Sollte Beihilfe zum Selbstmord straffrei sein?

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PRO: Recht auf den eigenen Tod

von Gerald John

Es gibt Menschen, die finden das Leben nicht mehr lebenswert. Wen etwa eine unheilbare Krankheit ans Bett fesselt, sodass nur noch der Kopf funktioniert, wünscht sich mitunter nichts mehr als den Tod. Doch derzeit hindert der Staat Betroffene am kontrollierten, sicheren Suizid: Wer einem Sterbewilligen, der dies selbst nicht mehr fertigbringt, dabei hilft, macht sich strafbar.

Dies wird sich dank des Verfassungsgerichtshofs ändern – zu Recht. Denn wie die Höchstrichter treffend ausführten, zählt zum Prinzip der Selbstbestimmung in einem liberalen Staat auch das Recht auf ein menschenwürdiges Sterben.

Anders als oft behauptet garantieren die bestehenden Möglichkeiten diesen Ausweg eben nicht. Ärzte dürfen Schmerzen mit Dosierungen bekämpfen, die das Ableben beschleunigen können, lebensmüde Patienten können im Fall einer Infektion die Behandlung mit Antibiotika ablehnen. Doch da ist stets eine Portion Zufall im Spiel. Einen selbstbestimmten und würdigen Abschied bieten diese Hintertüren nur begrenzt.

Sicher, dem Recht des Einzelnen stehen gesellschaftliche Bedenken gegenüber. Dass Angehörige und Allgemeinheit Druck auf Alte und Kranke ausüben könnten, nicht länger zur Last zu fallen, ist ernst zu nehmen, aber durch Auflagen einzudämmen. Ganz ausschließen lässt sich Missbrauch nie: Sonst müsste man auch die existenten Methoden, Schwerkranke durch Nichtbehandlung sterben zu lassen, verbieten. (Gerald John, 13.12.2020)

KONTRA: Was hinter der Türe lauert

von Colette M. Schmidt

In der besten aller vorstellbaren Welten könnte man die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs nur begrüßen. Dass künftig Menschen selbstbestimmt sterben können, wenn das Leben nur noch ein Leiden ist, wird als Erfolg einer liberalen Gesellschaft gefeiert. Man darf dort helfen, ein Leben zu beenden, wo Schwerkranke selbst nicht mehr in der Lage dazu sind.

Vertreter von Wissenschaft, Kirche und Ärzteschaft warnen aber nicht ohne Grund vor möglichem Missbrauch und fordern gleichzeitig den Ausbau von Suizidprävention, Hospizen und Palliativversorgung. Zudem sorgen sich viele, dass subtil Druck auf Patienten und Angehörige ausgeübt werden könnte. Denn niemand kann abstreiten, dass Fragen der Finanzierung in fast allen Bereichen der Gesellschaft eine mächtige Rolle spielen. Wird man sich in Zukunft dafür rechtfertigen müssen, ein Leben leidensfrei zu verlängern, auch wenn dies mit hohen Kosten verbunden ist?

"Es sterben ja nur Alte und Vorerkrankte", hört man seit Monaten von manchen Menschen, die Covid-19 relativieren. Dass die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs zufällig in diese Zeit fällt, mag dazu beitragen, dass das Öffnen dieser Türe Angst hervorruft. Einer Tür, hinter der nicht nur ein würdiger Tod lauert. Denn solche Argumente erinnern an Zeiten, wo andere über "unwertes" Leben entschieden. (Colette M. Schmidt, 13.12.2020)