Allradantrieb ist 120 Jahre alt, hatte aber immer etwas mit hochbeinigem Auftritt und viel Gemurkse unter der Bodenplatte zu tun. Oder es brauchte 800 kg Batterien für insgesamt 10 PS des Radnabenantriebs von Ferdinand Porsche. Der moderne "schnelllaufende" Allradantrieb wurde erst vor 40 Jahren erfunden, er brachte normale Pkw und Sportwagen auf die Spur. Inzwischen haben auch die Höhersitzenden die moderne Technik genützt und tun so, als seien es Pkw mit besserer Aussicht, und, uh, ein bissl mehr Verdrängung, auch in der Tiefgarage.

Auch wenn Audi als Sympathieträger zuletzt etwas gelitten hat: Niemand wird der Marke den Durchbruch in diesem Abschnitt der Technikgeschichte abstreiten. Das hatte auch entscheidend mit Ferdinand Piëch zu tun, der 1975 Technikvorstand von Audi wurde. Die verschlafene Firma kam wieder richtig auf die Welt, wenn auch immer in Rufweite der Konzernmutter VW. Immerhin, junge Ingenieure durften unglaubliche Dinge aushecken, und Piëch hatte schon damals die geheimnisvolle Autorität, sie ganz oben durchzudrücken.

Immer höhere Stufen
von Elektronik zur Ausreizung der Fahrzeugdynamik haben aus modernen Rallyeautos wahre Wundermaschinen gemacht.
Citroën ist die erfolgreichste Marke der jüngeren Zeit.
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Der Zufall bescherte den Audi-Technikern ein leider ziemlich hässliches Spielzeug, den Iltis (allein wie man auf diesen Namen kommen konnte!). Er wurde als Gelände wagen mit VW-Label für Bundeswehr und Nato gebaut und sollte von Audi aufgepeppt werden. Die unvoreingenommenen Ingenieure (führender Hitzkopf: Walter Treser) infizierten sich hier mit den Allradvorteilen und setzten alles daran, das Prinzip auch für normale Autos anzuwenden – großes Schlagwort: leichtfüßig im Gegensatz zur hergebrachten Verbauung von Gewicht und Masse.

Es ging um bahnbrechenden Fortschritt, nicht um Schönheit: VW Iltis bei der ersten Rallye Paris–Dakar (1980).
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Ohne jetzt gleich wieder mit den Kronländern der Monarchie anzufangen (Porsche und alle vier Radnaben), so hat die weltweite Allraddurchsetzung doch eine Menge mit Österreich zu tun. Piëch sowieso. Innerhalb seiner Mannschaft gelang es, einen Audi 80 auf permanenten Allrad umzubauen und den Prototyp der VW-Konzernspitze aufzudrängen. Deren oberster Technikchef Ernst Fiala, sehr österreichisch in seiner volkstümlichen Art (und heute hochverehrter Weiser unter den Klügsten, er lebt im Weinviertel), nützte den getarnten Prototyp für eine Reise von Wolfsburg nach Wien, hatte es dann eilig und bat seine Frau, das Auto in der Hochgarage im achten Bezirk abzustellen. Im engen Schneckengewinde des Parkhauses empfand Frau Fiala den starren Durchtrieb als extrem störend und sagte: "Das is a hupfertes Auto", was ihr Mann ins Deutsche übersetzte und nach Wolfsburg und Ingolstadt meldete. Also musste Piëchs Truppe eine smartere Lösung erfinden, kurz gesagt eine Raumordnung mit sperrbarem Verteilerdifferenzial, ohne zusätzliche geometrische Kunststücke, für die kein Platz war. Stichwort "Hohlwelle", to make a long, long story very, very short.

Turracher Höhe: Audi-Pioniere Ferdinand Piëch und Walter Treser vor einem übermäßig getarnten Audi Quattro.
Foto: privat

Und sie nannten ihn Quattro (Vorschlag Walter Treser in der entscheidenden VW-Vorstandssitzung, Gegenvorschlag des Marketings: "Carat", uff).

