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Der Stein des Anstoßes: russische S-400-Flugabwehrraketen im Jahr 2019 bei einer Parade auf dem Roten Platz in Moskau.

Foto: Reuters / Alexander Zemlianichenko

Neues Kapitel im jahrelangen Streit zwischen den Nato-Partnern USA und Türkei: Nachdem Washington am Montagabend wegen des türkischen Ankaufs der russischen Luftabwehrraketen S-400 Sanktionen gegen Ankara verhängt hatte, kam die Antwort prompt. Der türkische Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu sprach von einem "schweren Fehler", auf den man zu gegebener Zeit reagieren werde. Gleichzeitig aber möchte man in Ankara offenbar Gelassenheit demonstrieren. Man wolle den USA Zeit geben, den Fehler zu korrigieren, hieß es.

Die Sanktionen sind das Ergebnis jahrelanger Auseinandersetzungen zwischen beiden Ländern, nachdem die Türkei 2017 in Russland modernste Flugabwehrsysteme des Typs S-400 gekauft hat. Ankara rechtfertigte sich damit, dass die Regierung des früheren US-Präsidenten Barack Obama sich geweigert hatte, ihr das US-Flugabwehrsystem Patriot zu verkaufen.

Eher milde Sanktionen

Obamas Nachfolger, der nun scheidende US-Präsident Donald Trump, hatte Sanktionen gegen die Türkei lange abgelehnt. Dass er sie jetzt, kurz vor Ende seiner Amtszeit, doch verfügt hat, hängt damit zusammen, dass er damit weit schärfere Sanktionen verhindert, die der Kongress angedroht hatte. Von zwölf möglichen Sanktionen, die ein entsprechendes US-Gesetz vorsieht, hat Trump fünf relativ geringfügige ausgewählt.

Betroffen sind die zivile türkische Rüstungsbeschaffungsagentur SSB, deren Chef Ismail Demir und drei weitere leitende Angestellte der Behörde. Demir darf nicht mehr in die USA einreisen, seine Konten dort, so er welche hat, werden eingefroren. Die SSB bekommt keine Lizenzen mehr aus den USA, die Rüstungszusammenarbeit wird also eingeschränkt.

Der Beschluss dazu kam, nachdem der türkische Präsident Tayyip Erdoğan im Oktober ersten Tests mit dem S-400-System zugestimmt hatte. Bis dahin hatte es die Türkei mit Rücksicht auf die Gespräche mit den USA erst einmal gar nicht ausgepackt. Erdoğan wollte damit erreichen, dass die US-Seite den Rauswurf der Türkei aus dem Programm für die Kampfbomber F-35 zurücknimmt – eine Maßnahme, die Ankara sehr viel mehr schmerzt als die jetzt verhängten Sanktionen.

Heikle Kombination

Die Türkei hatte bereits mehr als eine Milliarde Dollar für den Kauf von F-35-Bombern überwiesen. Doch die US-Regierung blieb hart. Das Pentagon befürchtet, dass die Radareinrichtungen der russischen S-400 den Tarnkappenbomber F-35 enttarnen könnten, wenn sowohl die russische Flugabwehr als auch der amerikanische Bomber in der Türkei im Einsatz wären. Auch die Nato hatte gewarnt, das S-400-System könne nicht in das Luft- und Raketenabwehrsystem des Bündnisses integriert werden. Außerdem hatte Israel gegen den Verkauf der F-35 an die Türkei protestiert.

Die jetzt verhängten schaumgebremsten Maßnahmen lassen allerdings einigen politischen Spielraum. Die Türkei spielt die Sanktionen auch deshalb herunter, weil sie sich diplomatisch auf den künftigen US-Präsidenten Jo Biden einstellt. Überraschend war deshalb vergangene Woche mit Murat Mercan ein neuer Botschafter für die USA ernannt worden, der als Atlantiker gilt und ein Mitarbeiter des früheren Präsidenten Abdullah Gül war.

Offenbar hofft man, dadurch Brücken in die Biden-Regierung bauen zu können. Mit demselben Ziel ist – ebenfalls vorige Woche – ein Botschafter für Israel ernannt worden, obwohl die Türkei seit Trumps Entscheidung, die US-Botschaft nach Jerusalem zu verlegen, aus Protest keinen Botschafter mehr in Israel hat.

Kritik aus Moskau

In Moskau erklärte Außenminister Sergej Lawrow, die Sanktionen gegen die Türkei wegen des Kaufs des russischen Luftabwehrsystems seien "keine Überraschung". Schließlich drohe Washington damit seit über einem Jahr.

"Das ist ein weiterer Ausdruck für das arrogante Verhältnis gegenüber dem internationalen Recht und für die illegalen, einseitigen Zwangsmaßnahmen, die die USA schon seit Jahren und Jahrzehnten nutzen, wo immer es ihnen passt", kritisierte der russische Chefdiplomat. Die USA würden dadurch international an Renommee verlieren, prognostizierte er.

Der Stein des Anstoßes: russische S-400-Flugabwehrraketen im Jahr 2019 bei einer Parade auf dem Roten Platz in Moskau. (Jürgen Gottschlich aus Istanbul, André Ballin aus Moskau, Gerald Schubert, 15.12.2020)