Was hat Sex mit Führung zu tun? Nicht zufällig findet sich im Wort Verführung das Wort Führung. Wie kommt es bei Ihnen zum Sex? Wer beginnt, probiert, spielt? Wer trifft Entscheidungen, wer inszeniert, wer gestaltet? Was ist wirklich wichtig? Ganz ehrlich – wovon träumen Sie?

Nix muss, vieles kann

Ja, klar, niemand muss Sex haben, keiner kann einem sagen, wie oft wir Sex haben wollen oder sollen, wie uns Sex Freude macht, was wir beim Sex mögen und so weiter. Und es soll vor allem keine leistungsgetriebene Performance sein, sondern zufrieden und glücklich machen. Ein genuss- und lustvolles Spiel wünschen sich viele. Was genau tun Sie dafür?

Zwischen Begierde und Wiederholungen

Sätze, die ich immer wieder in meiner Praxis höre

  • Sex … das ist doch oft etwas, "das zu Beginn einer Beziehung von selbst" passiert, oder?
  • Die Beziehung, die Liebe ist aus, wenn kein Sex mehr da ist.
  • Sex … das ist leidenschaftliche Begierde … schade, dass es immer so rasch vorbei ist. Aber dann such ich mir halt jemand Neuen, und es ist wieder spannend ...
  • Sex … ich warte ab, was passiert …
  • Na, so richtig toll ist er/sie nicht im Bett … schade, sonst passt ja ganz viel …
  • Ich möchte gerne schon tagsüber wissen, ob sie abends Sex haben will, dann kann ich meinen Tag planen!
  • Wer wen verführt? Nein, verführen, das machen wir beide nicht. Ich mach einfach mit, wenn er/sie aktiv wird … manchmal denken das leider beide.
  • Ob wir ein Repertoire haben? Beim Sex? Haha, es ist immer dasselbe. Erst die Hand, dann der Kuss …

Wer also gestaltet Ihr Sexualleben?

Manchmal habe ich den Eindruck, viele handeln, als ob Sex ein eigenständiges Wesen ist, das halt irgendwann mal geht und wir hilflos zusehen müssen. Oder dass der jeweils andere in einer Beziehung dafür verantwortlich ist. Was darf es also jetzt für Sie sein, und was tun Sie dafür? Die große Frage ist: Wer gestaltet Ihr Sexualleben, Ihr persönliches und das in Ihrer Beziehung? Ihre Triebe? Ihre Hormone? Ihr Partner, die Partnerin? Aktuell "illegale Tinder-Dates", das gibt jetzt den besonderen Kick? Ist es Ihr Pornokanal oder Ihr Super-Vibrator? Sie selbst? Machen Sie immer dasselbe mit sich oder anderen? Haben Sie gestaltbare Spielräume?

Was alles gute Sexualität ist

Wissen Sie, was gute, nährende, wohltuende Sexualität für Sie ist? Das ist ja doch ganz grundlegend unterschiedlich und verändert sich ja auch im Laufe des Lebens. Was ist es, was Sie jetzt wirklich möchten? Oft gewinne ich den Eindruck, dass viele Menschen sich den unbefriedigenden Gegebenheiten anpassen. Das ist ungefähr so, wie mit ausreichender Bewegung aufzuhören, keine sportlichen Herausforderungen zu suchen und zu sagen, ich werde halt älter, ich "kann das nicht mehr", ich bin halt weniger fit. Das ist natürlich eine oft sehr energieschonende Einstellung, die aber weder lustig noch lustvoll – und schon gar nicht lebendig macht, auch nicht glücklich?

Ihr Sexleben muss nicht unbefriedigt bleiben.
Foto: https://www.istockphoto.com/de/portfolio/south_agency

Wann hat man den besten Sex?

Immer dann, wenn Sie sich dafür entscheiden, ihn haben zu wollen. Wenn Sie Ihren Körper mögen und ihn gut kennen. Wenn Sie guten, lustvollen Sex haben wollen, egal wie alt Sie jetzt sind, ob allein, zu zweit, mit anderen. Manche Menschen träumen von "später" – dann, wenn die Kinder größer oder aus dem Haus sind, der Stress nachlässt – oder natürlich auch "früher". Dabei haben wir jetzt die wunderbarsten – und einzigen – Gestaltungsmöglichkeiten. Was mit 20 oder 30 spannend war, ist es oft mit 50 oder 70 nicht mehr. Unsere Körper und unsere Bedürfnisse verändern sich. Logisch und gut so. Was also ist heute Ihr Begehr, und was können Sie dafür tun?