Genug Schnee auf der Turrach

Damit war die Österreich-Connection der großen Erfindung noch keineswegs zu Ende. Wesentlicher Stützpunkt für das Motivationsprogramm der Audi-Leute, sowohl innen- wie auch außenpolitisch, war die Turracher Höhe. Es wurden Entscheidungsträger eingeladen. Oft schneite es den ganzen Tag, und die steile Forststraße zur Rosatin-Alm war noch nicht gespurt. Der Quattro (noch immer in der Verkleidung eines Audi 80) trat gegen drei Fremdfahrzeuge an und schaffte als Einziger den Aufstieg. Piëch gönnte sich daraufhin noch die Freude, ins Tal runterzufahren, zu wenden, vorbei an ein paar schneekettenwerkelnden Ausflüglern, beim Schild "28 % Steigung" anzuhalten und dann wieder loszufahren. Dies bedeutete die endgültige Freigabe des Projekts.

Damals gab es noch Wörter wie "geschlechtsspezifisch", und da staunte die Männerwelt. Erstmals siegte ein Damenteam in einem Rallye-Weltmeisterschaftslauf: Rallye San Remo, 1981, Michèle Mouton (rechts) mit Beifahrerin Fabrizia Pons, Audi Quattro.
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Der Quattro (wenn’s nach der Firma ging, musste aber die Kleinschreibung quattro verwendet werden) wurde als GT-Coupé mit Turbo und 200 PS entwickelt und kam 1980 auf den Markt, von der Fachpresse sofort als sensationell etikettiert. Piëch war überzeugt, dass das Auto rasch in den Motorsport gehen musste. Nicht nur aus reinem Sportsgeist: Wenn das Konzept wirklich so revolutionär und überlegen war, würde herkömmliche Strategie nicht ausreichen, um das Produkt adäquat einzuführen. Also musste man einen raschen direkten Vergleich der Systeme suchen: Quattro gegen das Herkömmliche. Dafür gab es keine bessere Bühne als den Rallyesport auf Weltmeisterschaftsebene.

Fahrer für die Saison 1981 waren der Finne Hannu Mikkola und die Französin Michèle Mouton. Der gesunde Teint, die dunklen Augen, die schwarze Mähne passten ins Klischee einer Südfranzösin, der man nicht erst die Welt zu erklären versuchen sollte.

Man begegnete der jungen Dame höflich bis freundlich, neugierig sowieso. Es war ja schon zwanzig Jahre her, dass eine Frau die besten Männer biegen konnte, das war Pat Moss, zufällig halt die Schwester des Stirling Moss.

Der Lancia Delta Integrale war das dominierende Auto der 1990er-Jahre.
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Medien- und Stammtischfragen

In Medien, an Stammtischen und den eben erblühenden Talkshows (frühe 80er!) fand man durchaus Gefallen an dieser Frage: Kann man Autofahren, auch extremes Autofahren, völlig genderneutral (damals sagte man: nicht geschlechtsspezifisch) betrachten?

Die einen sagten so, die anderen so, und die ärgsten Machos blieben unter der Tuchent.

Michèle, manchmal wütend, manchmal gottergeben, hatte Standardantworten auf dumme Fragen parat. Thema Grenzbereich: Manchmal hat jeder die Hosen voll, ob Mann, ob Frau.

Der Zirkus ging erst richtig los, als Michèle Mouton ihren ersten Weltmeisterschaftslauf gewann, die Rallye San Remo 1981.

Eine Frau schlägt die besten Männer, daran konnte man sich abarbeiten, mit unterschiedlichen Vorzeichen. Die Macho-Variante (etwa bei Audi und allen Bayern) zielte auf die Überlegenheit des Produkts, quasi: Mit dieser fantastischen neuen Technologie könne sogar eine Frau gewinnen.

Akrobatik mit Subaru...
Foto: Copyright McKlein / Reinhard Klein / Colin McMaster 2020

Dem Boulevard und den Schicki-Journalen (dreißig Jahre vor Facebook etc.) war der Allradantrieb allerdings ziemlich wurscht, und man war auch noch Lichtjahre entfernt von der Schärfe künftiger Wortwechsel. Volkstümliche Blätter, die Gala oder Bunte hießen, erfrischten uns mit der Entdeckung verblüffender Gegensätzlichkeiten: "Der Teufel mit dem Engelsgesicht", "Die sanfte Wilde", "Die schwarze Tigerin", "Der schöne Vulkan". Auch "Der schöne Satan hinter dem Steuer" passte ganz gut ins Portfolio.

