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In Chinas Westprovinz Xinjiang werden offenbar hunderttausende Uiguren zur Arbeit auf Baumwollfeldern genötigt.

Foto: AP / Ng Han Guan

Peking – Zuerst kommen die Abgesandten der Regierung, von denen es in Chinas westlicher Provinz Xinjiang mittlerweile rund 350.000 gibt, in die Dörfer. Sie, so schreiben es chinesische Staatsmedien und offizielle Dokumente, "leiten die Dorfbewohner an, sich bewusst illegaler Religionsausübung zu enthalten" – also jener des Islam, dem die meisten Menschen aus der Gruppe der Uiguren, die in Xinjiang die Mehrheit stellen, angehören. Dann werden "Absichtsverträge unterzeichnet". Und schließlich stürzen sich jedes Jahr mehrere hunderttausend Menschen "mit Enthusiasmus in die Arbeit als Baumwollpflücker".

Ein Bericht der britischen BBC, die sich auf neue Dokumente der Victims of Communism Memorial Foundation in Washington bezieht, lässt diese Erzählung in einem anderen Licht erscheinen. Hunderttausende Menschen in der Provinz, vor allem die Uiguren, werden demnach jedes Jahr in einem System der Zwangsarbeit zum Pflücken auf den Feldern genötigt, die 85 Prozent der chinesischen Baumwollproduktion liefern und damit 20 Prozent des Weltmarktbedarfs stillen. Es handelt sich, so stellen es beide Quellen dar, um die ersten greifbaren Beweise dafür, dass es in Xinjiang auch außerhalb der berüchtigten "Umerziehungslager" mit über einer Million Häftlingen zu Zwangsarbeit im großem Maßstab komme.

Wenn die Beamten kommen

Die Arbeit ist nach Sicht der chinesischen Regierung Teil eines Programms zum Kampf gegen die Armut. Laut offizieller Statistik ist die Zahl der unter der Armutsgrenze lebenden Menschen in der Provinz seit 2014 von rund 20 auf nur noch ein Prozent gesunken. Zudem würden die Arbeitenden für die harte Arbeit fair bezahlt. Bis zu 630 Euro pro Monat seien auf den Baumwollfeldern zu verdienen, heißt es offiziell – während in Berichten aus Dörfern von Löhnen in der Höhe von nur rund 210 Euro die Rede ist.

Klar scheint, dass es für das Baumwollplücken tatsächlich zumindest in der Regel Lohn geben dürfte – dass sich die Arbeiterinnen und Arbeiter ihre Arbeit aber aussuchen können, scheint nicht wahrscheinlich. In Berichten ist von Quoten die Rede, mit denen Chinas Beamte in den Dörfern erschienen.

Quoten aus der Partei

Rund zehn Prozent der Einwohner seien es etwa in einem gut dokumentierten Fall aus der Stadt Aksu gewesen, in dem die Beamten von Tür zu Tür gegangen seien, um Menschen zur Arbeit zu verpflichten. Dass die ihrer Tradition nach nomadischen Uiguren die Arbeit gerne annehmen, sei nicht wahrscheinlich. Immer wieder ist in Berichten von vor Ort auch die Rede davon, dass es für die Arbeit gar keine Entlohnung gebe. Aber auch Zwang zu bezahltem Baumwollpflücken wäre nach internationalen Konventionen Zwangsarbeit.

Für die großen Modefirmen sind die Enthüllungen problematisch, viele von ihnen beziehen Baumwolle aus China. Angesichts der Berichte könnten sie nun unter Zugzwang geraten. Nur vier von 30 von der BBC befragten Unternehmen – der britische Händler Marks & Spencer, Next, Burberry und der Diskonter Tesco – antworteten allerdings auf entsprechende Anfragen. Sie verwiesen auf genaue Kontrollen ihrer Lieferketten. Die Regierung in Peking nennt die Vorwürfe erfunden. Die Menschen in Xinjiang könnten ihre Arbeit nach freier Entscheidung wählen, teilte sie mit. "Die lachenden Gesichter der ethnischen Gruppen sind die beste Antwort auf diese Lügen aus Amerika." (red, 15.12.2020)