Der Allradantrieb ist ja fast so alt wie das Auto selbst. Der holländische Kutschenfabrikant Spyker baute 1902 aus sportlichen Motiven den ersten Allradantrieb in Kombination mit einem Benzinmotor. Aber schon zwei Jahre davor war der Lohner-Porsche mit vier elektrischen Radnabenmotoren präsentiert worden. Im Grunde war Allradantrieb jedoch sehr lange Zeit hauptsächlich ein Thema fürs Militär und für anderweitigen professionellen Einsatz in unwegsamem Gelände.

Weitere wichtige Erscheinungsformen im Lauf der Geschichte: Jensen FF, ein Sportwagen der 1960er-Jahre mit Allradantrieb aus dem Hause Ferguson Research (das war nicht der Traktorhersteller). Im weiteren Bereich der Personenwagen beherrschten Jeep und Land Rover jahrzehntelang das Terrain, erst Ende der 1970er-Jahre ging das Allradthema in die Breite.

Land Rover Defender: Allrad für Hartgesottene und Cowboys wird immer seltener.
Foto: Land Rover

Die Geschichte des Allradantriebs im Personenwagen begann mit einem denkwürdigen Satz des damaligen Audi-Chefs Ferdinand Piëch: "Bald wird ein Allradantrieb nicht mehr kosten als ein Satz Winterreifen." Zu dieser Zeit verkaufte aber Subaru längst Allrad-Pkw in großen Mengen. Audis Erfolge im Sport und auch bei zivilen Personenwagen sind mittlerweile ebenfalls Legende. Das Thema Allradantrieb ist noch präsent, aber inzwischen ein wenig abgekühlt, zumindest emotional. Die beliebtesten Pkw, die SUVs, sehen ja normalerweise zwar aus wie Allradler, haben aber meist nur Frontantrieb.

Allradantrieb ist also immer noch ein Thema, hat sich aber aus der Cowboyecke befreit und gibt sich jetzt eher vernunft betont, weniger kraftmeierisch. Die Ausgangsposition ist ohnehin nicht sehr erfreulich: Allradantrieb führt zu höherem Kraftstoffverbrauch und damit zu mehr CO₂ (aber auch nicht unbedingt und immer). Jetzt soll er auch noch beim Spritsparen helfen.

VW T-Cross: derzeit häufigstes System mit elektronisch gesteuerter Allradkupplung.
Foto: Volkswagen

Doch der Reihe nach: In Kombination mit einem Verbrennungsmotor muss immer irgendwie dafür gesorgt werden, dass der Kraftfluss auch auf eine zweite Achse aufgeteilt wird. Das erfolgt entweder durch ein Verteilergetriebe mit Differenzial (permanent) oder durch eine Kupplung, die bei Bedarf die zweite Achse zuschaltet (zuschaltbar). Früher erfolgte das manuell durch den Fahrer, heute geht das vollautomatisch, mittlerweile so schnell, dass man es nicht mehr spürt. Die Grenzen zwischen permanentem Allradantrieb und automatisch sich zuschaltendem verschwimmen in der Praxis zusehends und verlieren an Bedeutung. Und nun kommen auch noch elektrische Systeme hinzu.

Toyota Prius: Vollhybrid vorn mit zusätzlichem Elektromotor hinten.
Foto: Toyota
Peugeot 3008 Plug-in-Hybrid: Allrad durch elektrisches Hinterachsmodul.
Foto: Peugeot

Und hier gibt es einen wichtigen Knackpunkt: Während elektronisch gesteuerte mechanische Allradsysteme etwa 200 Millisekunden benötigen, um den Befehl umzusetzen, beträgt die Reaktionszeit bei rein elektrischen Antrieben nur etwa 30 Millisekunden. Während mechanische Systeme immer einen Wirkungsgradverlust aufweisen (der Verbrauch erhöht sich zwischen 0,2 und 0,5 l / 100 km), verläuft die Kraftverteilung bei vollelektrischen Systemen fast verlustfrei. Ein mechanisches Allradsystem ist eine Herkulesaufgabe für den Kupplungs- und Getriebebau, bei elektrischen Allradsystemen benötigt man nur einen zweiten oder gar dritten Elektromotor.

Audi e-tron S Sportback: Drei E-Motoren bringen höchste Flexibilität im Antrieb.
Foto: Audi

Hier liegt die Schwierigkeit eher in der Absicherung der hochentwickelten elektronischen Steuerung gegen Fehlfunktion. Während bei mechanischen Allradsystemen echtes Torque Vectoring, also die hochflexible Ansteuerung einzelner Räder mit Drehmoment, bisher nur selten umgesetzt wurde, weil mechanisch extrem aufwendig und schwer, ist das beim E-Antrieb nur eine Frage der klugen und verlässlichen elektronischen Steuerung (auch nicht ganz leicht, aber fast gewichtslos).

Einer werkt vorn, einer hinten

Zusehends beliebter bei den Automobilherstellern (ob auch bei der Kundschaft, wird sich noch weisen) ist eine Mischform aus mechanisch und elektrisch. So kann durch Hybridisierung der Allradantrieb plötzlich auch zum Spritsparen eingesetzt werden. In der Regel sieht das so aus: Ein Verbrennungsmotor treibt die Vorderräder, ein Elektromotor die Hinterräder. Eine mechanische Verbindung zwischen Hinter- und Vorderachse gibt es nicht. Fast immer ist diese Kombination als Plug-in-Hybrid ausgeführt. (Der Toyota Prius mit Allradantrieb bedient sich auch dieser Konfiguration, die elektrische Hinterachse arbeitet aber zusätzlich zu einem vollwertigen Hybridantrieb vorn.)

Mit dem zusätzlichen Elektroantrieb an der Hinterachse ist es für den Hersteller relativ einfach, aus einem frontgetriebenen Auto sozusagen in einem Arbeitsgang ein Hybrid- und ein Allradfahrzeug zu machen, zumal die elektrische Hinterachse meist als Modul direkt von einem Zulieferer kommt. (Rudolf Skarics, 23.1.2020)