Ab Herbst 1982 gab Michèle auf "Frauenfragen" keine Antwort mehr, sie hatte die Nase voll von dem Getue. Letztes Beispiel: Das weltläufige Cosmopolitan sprach vom "schönen Vulkan", der "wieder ausbricht und eine Aschenwolke auf die Häupter der männlichen Rallye-Götter niedergehen lässt". Wirklich, echt.

Intern musste man auch mit der Erkenntnis klarkommen, "dass sich ein Bayer schwertut, einer Frau zu dienen" (Sportchef Gumpert, keineswegs aus Bayern).

...und VW Polo...
Foto: Colin McMaster/McKlein

Kurz noch: Michèle verpasste haarscharf den Weltmeistertitel 1983. Das Audi-Team gewann in der Folge 23 WM-Läufe und vier Weltmeisterschaften. So lang dauerte es allerdings nicht, bis die Konkurrenz auf die Sprünge kam. Fast alle Firmen der Welt, von Mercedes bis Peugeot, von BMW bis Toyota, hatten unmittelbar nach der Quattro-Show von 1981 mit der Entwicklung eigener Allrad-Anwendungen begonnen, ob für den Motorsport, für Pkw oder jene seltsame Mischform, die man später SUV nennen würde.

Spätestens an dieser Stelle taucht die Frage auf, wie die Geschichte wohl verlaufen wäre, wenn sich nicht zur rechten Zeit die Gruppe rund um den knapp vierzigjährigen Techniker Piëch gefunden hätte.

Bei solchen Fragen holen wir gern die Expertise des österreichischen Technikgurus Fritz Indra ein.

...Rückblende auf die Rallye-Heydays mit der großen Allrad-Mission: Italien 1985, Walter Röhrl, Audi Quattro. Dass es so nicht weitergehen konnte, war vorhersehbar: Der Motorsport musste irgendwie vernünftiger werden, was zumindest bei der Bändigung der Zuschauer gelungen ist.
Foto: Copyright McKlein / Reinhard Klein / Colin McMaster 2018

Der Professor meint, es hätte wohl noch etliche Jahre gedauert. Die Japaner hätten eigentlich die besten Chancen gehabt (viele Fronttriebler, etliche kleine Allradmodelle, aber nur fürs Gelände), aber sie hätten den Trend nicht erkannt. Die Sache ist natürlich viel komplizierter, aber allein in zwei Sätzen gibt es genug zum Nachdenken: Es wären (wie eben zuvor Audi) nur Firmen infrage gekommen, die Frontmotor und -antrieb hatten (Ford, Opel), weil dort der Zusatzantrieb der Hinterachse einfacher ist als umgekehrt. Bei einem Hecktriebler muss man am Ende des Getriebes wieder raus, um mit einer Welle nach vorn und dann unterhalb des Motors quer durch die Ölwanne die Vorderräder zu erreichen.

Erst der Marketingdruck durch die neue Erfindung brachte bei der Autoindustrie weltweit die entsprechenden Entwicklungskosten ins Budget.

Die neue Welt der Elektronik

Im Rallyesport ging es natürlich sehr viel schneller, weil nur Prototypen aufgestellt werden mussten. So war Peugeot der erste Herausforderer, es folgten Ford, Lancia, MG, die Japaner. Audi hatte bis Ende der 1980er-Jahre alles bewiesen, was zu beweisen war, zog sich von Rallyes zurück und wurde mit der Quattro-Idee innerhalb der gesamten Modellreihe erfolgreich.

Ab den 90er-Jahren setzte sich die Elektronik, angefangen mit ABS und Antischlupf, obendrauf auf das Allradsystem. Es entstanden Kunstwerke wie der Lancia Delta Integrale, dann der Subaru Impreza 555 und Citroën Xsara und D4. Die aktuelle Weltmeisterschaft wird von der Fan-Community auf den richtigen Sendern begeistert verfolgt, weil die Übertragungstechnik so hautnah, eigentlich intim, geworden ist, andererseits ist die breite Öffentlichkeitswirkung des Sports sehr viel geringer als in den Heydays. Die großen Player in der Weltmeisterschaft sind derzeit Hyundai, Ford und Toyota. (Herbert Völker, 30.12.2020)