Es ist ja nicht so, dass ich Eliud Kipchoge nicht vertrauen würde. Nur läuft der halt in einer ganz anderen Welt und Liga als ich. Und wenn der Mann, der vor etwas mehr als einem Jahr in Wien als Erster die Marathondistanz in weniger als zwei Stunden gelaufen ist, eine Uhr super findet, kann die nicht ganz schlecht sein. Denn egal, wie viel Kohle man einem Sportprofi auch dafür hinlegt, sich als Testimonial mit einem Sportprodukt (die Einschränkung "Sport" ist wichtig) abbilden zu lassen: Er oder sie hat einen Ruf zu verlieren. Ganz Gacksi darf das Teil also nicht sein.

Nur: Ob es etwas mit der Sportwelt, in der ich oder Sie unterwegs sind, zu tun hat, ob die Kriterien, die es für die Elite relevant machen, auch für den Planet "Hobbysport" etwas bedeuten, steht auf einem anderen Blatt.

Foto: Coros

Auch und gerade bei Tech-Tools. Und da vor allem bei Uhren: Was afrikanische Läuferinnen und Läufer (auch Weltspitzenleute) am Handgelenk tragen, schaut oft aus, als wär es aus dem Kaugummiautomaten. Oder vom Mexikoplatz (also dem Ramschladen). Mit der Laufleistung hat das nämlich nix zu tun. Das gilt auch in die andere Richtung: Die fetten "Prater" (so nannte noch mein Großvater dereinst dicke Angeberuhren), mit denen Millionen von Hobbyathleten unterwegs sind, können zwar in der Regel unendlich viel, tatsächlich anzuwenden oder sinnvoll einzusetzen weiß aber kaum jemand (mich eingeschlossen) alle Features.

Von "brauchen" kann sowieso keine Rede sein – von "wollen" aber sehr wohl.

Das nur vorab.

Aber das auch dazu, wieso ich die Presseaussendung von Coros Mitte November nicht weiter beachtet hätte, wenn ich da nicht gerade selbst die Leichtuhr der südkalifornischen Marke auf dem Tisch gehabt hätte.

Und ziemlich gestaunt hätte.

Foto: Coros

Wenn Sie staunend fragen "Co-what?", sind Sie alles andere als allein: Die US-Marke, die Ende 2016 mit einem Fahrradhelm erstmals auf sich aufmerksam gemacht hat, kennt hierzulande noch immer so gut wie niemand. Laufshopbetreiber schauten mich entweder fragend an, als ich Anfang Dezember mal durchfragte, ob sie die Marke im Sortiment hätten – oder fragten, ob ich wisse, wer da für die DACH-Region Vertriebs- oder Ansprechpartner sei: Man habe zwar in diversen Tech-Blogs von der Uhr gelesen, aber Mails blieben unbeantwortet – und die Homepage …

Weil ich aber eine zweite Meinung wollte, gab ich meine Testuhr, die Pace 2, meinem Kumpel Markus Steinacher. Der runzelte zunächst die Stirn, hielt das 29 Gramm leichte Ding neben seine fette Garmin (eine Fenix 5), murmelte was von "Mexikoplatz" – und wirkte nicht wirklich enthusiastisch: "Okay, irgendwann demnächst. Vielleicht." Ich grinste. Weil ich irgendwie ahnte, was dann kommen würde: Mir war es nämlich ähnlich gegangen.

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Außerdem gab mir Markus so genug Zeit, um noch ein paar andere Uhren auszuprobieren, die sich in den letzten Wochen und Monaten bei mir angesammelt hatten. Polars Vantage 2 sowie ein paar Garmins: der Forerunner-945er, die Fenix 6 Pro Solar und die Venu SQ. Privat bin ich seit längerem mit dem Forerunner 945 unterwegs. Und nur der guten Ordnung halber: Testuhren gehen an die Hersteller zurück. Eigentlich hätte auch die erste, vor ein paar Wochen präsentierte und davor von 1.000 Gerüchten begleitete Multisportuhr des Rad-Smart-Trainer-Herstellers Wahoo da dabei sein sollen, aber der Wecker hat es bisher weder zu mir noch zu einem meiner Einflüsterer geschafft. Und bei Suunto, Fitbit und Co habe ich derzeit keine Ansprechpartner.

