Der letzte Mann auf einer Arktisstation mit blindem Passagier: George Clooney und Caoilinn Springall in "The Midnight Sky".

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Für ein "Homeoffice" ist die Anlage ziemlich luxuriös ausgestattet. In der Wetterstation in der Arktis findet sich allerhand technischer Schnickschnack, die Luft ist noch einigermaßen klar und sauber, vor allem aber dürfte der Vorrat an Alkohol riesig sein. Der letzte Mann, der hier seinen Dienst versieht, ist entsprechend oft "stoned". Zur Chris-Stapleton-Countryblues-Nummer Tennessee Whiskey schleppt er sich schwerfällig die Treppen hoch. Dass er schon lange alleine lebt, sieht man an seiner Magerkeit und am wuscheligen Fundamentalistenbart.

George Clooney ist in The Midnight Sky, seiner siebten Regiearbeit, der Kapitän, der das sinkende Schiff nicht verlässt. Der Astronom Augustine Lofthouse hat in dieser Adaption eines Lily-Brooks-Dalton-Romans entdeckt, dass es für die Menschheit einen Zufluchtsort gibt: einen Mond des Jupiters, der von innen erwärmt wird. Hoffnungsfroh ist man von der sterbenden Erde aufgebrochen, aber seitdem herrscht eisiges Schweigen.

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Als Science-Fiction-Drama verlegt The Midnight Sky die Perspektive mit eher allgemein umweltpolitischer Ausrichtung nach innen. Natürlich denkt man an Solaris, Stanisław Lems mehrfach verfilmten Klassiker über die Schleifen der Erinnerung, sobald Augustine Gesellschaft von einem kleinen Mädchen (Caoilinn Springall) bekommt, das ihn mit großen Augen anschaut, aber kein Wort herausbringt. Die Tücken der Kommunikation sind ein wiederkehrendes Thema in diesem Film, nicht nur, wenn man auf Antworten aus dem All wartet.

Geteilte Einsamkeit

Iris – eine gemalte Blume verrät den Namen – ist scheinbar auf der Erde vergessen worden. Dem mürrischen Eremiten erwärmt sie bald das Herz. Clooney, der schon als Dr. Ross in Emergency Room gut mit Kindern konnte, wird von ihr mit Erbsen beschossen und nimmt das Duell sogleich an. In den immer wieder hübsch aufgelösten Pirouetten um diese geteilte Einsamkeit hat der Film einen ersten Anker. Clooney scheut nicht davor zurück, auch ein wenig leere Zeit zu inszenieren. Doch er möchte dann doch höher hinaus. Er will zwei widerstreitende Bewegungen versöhnen, indem er das Endzeitdrama mit der Space-Opera zusammenführt.

Deshalb gibt es in The Midnight Sky noch einen zweiten Handlungsstrang, ein Raumschiff, das mit fünfköpfiger Besatzung vom Jupitermond zurückkehrt, um Bericht zu erstatten. Die Mission war erfolgreich. Man ahnt schon, wie das gedacht war: Prinzip Hoffnung driftet langsam auf Prinzip Hoffnungslosigkeit zu. Die Astronautenführung ist ein Pärchen, Sully (Felicity Jones) trägt das Kind des Captains (David Oyelowo) im Bauch. Die lange Flugzeit verkürzt man sich damit, über mögliche Namen für den Nachwuchs zu spekulieren. Hyacinthe? Lieber nicht.

Im All liefert Alfonso Cuaróns immersives Weltraumspektakel Gravity, in dem Clooney bereits eine Hauptrolle innehatte, den Andockpunkt. Doch man meint, hier den Unterschied zwischen Kino und weniger ambitioniertem Formatfernsehen festmachen zu können – The Midnight Sky ist die letzte große Netflix-Prestigeproduktion dieses Jahres. Clooneys Variation ist abgespeckter, betulicher und leider auch langweiliger. Bei Cuarón ging es ums Hineinversetzenkönnen in unmögliche Zustände, hier fährt man auf Nummer sicher.

Schwerfällig im All

Der Eindruck hat weniger mit dem Enterprise-Kostümdesign zu tun, auch nicht damit, dass das Raumschiff wie vom österreichischen Medienkünstler Peter Kogler designt wirkt, mit kurvigen Röhrenstrukturen ohne erkennbare Funktion. Schwerfällig wirkt trotz Schwerelosigkeit allerdings das Dahinplätschern des Plots, der erst durch einen Meteoritensturm ein bisschen Dynamik gewinnt. Ein Unfall, bei dem die Blutstropfen sich zu einer kleinen Galaxie im Raum aufstellen, bleibt visuell ein einsamer Höhepunkt.

Unterdessen schaltet das Drama zurück auf der Erde um in einen Überlebenskampf, weil Augustine und Iris sich ein ganzes Stück durch den Schnee kämpfen müssen, um einen stärkeren Satelliten zu erreichen. Auch in dieser an The Revenant geschulten Episode versucht Clooney, Blockbuster-Bravourstückeln mit einer eher allgemeinen humanistischen Botschaft vom Zusammenhalt angesichts der Katastrophe zu vermitteln. Alexandre Desplats gefühliger Score unterstreicht es noch übers Maß.

In seinen besten Regiewerken, von Good Night, and Good Luck bis The Ides of March, hat sich Clooney für Figuren interessiert, die angesichts misslicher Umstände viel riskieren. Diese waren plastisch und präzise gezeichnet. The Midnight Sky verliert sich dagegen im Ungefähren eines universellen Menetekels vom nahen Untergang. Immerhin verspricht er keine Läuterung, es überwiegt konstruktiver Pessimismus. Wir haben viel zu tun, hoffentlich ist es nicht schon zu spät. (Dominik Kamalzadeh, 16.12.2020)