück hinter das 20. Jahrhundert intellektuell nichts zu bieten hatte. Dass der Palast der Republik, das wichtigste repräsentative Gebäude der DDR, dafür abgerissen werden musste, passte zu der naiven Berliner Hauptstadt-Euphorie der frühen Nullerjahre, erwies sich aber schnell als geschichtspolitische Dummheit ersten Ranges. Die Idee eines Humboldt-Forums sollte schließlich alles auf einen guten Kurs bringen: Wenn schon ein neues Schloss, dann soll es erstens nicht so heißen, und zweitens soll es für etwas stehen, was sich stadttouristisch exzellent vermarkten lässt – für eine Begegnung von Kulturen.

Flughafenfunktionalität

Die ethnologischen Sammlungen und die asiatische Kunst aus den Beständen der Stiftung Preußischer Kulturbesitz (heute klingt schon der Name der Institution dubios) sollten aus dem bürgerlichen Randbezirk Dahlem in die Mitte der Stadt übersiedeln. Und die Brüder Humboldt, Forscher und Reisende aus der Zeit der Berliner Klassik um 1800, sollten der ganzen Sache einen klingenden Namen geben.

Der Berliner Architekt Franco Stella entwarf dazu die entsprechende Kompromissbildung: ein riesiges Ding mit zwei unterschiedlich geprägten Innenhöfen, einer traditionalistischen Außenhaut und einer eleganten, aber auch ein wenig steril wirkenden Flughafenfunktionalität im Inneren.

Das Barock, das die Schloss-Fans sich wieder zurückgewünscht hatten, existiert nur noch als Zitat. Eine ähnliche Belebung, wie sie das Wiener Museumsquartier mehr oder weniger sofort nach Eröffnung erzielt hat, kann man sich für das Humboldt-Forum nicht leicht vorstellen. Immerhin hat der Platz vor dem Berliner Dom und der Museumsinsel, der bei gutem Wetter stark frequentierte Lustgarten, nun auch nach Süden hin wieder etwas vor sich. In der DDR diente der Schlossplatz nämlich vor allem als Aufmarschzone für die bei der kommunistischen Führung beliebten Massenornamente.

Raubkunstfrage ungeklärt

Gänzlich unvorbereitet zeigten sich seit 2002 im Lauf der Jahre die zuständigen Stellen bezüglich der zunehmenden Intensivierung der postkolonialen Debatten. Dass in Nigeria vor einem Monat ein beeindruckender Entwurf für ein Edo Museum of West African Art in der Stadt Benin präsentiert wurde, ist auch für Berlin von Bedeutung.

Denn längst geht es nicht mehr um "partnerschaftliche Prozesse", wie es Hartmut Dorgerloh, der Generalintendant des Humboldt-Forums, immer noch kalmierend formuliert. Bei vielen Beständen, die von der Stiftung Preußischer Kulturbesitz in das Humboldt-Forum eingebracht werden sollen, handelt es sich definitiv um Raubkunst. Sie werden irgendwann zur Restitution anstehen. Notabene die besonders attraktiven Benin-Bronzen, aber auch viele andere Artefakte aus der Zeit des lange verdrängten (weil oberflächlich als dilettantisch weggewischten und verdrängten) deutschen Kolonialismus.

Verwunschener Ort

Allerdings könnten sich diese Themen für das Humboldt-Forum auch als Bereicherung erweisen. Wenn es gelingt, die deutsche Geschichtspolitik über die Erinnerung der nationalsozialistischen Verbrechen hinaus auf eine grundsätzliche Reflexion der Stellung des Landes in globalen Zusammenhängen zu öffnen, dann könnte sich dieser im Moment konzeptuell ziemlich verwunschen wirkende Ort seine Berechtigung noch verdienen. (Bert Rebhandl, 14.12.2020)