Sie kommen ihrem eigentlichen Ziel immer näher. Zuletzt griffen sie das Dörfchen Mute an – nur noch gut 20 Kilometer von der mosambikanischen Halbinsel Afungi entfernt, wo derzeit die größte Investition Afrikas verwirklicht wird: die Erschließung von Erdgasfeldern im Wert von 60 Milliarden US-Dollar. Bei dem Überfall vor wenigen Tagen zündeten die Angreifer dutzende Häuser an und vertrieben die Bevölkerung: die Handschrift der mit dem "Islamischen Staat" verbündeten Ansar al-Sunna wa Jama'ah, kurz al-Shabaab (die Jugend) genannt. Sie machen den abgelegenen Norden Mosambiks schon seit mehr als drei Jahren unsicher.

Hinterhalt

Nur wenige Tage vor dem Angriff auf Mute legten die Islamisten einem Armeekonvoi einen Hinterhalt und töteten 25 Soldaten, darunter auch höhere Offiziere. Nach Angaben eines Militärsprechers wurden auch dutzende Soldaten verwundet. Anfang November überfielen die islamistischen Kämpfer dem staatlichen Rundfunk zufolge das ebenfalls in der Provinz Cabo Delgado gelegene Dorf Muatide, trieben die Bevölkerung auf einem Fußballplatz zusammen und enthaupteten rund 50 Dorfbewohner, darunter auch Lehrer und Priester. Die Gewaltorgie habe sich über mehrere Tage erstreckt, hieß es. Die Provinz erlebe einen dramatischen Anstieg der al-Shabaab-Überfälle, berichten Kenner des Landes: Es gebe Anzeichen, dass die Region wie einst Teile Syriens und des Irak zu einem Kalifat des "Islamischen Staats" werden könnte.

Im August 2019 brannten die Islamisten das Dorf Aldeia da Paz nieder.
Foto: AFP/Longari

Küstenstadt als Basis für Überfälle

Mit der Einnahme des Hafenstädtchens Mocímboa da Praia hatte Ansar al-Sunna Mitte August einen unerwarteten militärischen Erfolg erzielt: Der mosambikanischen Armee gelang es bisher nicht, den strategisch wichtigen Ort wieder unter ihre Kontrolle zu bringen. Von dem Hafen aus brechen die Extremisten regelmäßig zu Überfällen auf benachbarte Küstenstreifen auf, aber auch zu den nahe gelegenen Inseln, die als touristische Geheimtipps galten. Die Lodges wurden inzwischen alle geräumt. Selbst das benachbarte Tansania griffen die "Jungs" bereits von Mocímboa aus an: Sicherheitsexperten sehen die Gefahr, dass die Extremisten bald auch die streng bewachten Einrichtungen zur Gas- und Ölförderung auf der Halbinsel Afungi überfallen könnten. "Ohne verbesserte Sicherheit machen die Investitionen hier keinen Sinn", gab ein Vertreter der Gasindustrie jüngst gegenüber Reuters zu verstehen.

Keiner kann behaupten, dass die rücksichtslosen Kämpfer unter der Bevölkerung der Cabo-Delgado-Provinz nicht auch Unterstützung finden. Schon seit ewigen Zeiten sehen sich die muslimischen Bewohner der Region vom überwiegend christlichen Süden des Landes und der dort angesiedelten Hauptstadt Maputo stiefmütterlich behandelt. Die Entdeckung der Rohstoffvorkommen fachte dieses Gefühl weiter an: Wieder einmal würden sie von den Einnahmen aus dem Erdgasverkauf nicht profitieren, klagt ein Großteil der Provinzbevölkerung.

"Unverzichtbarer Partner"

Die an dem riesigen Erdgasprojekt beteiligten Konzerne – der US-Multi Exxon Mobil, das französische Unternehmen Total und sein italienisches Pendant Eni – werden zunehmend nervös. Die US-Regierung schickte kürzlich den Beauftragten des State Department für Terrorbekämpfung, Nathan Sales, nach Mosambik, um nicht ganz uneigennützig die Hilfe Washingtons anzubieten. Die USA seien ein "unverzichtbarer Partner" im Kampf gegen den Terror, rührte Sales die Werbetrommel: "Wer es richtig machen will, muss es mit den Amerikanern machen."

Söldner

Was nicht richtig ist, exerzierte Mosambiks Regierung in den vergangenen Monaten vor. Nachdem ihre eigene Armee mit den "Jungs" partout nicht fertig wurde, rief Maputo erst russische, dann südafrikanische Söldner zu Hilfe. Doch weder die "Wagner-Gruppe" noch die "Dyck Advisory Group" vermochte den dramatischen Anstieg der Gewalt zu stoppen. "Terrorismus bekämpft man nicht mit ein paar Söldnern, die sich mit Bodenschätzen bezahlen lassen und dann abhauen", sagte Sales. "Man muss den betroffenen Staaten vielmehr beim Aufbau von Institutionen helfen, damit sie den Terror strafrechtlich verfolgen können."

Schnelle Eingreiftruppe

Wer Mosambik kennt, weiß, dass das auf absehbare Zeit ein Traum bleibt: Bis in der korrupten ehemaligen Bürgerkriegsnation gut funktionierende Institutionen entstehen, wird den Erdgasmultis längst die Geduld ausgegangen sein. Hilfe erhoffen sie sich deshalb vom Staatenbund im Südlichen Afrika (SADC): Der soll seine schnelle Eingreiftruppe nach Mosambik schicken, die für solche Zwecke vor zehn Jahren gebildet wurde. Schließlich können vor allem Tansania, Malawi, Simbabwe und Südafrika kein Interesse daran haben, dass in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft ein islamisches Kalifat entsteht. Allerdings zeigen weder der Staatenbund noch die Regierung in Maputo ein gesteigertes Interesse an der Entsendung der gegenwärtig noch im Kongo stationierten SADC-Truppe: Der Staatenbund befürchtet, dass sich auch seine Soldaten von den Extremisten eine blutige Nase holen könnten. Und Maputo bangt um seine Souveränität – und dass das südostafrikanische Touristenziel vollends in aller Welt als gescheiterter Staat betrachtet wird.

Tausende Vertriebene

Die Zeche für das Zögern zahlt die Bevölkerung. Anfang der Woche meldete die Uno, dass mittlerweile fast ein Viertel der rund zwei Millionen Provinzbewohner aus ihrer Heimat vertrieben worden seien: Das einst malerische Hafenstädtchen Pemba ist zu einem Lager mit mehr als 12.000 Flüchtlingen geworden. Die Regenzeit, die die fast ausschließlich ungeteerten Straßen Cabo Delgados regelmäßig in Schlammbahnen verwandelt, schließt ein militärisches Vorgehen in den kommenden Monaten ohnehin aus. "Ich fürchte", meint die südafrikanische Sicherheitsberaterin und Ex-Agentin Jasmine Opperman, "dass sich die Extremisten längst dauerhaft eingenistet haben." (Johannes Dieterich, 15.12.2020)