Was all diese Uhren inklusive der Coros gemein haben: Sie sind super. Perfekte Weihnachtsgeschenke. Jede. Vorausgesetzt, man weiß, was der- oder diejenige, der/die das Ding dann tragen soll, von einer Lauf- oder Sportuhr erwartet.

Foto: thomas rottenberg

Fangen wir deshalb vielleicht beim "einfachsten" Laufcomputer in diesem kleinen Strauß an, der Venu SQ. Dass man damit formbedingt rasch mal gefragt wird, ob man jetzt auf eine Apple Watch umgestiegen sei, lässt die Garmin-PR-Leute schmunzeln – und auf den Preis verweisen: Mit 199 Euro (Listenpreis) ist der Wecker doch deutlich günstiger, aber dass man hier eher mit dem Lifestyle- und Smartwatch-Segment liebäugelt, ist kein Geheimnis. Freilich: Was eine ernstzunehmende Fitness- oder Sportuhr (und zwar herstellerunabhängig jede) heute können muss und auch kann, kann die Venu: Handgelenkspulsmessung und GPS und Trägheitssensoren eröffnen ein weites Feld an In- und Outdoorsportarten, und in Kombination mit der App sind Gesundheits-, Gewichts- oder Schlafmonitoring heute fast Standard.

Ebenso wie dass man Workouts und Trainingspläne, Auswertungen und mitunter auch Rennprognosen gezielt zwischen Uhren, Apps (auch Drittanbietern) und Desktop hin und her spielen kann und die Uhren auch mit vielen (Obacht: nicht immer allen!) Sensoren ebenfalls – mit Abstrichen. Hier beginnt dann die Schere aufzugehen. Aber wer als Hobbyläufer oder -Läuferin zweimal die Woche 45 Minuten "joggt": Braucht man dann eine Uhr, mit der sich auch ein Radrollentrainer steuern lässt?

Foto: thomas rottenberg

Was die SQ aber sehr wohl kann (und was mittlerweile ein Standard fast aller Hersteller ist): Nachrichten empfangen und Musik steuern. Bei Sportuhren eine ziemliche "Garmin-Spezialität" ist allerdings die Bezahlfunktion per Uhr. Für mich wurde das im ersten Lockdown zur echten Killer-App – obwohl meine Bank und mein Kreditkartenbetreiber just zu jenen Schnarchnasen gehören, die Garmin Pay in Österreich noch immer nicht unterstützen: Ich nutzte also "Boon", aber dort stellte man im Zuge des Wirecard-Fiaskos im Sommer den Betrieb ein.

Die Venu hat einen "ewig" haltenden Akku, ist aber trotzdem nix für mich: Ich habe mich, obwohl ich das früher für sinnlos hielt, nicht nur an die Pay-, sondern auch an die in die Uhr implementierte Music-Funktion meiner Garmin gewöhnt: Spotify-Listen und Co sind da direkt in der Uhr runtergeladen – und aktualisieren sich daheim von selbst (im Bild: Venu SQ und Garmin 745).

Foto: thomas rottenberg

"Musiksteuerung" via Uhr (können längst sehr viele Uhren) ist aber etwas anderes: Da steuert man eben den Player am Handy via Uhr per Bluetooth. Eh fein. Funktioniert auch super – und auch am Touchscreen sogar mit Handschuhen. Nur: Ich laufe in der Stadt ohne Handy. Und wenn ich so wie hier das Telefon extra wegen der Musik mitnehme, fotografiere ich auch damit. Bei (m)einem alten iPhone führt die Kombi aus Kälte, Musikstreaming, Bluetooth und Fotografieren nach relativ kurzer Zeit zu einem leeren Handy-Akku.

Ganz klar. Das ist kein Bug der Uhr – aber wenn ich mein Handy mithabe, weil ich es tatsächlich brauchen könnte, sollte ich derlei vorher bedenken. Eventuell schon bei der Auswahl der Uhr.

