Foto: Tor Books

Wer hat noch nicht den Wunsch verspürt, sich in ein Buch oder einen Film hineinzubeamen, um durch einen Eingriff zur rechten Zeit zu verhindern, dass die Geschichte aus dem Gleis gerät? Etwa um in "War of the Worlds" Tom Cruise zuzurufen: Um Himmels willen, lauft an Tim Robbins vorbei und versteckt euch ein Haus weiter – das erspart uns diese quälend langweilige Psychodramasequenz, die den ganzen bis dahin recht ordentlichen Film auf Null abbremst. Oder um ein paar Kilo Gehacktes als Bestechung für die Adler mitzubringen, damit sie Bilbo & Co ein bisschen näher an den Einsamen Berg heranfliegen und die zu Tode gedehnte "Hobbit"-Trilogie damit um mindestens einen Teil abkürzen. Die Möglichkeiten wären endlos!

Der US-amerikanische Autor Michael R. Underwood, bekannt geworden mit "Geekomancy", hat 2015 eine vergnügliche Serie gestartet, die sich in etwa um diesen Gedanken dreht, auch wenn hier nicht einzelne Werke, sondern ganze Genrewelten bereist werden. Die Renaissance des Formats Novelle dank E-Publikationen macht's möglich – die leserfreundlich schlanken Bände, die Fans von John Scalzis "Redshirts" oder Jay Martels "Channel Blue" gefallen dürften, sind allerdings auch als Taschenbücher erhältlich.

Die etwas andere Lange Erde

Wie schon in "Geekomancy" haben wir es wieder mit einer Heldin mit künstlerischen Ambitionen und Einblick in die Welt der Geeks und Nerds zu tun. Leah Tang heißt sie diesmal, Empfangshilfe bei Tag und Stand-up-Comedienne bei Nacht. Ohne fixes Engagement, gibt sie ihre Betrachtungen zum Fantasy-Genre überall dort in Baltimore zum Besten, wo gerade Open-Mic-Nacht ist. Eines Abends sitzt aber jemand im Publikum, der Leahs Genrewissen für einen anderen Zweck nutzen will. Und so rekrutiert Dr. Angstrom King (pliiiiz, so kann man auch nur in einer Pulp-Geschichte heißen) Leah für die Genrenauten.

Die staunende Leah erfährt, dass die DNA des Universums aus Geschichten besteht und dass dessen fünfte Dimension das Narrativ ist. In dieser Dimension ist die Erde daher nicht einfach von irgendwelchen Parallelwelten, sondern eben von Genrewelten umgeben. Dort sind all die altbekannten Motive, Plots und Topoi, die Genre-Fiction so ausmachen, nicht nur Realität, sondern auch die Norm. Es gibt Pulp World, Horror World, Romance World, Women's Fiction World ("I hate that label by the way ...") und viele mehr. "Dutzende" sollen es sein – eine genaue Zahl wird nicht genannt, was den Spielraum für beliebig viele weitere Bände offen hält.

Die ersten sechs "Genrenauts"-Novellen hat Michael R. Underwood zu diesem Sammelband zusammengestellt.
Foto: Michael R. Underwood

Anti-Entropie-Kommando im Einsatz

Leider strahlen diese Welten aber nicht nur als Inspirationsquellen für neue Bücher und Filme auf die Erde aus. Entwickelt sich dort eine Geschichte nicht wie erwartet, kommt es zu einem chaotischen und tendenziell gefährlichen Rückkopplungseffekt. "When a story breaks, that breach creates a thematic-semiotic ripple effect, which crosses over from that world to our own Earth." Dann ist es höchste Zeit, ein Genrenautenkommando auf Mission zu schicken, um die fehlgeleitete Geschichte wieder gradezubiegen.

In diesem ersten Band ist Western World das Ziel, wo ein paar Banditen nicht vom Sheriff und seinen Deputies zur Strecke gebracht wurden, sondern überraschenderweise den Spieß umgedreht haben. Ziel der Mission – mit Leah als Genrenautin auf Probe – ist es daher, einen neuen Helden zum Rächer auszubilden. Dummerweise stellt sich der Wunschkandidat allerdings mit dem Kochlöffel weitaus geschickter an als mit dem Schießeisen ...

Vergnügliches Spiel mit Klischees

Der erste Band der Reihe zeigt bereits, wie der Hase läuft: Die munter erzählte Geschichte wimmelt nicht nur so vor popkulturellen Verweisen, von "Doctor Who" bis zu "Cabin in the Woods". Er spielt zudem – ohne auch nur ansatzweise kopfig-intellektuell zu werden – laufend mit der Meta-Ebene und gönnt sich Seitenhiebe auf Mechanismen und Klischees von Genre-Fiction. Siehe das Staunen der Ober-Genrenauten über einen Vorfall just in der Western World, die doch als äußerst stabil galt ("There hasn't been a genre-redefining western in years.") Oder siehe diesen Dialog zwischen Leah und Dr. King: "So all the racist storytelling tropes happen in these worlds: black guys do always die first in Horror world, beautiful white people are ninety-five percent of the leads in Romance world while the 'ethnic' friends get paired off with one another in the credits – that kind of thing?" – "Pretty much, yes."

"Genrenauts" scheint prädestiniert für eine TV-Serie. Einige Artverwandte wie "Sliders" oder "Quantum Leap" ("Zurück in die Vergangenheit") werden explizit genannt. Wir wollen aber auch auf "Star Trek" nicht vergessen, wo in Form von Holodeck-Episoden, Zeitreisen und Besuchen auf Planeten, die wie Gestalt gewordene Abschnitte der menschlichen Geschichte aussahen, auch schon so manche Genrewelt erkundet wurde. Mit "Star Trek" teilen die "Genrenauts" übrigens auch die Heimlichtuerei gegenüber den Einheimischen, was auch hier Tarnung mittels Kostümen, Hightech-Makeup und "Chamäleonfeldern" erforderlich macht. "Genrenauts" wirkt daher auf paradoxe Weise gleichzeitig originell und altbekannt – ein Stück Good Old Science Fiction, das auch aus den 1960ern stammen könnte.