Ein Wohnhaus in Wien-Ottakring ist eher durch Zufall nicht zu einer Ruine geworden. Ein Mieter hatte vor seiner Delogierung Gas ausströmen lassen, der 62-Jährige muss sich nun wegen Mordversuchs vor Gericht verantworten.

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Wien – Der Personalmangel der Justizwache führt dazu, dass Andreas Böhm, Vorsitzender des Geschworenengerichts, ein wenig verhärmt ist. Dreimal ruft Böhm im Großen Schwurgerichtssaal den Mordprozess gegen Maciej W. auf. Ohne dass der 62-jährige Angeklagte erscheint. Nach einem Telefonat kann Böhm den Anwesenden erklären, warum: "In der Justizanstalt gibt es gerade keine Beamten, um den Angeklagten vorzuführen. Niemand hat es für Wert befunden, das Gericht zu informieren. Wir beginnen daher mit zehn bis 15 Minuten Verspätung", verkündet der Vorsitzende.

Versuchten Mord und versuchte Brandstiftung wirft der Staatsanwalt dem unbescholtenen M. also mit Verzögerung vor. Er soll in der Nacht vom 12. auf den 13. Juli in seiner Mietwohnung in Wien-Ottakring die Mutter einer Gasleitung gelockert haben. Laut Anklage, um eine Explosion herbeizuführen, wenn Gerichtsvollzieher und Schlosser die Wohnungstür öffnen. Denn dass er am 13. Juli delogiert werden würde, wusste der Pole. Seit Mai 2019 hatte er keine Miete mehr bezahlt, ein erster Räumungstermin im März war Corona-bedingt verschoben worden.

Nicht an Explosion gedacht

M. und sein Verteidiger Andreas Reichenbach widersprechen: Der Angeklagte habe wegen seiner trostlosen Lebenssituation Selbstmord begehen wollen. An die Möglichkeit einer Explosion habe der Angeklagte nie gedacht, wird beteuert.

Im Jahr 1998 kam der gelernte Industriemechaniker aus seiner Heimat nach Österreich. Er arbeitete für Landsleute, wie er auf Böhms Frage, warum er eine Dolmetscherin brauche, antwortet. Vor fünf Jahren starb seine Frau, und es ging bergab. "Ich wurde Alkoholiker. Das hat mir Ruhe gegeben", verrät M. dem Gericht. "Wovon haben Sie gelebt?", will der Vorsitzende wissen. "Erst vom Arbeitslosengeld, dann von Notstandshilfe. Am Schluss Gelegenheitsjobs." – "Und warum haben Sie die Miete über ein Jahr nicht gezahlt?" – "Ich habe alles weggetrunken."

Liegend auf den Tod gewartet

So, wie M. es darstellt, war der Delogierungstermin wenige Tage vor seinem Geburtstag der Auslöser. Kein Geld, keine Freunde, keine Zukunft. Er wollte sein Leben beenden und manipulierte die Gasleitung. Nach seiner Angabe habe er gedacht, dass das ausströmende Gas giftig sei, die Explosionsgefahr habe er nicht bedacht. "Ich habe mich hingelegt und den Fernseher aufgedreht und gewartet, gewartet, gewartet. Aber der Tod ist nicht gekommen." Also sei er nach Stunden aufgestanden und habe die Wohnung verlassen, um irgendwo Alkohol aufzutreiben.

Vorsitzender Böhm hält diese Verantwortung nur für bedingt glaubhaft. Erstens müsse M. als gelernter Mechaniker und Schlosser sehr wohl gewusst haben, dass ein Zündfunke ausreicht, um eine gasgefüllte Wohnung in die Luft fliegen zu lassen. Selbst wenn sein Suizid geglückt wäre, hätte er das ja in Kauf genommen, hält er dem Angeklagten vor.

"Wunder, dass das Haus noch steht"

Außerdem hat M. nach seiner Festnahme bei der Polizei noch ganz anders geklungen, zitiert Böhm aus den Einvernahmeprotokollen. "Ja, ich weiß, dass ich eine Bombe eingerichtet habe", sagte er damals. Und: "Es ist ein Wunder, dass das Haus noch steht." Vor Gericht argumentiert der Angeklagte nun, das sei ihm erst bei der Polizei bewusst geworden.

Manchen Fragen zur fraglichen Nacht weicht M. aus, indem er auf seine Alkoholisierung verweist. Doch auch in diesem Punkt sagte er bei der Polizei noch anderes: Er habe am Samstag, dem 11. Juli, Alkohol konsumiert, am 12. dann nicht mehr. "Ich wollte nicht, dass die Polizei weiß, dass ich Alkoholiker bin", versucht der Angeklagte zu argumentieren. "Warum sagen Sie dann, dass Sie am Samstag Gin getrunken haben?", kontert der Staatsanwalt.

Dass er alle Elektrogeräte wegen der Explosionsgefahr ausgeschaltet und nur den Kühlschrank vergessen habe, will M. bei der Polizei nie gesagt haben. Das sei vielleicht ein Missverständnis gewesen, er habe gesagt, er habe überhaupt keine Geräte ausgesteckt – tatsächlich fanden die Ermittler alle betriebsbereit.

Stundenlang keine Zigarette

Eine Geschworene stellt eine zunächst überraschend klingende Frage: "Rauchen Sie?" Sie hört eine positive Antwort. "Haben Sie auch in der Nacht geraucht, als Sie auf den Tod gewartet haben?" – "Nein." – "Warum nicht?" – "Ich hatte keine Zigaretten mehr." – "Haben Sie eine geraucht, nachdem Sie die Wohnung verlassen haben?" – "Ja." Woher er da dann die Zigaretten hatte, erklärt M. nicht.

Dass es nicht zu einer Katastrophe kam, ist dem Zufall und dem Geschick des Schlossermeisters zu verdanken. Der konnte die beiden Schlösser nämlich mechanisch öffnen und benötigte keine elektrischen Geräte dafür. Auch der Gerichtsvollzieher klingelte nicht, sondern klopfte an der Tür. "Als Vorsichtsmaßnahme?", will Vorsitzender Böhm von diesem Zeugen wissen. "Nein, ich klopfe eigentlich immer, die Klingeln sind ja oft kaputt."

Versprechen gegenüber Polizei gebrochen

Als er die Wohnung betrat, habe er sofort das Gas gerochen, den Handwerker und die Wohnungsbesitzerin gewarnt, und alle seien in Panik aus dem dritten Stock geflüchtet. Nachdem Feuerwehr und Gaswerke die Gefahr beseitigt hatten, rief die Polizei M. an. Er sagte zu, sich zu stellen, machte das dann aber doch nicht. "Das macht ja auch den Eindruck eines schlechten Gewissens", stellt Böhm gegenüber dem Angeklagten fest. "Nein, ich war im Park und habe getrunken", lautet die Antwort.

Die Geschworenen erkennen M. zwar anklagekonform wegen Mordversuchs für schuldig, das Gericht hat aber offenbar Mitleid mit ihm. Bei einem Strafrahmen von zehn bis 20 Jahren oder lebenslang wird der Angeklagte zu zwölf Jahren Haft verurteilt. M. und Verteidiger Reichenbach akzeptieren das, der Staatsanwalt gibt keine Erklärung ab, die Entscheidung ist daher nicht rechtskräftig. (Michael Möseneder, 14.12.2020)