Foto: thomas rottenberg

Womit wir beim Forerunner-745er wären. Der ist mit knapp 499,99 Euro schon ein deutliches Eck teurer als einfache Fitnessuhren, kann aber auch mehr. Nein, nicht nur wegen Pay und der Musikfunktion, die ihn vom Vorgänger, dem 735er, unterschieden: Der 745er ist eine astreine Multisportuhr, beherrscht also nicht nur eine Million Sportarten, sondern kann die auch kombinieren: Wer Triathlon, Aquathlon, Duathlon, Koppeltrainings, Swimrun oder dergleichen im eigenen Aktivitätsportfolio hat, stößt da mit "kleineren" Uhren sehr rasch an die Grenzen der Programmvielfalt der Uhren.

Schwimmstilerkennung beherrschen zwar manche einfacheren Sportuhren (wieder: aller Hersteller), deren Trägheitssensoren "Schwimmen" verstehen, ebenso – das böse Erwachen kommt dann aber oft, wenn man erkennt, dass die Uhr halt nur Schwimmbadlängen (also die Wenden), aber nicht "Freiwasser" (GPS plus Bewegung) kann. Der Forerunner 745 kann das.

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Was die 745er dann von "meiner" 945er unterscheidet? Die Garmin-Presseleute lachten: Sie sei eine Spur kleiner und leichter – und spreche deshalb vor allem Frauen an, denen der 945-Wecker zu groß ist. Der Preisunterschied (549,99 Euro) macht in diesem Segment das Kraut nämlich nicht mehr fett.

Was aber tatsächlich als Leistungsfeature relevant ist, ist die Akkulaufzeit: Beim 945er sind das (mit Musik und GPS) rund zehn, beim 745er etwa sechs Stunden – reicht beides im Alltag, und im Wettkampf ist Musik eh ein No-Go.

Noch ein Unterschied: Mit der 945er kann man "richtig" navigieren und bekommt auch (auch beim Traillaufen, nicht nur am Rad) sehr brauchbare Höhenprofile.

Die 745er zeigt nur Richtungen an, hat aber keine Karten geladen.

Beim Yoga-Tracking (hier im Bild mit der 945er) ist derlei aber egal – wobei "Yoga-Tracken" mit einer Multisportuhr sogar für einen Freak wie mich dann schon ein bisserl "Dings" wirkt. Egal: Die Yoga-Funktion findet man auch bei den meisten Uhren fast aller Hersteller – und irgendwo auf diesem Planeten lebt sicher auch jemand, der ohne sie nicht mehr auf die Matte kann.

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Tatsächlich sinnvoll und nützlich sind dagegen Smartwatch-Features, etwa präzise Wetterberichte. Die generieren die Uhren natürlich nicht selbst, sondern greifen, solange man im heimischen Wifi-Netz ist oder per Bluetooth am Smartphone hängt, über die Herstellerplattformen auf Drittanbieter-Apps zurück.

Polars Vantage 2 hatte an diesem Tag zu 100 Prozent recht. Und auch sonst zeigt die aufgepeppte neue Vantage (499,95 Euro), dass die Finnen nach ein paar Jahren der Schockstarre und massiver Marktanteilsverluste wieder als vollwertiger Player im Geschäft sind.

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Was Leistungsspektrum, Verlässlichkeit und Usability angeht, hält die Vantage 2 mit den Oberklasse-Garmins absolut Schritt. Auch Trainingsplanung, Steuerung und die Konnektivität mit Sensoren und Drittanbieter-Apps klappt tadellos. Obwohl ich seit Jahren die Garmin-Logik und Bedienungsabläufe internalisiert und automatisiert habe, verdrückte ich mich höchstens zwei- oder dreimal, bis die Bedienung tatsächlich "intuitiv" war. Die Polar Flow, die App, wirkt eine Spur klarer als Garmin Connect – und die Sollbruchstelle fast aller Uhren-Anpassereien, das individuelle Gestalten der Uhren-Zifferblätter, klappte auch (fast) auf Anhieb.

Foto: thomas rottenberg

Kurz: Die Wahl der Uhr ist Geschmacksache. Und natürlich auch eine Kostenfrage: Die Fenix 6X Pro Solar etwa schlägt in der mir zur Verfügung gestellten Version mit satten 779,99 Euro zu Buche, würde regulär aber 850 Euro kosten. Es gäbe sogar noch teurere Versionen: Das muss man wollen – und gar nicht so wenige Leute wollen.

