Noch im 19. Jahrhundert wurde Forschern, die in Europa von gletscherbedeckten Berggipfeln in Afrika berichteten, schlicht nicht geglaubt. Heute scheinen die Tage der drei Gletscherreste auf dem Mount Kenya, dem Ruwenzori-Gebirge im Grenzgebiet zwischen dem Kongo und Uganda und natürlich dem Kilimandscharo endgültig gezählt. "Der Flächenrückgang der Gletscher in Afrika verläuft bisher sehr linear", sagt der Klimaforscher Thomas Mölg. "Bleibt der Trend bestehen, ist etwa am Kilimandscharo ein Verschwinden in den Jahren zwischen 2040 und 2060 abzusehen."

Eine isolierte Bergspitze, die bis in die mittlere Troposphäre reicht: Der Kilimandscharo ist eine besondere Formation, die auch ihre klimatischen Eigenheiten hat.
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Mölg ist seit 2014 Professor für Klimatologie an der Universität Erlangen-Nürnberg. Der Tiroler studierte beim renommierten Glaziologen Georg Kaser an der Universität Innsbruck, wo er sich 2009 habilitierte. Die Untersuchung klimatischer Zusammenhänge in Ostafrika, aber auch in anderen Hochgebirgen weltweit – inklusive ihrer Auswirkungen auf die Gletscher vor Ort – gehört zu seinen Schwerpunkten. Die Erforschung der klimatischen Zusammenhänge rund um das Eis des Kilimandscharo begleitet den Wissenschafter beinahe schon zwei Jahrzehnte.

Diese Gletscherreste sind für ihn von besonderem Interesse, weil sie mit ihrer Lage auf 5000 bis knapp 6000 Meter Seehöhe der Forschung als eine Art Sensoren für die Vorgänge in der Troposphäre dienen. "Der Großteil des Klimawissens bezieht sich auf die bodennahe Sphäre. Dank der Gletscher kann man Rückschlüsse auf Veränderungen in hochliegenden Luftschichten ziehen", sagt Mölg. "Das macht sie zu guten Klimaindikatoren."

Dipol-Modus

Hier, keine 400 Kilometer vom Äquator entfernt, ist auch der Energieeintrag der Sonne auf der Erde einem Maximum nahe. "Aus Sicht der Forschung sind die Tropen besonders spannend, weil man sie als Motor des globalen Klimasystems betrachten kann", sagt Mölg. "Der hier entstehende Energieüberschuss breitet sich mittels verschiedener Mechanismen über den ganzen restlichen Planeten aus."

Die hochgelegenen Gletscher Ostafrikas unterscheiden sich von den tieferliegenden Pendants weiter im Norden durch eine grundlegende Eigenschaft: In den Alpen reagieren die Eismassen eher auf Temperaturen, während das Kilimandscharo-Eis sehr empfindlich auf Luftfeuchtigkeit und Niederschlag reagiert. Das bedeutet auch, dass die Gletscherschmelze am Dach Afrikas zumindest nicht direkt durch eine lokale Temperaturerhöhung im Zuge des Klimawandels hervorgerufen wird.

Es handelt sich vielmehr um einen komplexen Mechanismus, der zwar auch mit der globalen Erwärmung zusammenhängt, aber in der Klimadynamik des Indischen Ozeans seinen Ausgang nimmt. "Wir konnten zeigen, dass der Feuchtetransport aus der Meeresregion, die für das Klima Ostafrikas wesentlich mitverantwortlich ist, in seiner Menge abgenommen hat", resümiert Mölg. Ein Auslöser ist mit großer Wahrscheinlichkeit der sogenannte Dipol-Modus, der mit einer Anomalie der Meeresoberflächentemperatur zusammenhängt.

Letztlich hat diese Veränderung zur Folge, dass rund um den Kilimandscharo in bestimmten Jahreszeiten stabileres Wetter herrscht. Immer seltener schaffen es labile, feuchte Luftmassen, die sich bei entsprechender Wetterlage an den Berghängen hochschieben, die große vertikale Distanz zu überwinden. Die Gipfelregion bleibt zunehmend trocken, das Eis geht zurück.

Feuchte Bergfahrt

Die veränderte Dynamik zeigt schon seit Ende des 19. Jahrhunderts Wirkung – damals erreichte die Eisbedeckung des Kilimandscharos ein letztes Maximum. Messungen, die von US-Forschern ab 2000 und von der Universität Innsbruck ab 2006 durchgeführt wurden – auch Mölg war damals vor Ort –, bestätigten den Klimatrend.

Bleibt die Frage, wie stark das Phänomen nun mit dem menschengemachten Klimawandel zusammenhängt: "Ein Teil ist eine natürliche Schwankung. Wir konnten 2019 in einer Publikation zeigen, dass sehr wahrscheinlich auch eine substanzielle anthropogene Komponente im Spiel ist", erklärt der Klimaforscher. In einem aktuellen Projekt wollen Mölg und Kollegen der Sache auf den Grund gehen: "In etwa zwei Jahren werden wir sagen können, wie viel der Veränderung auf die Kappe der Menschen geht." Das Zusammenspiel eines natürlichen und eines anthropogenen Anteils könnte auch darauf hindeuten, dass eine weitere lineare Entwicklung, die zum Verschwinden des Kilimandscharo-Gletschers vor 2060 führt, nicht ganz sicher ist.

Die Erkenntnisse passen gut zu den Afrikastudien der US-Klimaforscher Isaac Held (Princeton) und David Neelin (University of California), die ihre These mit der Phrase "The rich get richer" zusammenfassen. Soll heißen: Dort, wo ohnehin feuchtes Klima vorherrscht, verstärkt sich dieses mit fortwährender globaler Erwärmung. Orte mit geringer Feuchte werden dagegen noch trockener. Für die semihumiden Gebiete Ostafrikas, etwa in Tansania, ist das keine gute Nachricht.

"Kleines Duell" am Himalaja

Vergleichbare großräumige Klimastrukturen beeinflussen übrigens auch die Gletscher auf dem Himalaja. Dort ist der Monsun der große Feuchtigkeitsbringer. Die Effekte an den langen Kettengebirgen Asiens unterscheiden sich aber von jenen an der freistehenden Kilimandscharo-Spitze. Mölg und Kollegen konnten vor einigen Jahren im Fachblatt "Nature Climate Change" zeigen, dass es noch einen weiteren großen Einflussgeber gibt, der sich mit den Monsunwinden ein "kleines Duell" am Himalaja liefert: die hochliegenden Luftbewegungen des Westwind-Jetstreams, der um den Globus mäandert und hier die Monsunfeuchte zum Teil blockiert.

Gemeinsam steuern die beiden Phänomene das Klima Hochasiens. Eine neuere Studie zeigt, dass der Osten dadurch tendenziell mehr Feuchtigkeit abbekommt und damit die Gletscher nährt, der Westen dagegen weniger. Immerhin werden hier die hochliegenden Eisriesen nicht so schnell verschwinden wie am Dach Afrikas. (Alois Pumhösel, 16.12.2020)