Diese Geschichte beginnt mit dem Erfolg des SUVs, mit regionalen Sonderentwicklungen – und Sehgewohnheiten. Der Pick-up in heute gängiger Form ist ein zutiefst US-amerikanisches Konzept mit allerdings weltweiter Erfolgsgeschichte, auch bei uns ist er inzwischen recht beliebt. Das hätte durchaus auch anders kommen können, darum gleich die naheliegende Frage: Was wurde eigentlich aus unserem Pritschenwagen? In der Nachkriegszeit waren diese Versionen des VW T-Modells sehr beliebt, als praktische Bau(stellen)fahrzeuge sind sie noch heute nicht wegzudenken, dazu gleich mehr, aber zu modischem Rang haben sie es nie geschafft.

Der Ford Ranger ist in Österreich bei den Pick-ups immer ein
Schwergewicht...
Foto: Ford

Es geht dabei – auch – um langfristig verankerte Sehgewohnheiten. In Mittel- und Westeuropa hat es der Verbreitung zunächst der Vans, dann der SUVs enorm geholfen, dass die Golf-Klasse so durchschlagend erfolgreich war. Anders als die Limousine setzten VW Golf und Konsorten auf das sogenannte Zweiboxdesign: Schnauze mit Motorraum, Fahrgastzelle, fertig. Nach demselben Silhouettenmuster geschnitzt sind eben Van und SUV (und Kombi).

...aus den USA kommt Anfang 2021 der Jeep Gladiator hinzu.
Foto: Jeep

Bei den Lastwagen, und hier der nötige Schlenker in den Nutzfahrzeugbereich, war es ähnlich: Nach dem Krieg verschwand bei den großen Herstellern Mercedes, Volvo, Scania, MAN, Iveco, DAF sukzessive der ganze Motorvorbau unter der Fahrerkabine – anders in den USA. Die stehen dort generell auf lange Motorhaube, sodass deren Laster heute noch vorzugsweise im Stufenzuschnitt zwischen New York und L.A. durch die Lande tingeln, ähnlich gestrickt wie die Pick-ups: Schnauze, Passagierraum, Ladebereich. Und womit kann die Pritsche nicht dienen? Schnauze!

Die starke Japaner-Riege: Der Toyota Hilux wurde soeben
gründlich überarbeitet...

Foto: Toyota

Ja, aber was wurde nun aus den Pritschenwagen? Kurz gesagt: eins zu drei. Länger gesagt: 2019 wurden in Österreich 5519 Pick-ups neu zugelassen, heuer bisher 3587 – bei den Pritschenwagen waren es 2462 und 1152. Nehmen wir 2019 als jüngstes verfügbares statistisch relevantes Jahr, lautet das Pritschen-Ranking: Ford Transit (über 3 und 3,5 t: 935 Stück) vor VW Transporter (872), VW Crafter (234), Opel Movano (176), Mercedes Sprinter (unter und über 3,5 t: 71), Iveco Daily (40), Hyundai H 350 (34), Fiat Ducato (über 3 t: 18), Renault Master (15) etc. – man sieht schon: breites Angebot, breiter als bei den Pick-ups. Deren Klassement 2019: Ford Ranger (1586), VW Amarok (1363), Mitsubishi L 200 (744), Mercedes X-Klasse (528), Toyota Hilux (485), Nissan Navara (348), Fiat Fullback (213), Dodge Ram (169) und Renault Alaskan (83).

...Nissan Navara...
Foto: Stockinger

Überlappend

Hinsichtlich Konstruktion (Leiterrahmen) und Einsatzzweck überlappen sich die beiden Fahrzeugkategorien natürlich, beide werden gern als Arbeits tiere gehalten, von der Baustelle bis zum kommunalen Bereich. Seit Jahren kommt aber beim Pick-up der multiple private Nutzen hinzu, von Freizeit bis Pferdeanhängerschlepper, und innen verlieren sie langsam den Sichtblech-Brutaloplastik-Baustellenfahrzeugcharakter zugunsten wohnlicherer, Pkw-ähnlicherer Atmosphäre. Zudem, mit ein Grund für die Beliebtheit: Durch die Bank sind diese robusten Kumpeltypen talentierte Geländegänger.

Klar, von der enormen Verbreitung, wie man sie aus den USA, aus Afrika und Asien kennt, sind die Pick-ups in Europa, in Österreich weit entfernt, Exoten sind sie aber auch schon lange nicht mehr. Dabei gibt es durchaus Tops und Flops. Generell top sind Japans Hersteller, nur ein Beispiel wäre der Hilux als zweiterfolgreichster Toyota aller Zeiten: Seit 1968 verkaufte der sich weltweit fast 20 Millionen Mal.

...und Mitsubishi L 200 traten
zuletzt auch als Derivat-Spender für
Mercedes, Renault und Fiat in Erscheinung.
Foto: Mitsubishi

Oder Ford. Deren F-150 und überhaupt die F-Baureihen zählen zu den absoluten weltweiten Bestsellern. Auch der Ranger punktet global, und da kommt der erste, ein Semi-Flop ins Spiel: VW Amarok. Wird in Südamerika weiter gebaut, die Fertigung in/für Europa ist hingegen bereits ausgelaufen, obwohl er sich großer Beliebtheit erfreute. Grund ist neben der womöglich zu geringen Marge eine Vereinbarung mit Ford, der zufolge der Amarok-Nachfolger ein Ranger mit VW-Emblem sein wird. Blamabel. Das ersparte Geld steckt Volkswagen in Elektroprojekte wie den ID Buzz, den 2022 kommenden Elektro-Bulli.

Ein VW-T4-Pritschenwagen aus den 1990ern zur
Veranschaulichung der
Fahrzeuggattung und ihrer partiellen konzeptuellen Verwandtschaft mit dem Pick-up.
Foto: Volkswagen

Nicht sonderlich gut läuft der auf dem Nissan Navara basierende Renault Alaskan. Der ebenfalls von ihm abgeleitete Mercedes X – enorme Summen mussten in die Modifikationen, die wegen des V6 nötig wurden, in das Auto gesteckt werden; ferner war der Billig-Look der Mercedes-Klientel schwer zumutbar – ist bereits Geschichte. Ebenso eingestellt wurde der Fullback, Fiats Derivat vom Mitsubishi L 200. Aus den USA hingegen stößt früh 2021 ein neuer Akteur zu uns: Jeep Gladiator, die Pick-up-Version des legendären Wranglers. Damit in Aussicht gestellt: überragende Geländefähigkeit.

Besonders beliebt sind die Pick-ups auch bei den Händlern. Grund: Das ist eine Fahrzeugkategorie, wo die Kundschaft viel individuelles Zubehör erwirbt. Vom Wohnwagenaufbau bis zur Lichtergalerie am Dach. Nur der Kuhfänger ist nicht mehr en vogue. Der ist nämlich verboten. (Andreas Stockinger, 1.11.2021)