Die "sportlichen" Features unterscheiden sich zwar de facto nicht von denen der 945er, allerdings sind in die Uhr Skikarten für 2.000 Skiorte einprogrammiert. Darüber hinaus ist das Teil so massiv und robust, dass man damit vermutlich sogar Nägel und Schädel einschlagen kann, ohne dass an der Uhr nur ein Kratzer bleibt.

Aber vor allem verlängert die ins Glas integrierte Solar-Ladelinse die Laufzeit der Uhr auf bis zu 24 Tage.

Geil, gar keine Frage – allerdings mutmaße ich, dass die meisten F6-User weder hochalpine Mehrtagestourenfreaks mit Biwakübernachtung noch Langdistanz-Triathleten sind. Ich selbst finde die F6 supercool – bin aber trotzdem nicht Zielgruppe: Beim Wechsel aus dem Neo wäre sie mir zu klobig, beim Laufen auf der Langstrecke auf Dauer zu schwer.

Foto: thomas rottenberg

Womit wir bei der Coros Pace 2 wären: Die hat mich nämlich richtig umgehauen. Das Schwierigste und Mühsamste an ihr ist nämlich, die 199-Euro-Uhr in die Finger zu kriegen – ab dann geht alles wie von selbst: Die App findet man über den QR-Code, das Spiel aus zwei Knöpfen (einer davon ist gleichzeitig eine Dreh-Krone) hat man in der Sekunde raus. Die App kann tausend sinnvolle und schlaue und sich selbst erklärende Dinge: So ist das freie Gestalten der Uhrblattanzeigen so einfach, dass man sich fragt, wieso das anderswo überhaupt noch Thema ist.

Die Konnektivität mit Sensoren funktioniert auf Anhieb – und bei den Smart Notifications kann ich sogar am iPhone detailliert auswählen, welche Apps sich melden dürfen und welche nicht (Garmin kriegt das zwar bei Android hin, iOS-User können aber nur ihre iPhone-Einstellungen übernehmen).

Foto: thomas rottenberg

Dieses Wow-Gefühl setzt sich dann, wenn man mit dem Ding losrennt, auch fort: Uhren (auch die schweren großen) spürt man in der Regel nach wenigen Minuten nicht mehr. Aber die Coros ist so leicht, dass ich mich anfangs alle paar hundert Meter versicherte, ob sie eh noch da ist.

Und abgesehen davon, dass ich nicht rausbekam, wie man die automatische Tastensperre (man muss – eh sinnvoll – die Krone einmal umdrehen, um sie zu deaktivieren) dauerhaft ausschaltet, war da wirklich nichts, was ich bemängeln könnte: Präzise, super lesbar und mit extrem langer Akkulaufzeit verblüffte mich das Teil auf ganzer Linie.

Foto: thomas rottenberg

Sogar die Handgelenkspulsmessung (bei mir immer ein Problem) stimmte ziemlich exakt mit der Brustgurtmessung meiner Referenzuhr überein.

Aber: All das für 199 Euro? Wo ist der Haken?

Weil ich auch in Tech-Blogs und Laufmagazinen nur Lob und Staunen fand, gab ich die Uhr an Markus weiter: Zweite Meinung bitte.

Aber auch mein Kumpel war baff: "David führt hier die Goliaths gehörig vor."

Nur eines, bestätigte mir auch Markus, könne man mit der Uhr mit dem Mexikoplatz-Kaugummiautomaten-Look-&-Feel so gar nicht: angeben. Höflicher gesagt: Aufmerksamkeit generieren.

Denn auch wenn wir alle, mich eingeschlossen, unsere Trainingsuhren ausschließlich nach Trainingskriterien aussuchen, ist das Aussehen, der Style, schon ein Faktor. (Also natürlich nur bei allen anderen): Uhren trägt man, um etwas zu signalisieren, auch wenn man so tut, als ginge es nur um Sportfunktionalität.

Außer man heißt Eliud Kipchoge: Der muss keinem mehr was beweisen. (Tom Rottenberg, 15.12.2020)


Hinweis im Sinne der redaktionellen Leitlinien: Die erwähnten Uhren wurden für Testzwecke von den Herstellern zur Verfügung gestellt.

Foto: thomas rottenberg