Eine/r will mehr als der andere

Beim Sex in längeren Beziehungen ergeben sich immer wieder klare Rollenverteilungen, oft gibt es eine/n, der mehr, und eine/n, der weniger möchte. Einer ist aktiver, einer passiver, oft führt eine/r, der andere macht mit. Hier hätte ich gerne ein Patentrezept, um die Rollen zu tauschen, das gibt es aber nicht. Allerdings habe ich …

… eine Anregung

Vereinbaren Sie klar eine "sexlose" Zeit. Ob das zwei Tage, zwei Wochen, zwei Monate sind, entscheiden Sie gemeinsam. Für nach dieser Zeit vereinbaren Sie vorher schon ein "Date" – das klar der freudigen erotischen Annäherung und, wenn es klappt, auch den erotischen Genüssen dient. So ist der weitverbreitete Druck raus aus dem Sex, es darf wieder Vorfreude entstehen. Bereiten Sie sich beide, jede/r für sich, darauf vor. Malen Sie sich das Date aus. Was wollen, brauchen, wünschen Sie sich? Wie wollen Sie Ihre Fantasien und Vorfreuden miteinander teilen? Irgendwann hat es ja schon mal geklappt mit Ihnen beiden, warum nicht nochmal?

Führen oder führen lassen?

Verführen oder verführen lassen? Klar, es kann sehr erregend sein, wenn Sie von jemandem, der weiß, was er/sie will, geführt werden, sich hingeben und fallen lassen können, wenn Sie begehrt werden. Wenn dieser führende Mensch so feinfühlig ist, auch Ihre Körperreaktionen wahrzunehmen. Wenn es gelingt, dass Ihre Körper sensibel und eindeutig genug miteinander sind, in erregende Resonanz miteinander gehen.

Ja, es kann sehr erregend sein, selbst zu führen, zu gestalten, zu spüren, was braucht der andere Mensch, der Ihnen ganz nahekommt. Was möchten Sie? Wie einfühlsam gelingt Ihnen Führung beim Sex – sodass beide freudig und lustvoll dabei sind? Welche Rolle liegt Ihnen mehr? Haben Sie schon beide probieren können? Oder ist es bei Ihnen so, dass zwar einer den Impuls gibt und dann beide gerne miteinander "spielen"?

Egal ob führen oder führen lassen, verführen oder verführen lassen. Was würde Ihnen jetzt guttun? Wissen Sie, wie und an welchen Stellen Sie gerne berührt werden möchten? Was Sie aktuell erregt, was Ihre Fantasie, Ihre Lust beflügelt? Sind Sie der oder diejenige, die gerne einlädt, verführt? Können Sie sich verführen lassen?

Sexualität lässt sich ein Leben lang gestalten und verändern

Ich möchte klar zum freiwilligen und freudigen Spiel, zur Gestaltung und auch dem – zumindest immer wieder – bewussten Führen des eigenen Sexuallebens anregen. Weil, nein, wir sind nicht ausgeliefert. Weder unseren Trieben noch Hormonen noch unseren Sexualpartnern. Wir können sehr viel gestalten, immer wieder im Moment spüren, was guttut. Nein, Sie müssen sich nicht ständig Neues einfallen lassen oder sich selbst neu erfinden. Wenn Sie sich selbst gut wahrnehmen, selbst Verantwortung für Ihr gelungenes Sexualleben übernehmen, also auch gut mit den eigenen Bedürfnissen und Möglichkeiten verbunden sind, liegt das Gelingen nahe. Wenn Sie einen bewussteren Zugang zu sich und Ihren sexuellen Bedürfnissen finden, werden Sie sicherer und mutiger. Zeigen Sie Ihre Bedürfnisse, laden Sie in Ihre lustvolle Welt ein. Genießen Sie Ihren Sex, lassen Sie ihn lebendig bleiben oder auch wieder werden. (Nicole Siller, 21.12.2020)