Netrebko eifersüchtelt glaubhaft.

Foto: Wiener Staatsoper / Michael Pöhn

Wenn Anna Netrebko ihre erste Wiener Tosca singt, wird nach ihrem Vissi d’arte niemand applaudieren. Wer Selbiges in präpandemischen Zeiten prophezeit hätte, wäre für plemplem erklärt worden. Doch Corona leert nicht nur die Gasthäuser, sondern zwingt die Staatsoper zu Vorstellungen, die (fast) ohne Publikum aufgezeichnet und im TV ausgestrahlt werden. So wie die (live-zeitversetzt auf ORF 3 übertragene) Tosca am Sonntagabend, bei der die wenigen anwesenden Journalisten im Vorhinein gebeten wurden, nicht zu applaudieren. Nach Netrebkos Vissi d’arte fiel das schwer.

Denn die Arie der Tosca im zweiten Akt, in der sie ihr Leben besingt, wurde nicht nur zum makellosesten, sondern auch zum wahrhaftigsten Moment dieser Aufführung. Der edle Mahagoniglanz und das dunkle Nougat im Timbre der Starsopranistin ließen die vereinzelte Zuhörerschaft dahinschmelzen. Und als die Netrebko danach noch vor dem bösen Scarpia auf die Knie ging, um für das Leben ihres geliebten Mario zu flehen, verwandelte sich Rührung in heftigen Herzschmerz.

Kein Innenminister

Mit ihrem erregten, herrischen Agieren hatte sie schon im ersten Akt demonstriert, dass sie die nervöse, eifersüchtige Diva draufhat – wenn sie auch im Wesen wie im Gesangsverhalten eher zur lyrischen Verbreiterung neigt.

Ansonsten war es ein Abend, der Wünsche offenließ. Polizeichef Scarpia gab Wolfgang Koch stimmlich enttäuschend harmlos; vielleicht sollte Koch seinen Ton mehr an den Ansprachen des österreichischen Innenministers schulen. An der Seite seiner Göttergattin zeichnete Yusif Eyvazov die Figur des Cavaradossi in vokaler Monochromie, bewies aber Standfestigkeit, Höhensicherheit und langen Atem.

Bertrand de Billy administrierte das Geschehen im Orchestergraben unverbindlich, adrett und mit einer lauwarmen Harmlosigkeit: der Kevin Kühnert der Dirigentenzunft gewissermaßen. Das Wirken des ehemaligen RSO-Wien-Chefs erinnerte an einen Floristen, der detailverliebt geschmackvolle Blumenensembles arrangiert: alles so erlesen hier, Tosca im Mädchenpensionat. Italienische Oper ginge anders. (Stefan Ender, 15.12.2020)