We möchte, kann - übrigens am Bequemsten ausgerechnet auf dem YouTube-Kanal der Europäischen Kommission - die Pressekonferenz vom 15. Dezember zur Präsentation der Vorschläge für einen Europäischen Digital Services Act (DSA) und einen Digital Markets Act (DMA) nachschauen:

European Commission

Die gute Nachricht für alle Juristinnen und Juristen, Lobbyistinnen und Lobbyisten, Studierende der Rechtswissenschaften, Plattformmitarbeiterinnen und -mitarbeiter und so weiter vorneweg: Die Vorschläge sind so umfangreich, so komplex und so weitreichend, dass daneben selbst die DSGVO verblasst. Wer in dem Feld arbeitet, wird auf Jahre zu tun haben.

Europäische Regelungssätze

Der Vorschläge sind, soweit zu sehen, sehr ernsthafte Versuche, große nicht-europäische Plattformen sehr offensiv zu regulieren. Sie umfassend zu verstehen ist nicht nur wegen ihres Umfangs herausfordernd, sondern auch deshalb, weil sie, quer zum nationalen Recht, in zahlreiche Rechtsgebiete eingreifen: vom "traditionellen" E-Commerce-Recht, zum Verbraucherschutzrecht, zum Verwaltungsrecht, zum Prozessrecht, Strafrecht, zu den Grundrechten, zum Kartell- und Wettbewerbsrecht. Das soll über das Instrument der Verordnung geschehen - also über direkt anwendbares, über dem nationalen Recht stehendes Recht. Mit einer ausgesprochen knappen Übergangsfrist - drei Monate ab Inkrafttreten beim DSA, sechs Monate in den meisten Fällen des DMA. Wer die Intensität europäischer Regulierungsdiskussionen kennt, weiß, dass es jetzt sehr, sehr hoch an der Zeit ist, sich hier einzuarbeiten und zu beteiligen.

Interessant ist, zum Beispiel, das regulatorische Sonderpaket, das sehr große Onlineplattformen ausfassen sollen. Als solche qualifiziert sich, wer innerhalb Europas auf mindestens 45 Millionen (!) Nutzerinnen und Nutzer kommt. Ist man in diesem Feld, dann greift ein Set an sehr komplexen und teuren Anforderungen (Art. 25 ff DSA).

Die Regelungsansätze sind - das überrascht wenig - sehr europäisch gedacht und versuchen, Europa als einen gemeinsamen Wirtschaftsraum ernst zu nehmen. Gleichzeitig versuchen sie, einige der tradierten Prinzipien der E-Commerce-Richtlinie - insbesondere das Herkunftslandprinzip und Grundsätze der Haftungsprivilegierung - zu erhalten und den modernen Verhältnissen anzupassen.

Die nächsten Monate werden zeigen, wie sich das Europäische Parlament und der Rat (und sonstige Stakeholder) positionieren. Zu diskutieren gibt es wahrlich genug. Die Diskussion wird schon deshalb sehr ernst genommen und mit Interesse beobachtet werden, weil die drohenden Strafen - ganz in der Tradition der DSGVO - prohibitiv hoch sein sollen: Sechs Prozent (Artikel 59 DSA) oder gar zehn Prozent (Art. 26 DMA) des Jahresumsatzes werden bei den Großen schon ein paar hundert Millionen Euro ausmachen.

Österreichische Lösung

Und da ist dann ja auch noch Österreich. Zusätzlich zu all dem, was uns Europa bringt, sorgt insbesondere das Bundesgesetz, mit dem ein Kommunikationsplattformen-Gesetz erlassen und das KommAustria-Gesetz geändert wird (mit der schönen Abkürzung KoPla-G - so wie Hoppla) für weitere Beschäftigung. Es regelt nämlich Paralleles, insbesondere zum DSA, aber halt nur im kleinen Österreich und schon dann, wenn die Plattform mehr als 100.000 inländische User hat oder mehr als 500.000 Euro Jahresumsatz in Österreich macht. Unter Hintanstellung des Herkunftslandprinzips, unter sehr ungewöhnlicher Interpretation der Haftungsprivilegierungen, aber auch wiederum mit ganz erheblichen Strafdrohungen.

Wie der Zufall so will, wurde es am 10. Dezember im Nationalrat in Dritter Lesung angenommen und steht für den 17. Dezember auf der Tagesordnung für die Plenarberatungen im Bundesrat. Eine österreichische Parallelaktion Musilscher Prägung mit einer klar profitierenden Gruppe: den österreichischen Juristinnen und Juristen, die nun auch noch die lokalen Besonderheiten mitbedenken werden dürfen und müssen (und dafür bezahlt werden). Mitsamt der Aussicht auf Dissertationen und ähnliche Qualifikationsarbeiten, die sich mit dem Verhältnis von KoPla-G, DSA und DMA auf ein paar hundert Seiten werden widmen können. Verliererinnen werden all die (europäischen) Plattformen sein, die sich eine Heerschar an Juristinnen und Juristen im Sonderfall Österreich nicht leisten werden wollen oder können.

Weitere Verhandlungen

Man kann nicht sagen, dass das nicht gewusst hätte werden können. Manche sprechen gar, mit sehr guten Argumenten, von einem "Eigentor". Darauf soll es vorläufig hier gar nicht ankommen. Stattdessen, aus europäischer Perspektive, auf Zweierlei.

Es wird nämlich, zweifellos, in den kommenden Monaten die eine oder andere Frage in den Verhandlungen zu DMA und DSA geben, in der österreichische Interessen berührt sein werden. Hier wird es nützlich sein, die österreichische Position, auch im Verhältnis zur Kommission und zu den anderen Stakeholdern, gut zu verstehen um, wenn möglich, nicht gleich zu Beginn in einen offenen Konflikt mit den europäischen Planungen zu geraten.

Jedoch, erstens: Der österreichische Gesetzesentwurf zum KoPla-G war bei der Kommission zu notifizieren. Die Kommission hat, so liest man, ebenso wie Schweden, in diesem Verfahren Bemerkungen abgegeben. Das bedeutet (wohl) Kritik - die auch niemanden überraschen kann, der die Diskussion in Europa verfolgt hat. Zwar zeigt sich die zuständige Bundesministerin Karoline Edstadler "sehr froh, dass die Europäische Kommission heute grünes Licht für unser Kommunikationsplattformen-Gesetz gegeben hat." Nur ist die Stellungnahme der Kommission leider (soweit ich sehen kann) nirgendwo veröffentlicht, sodass man nicht (unbefangen) beurteilen kann, ob und welche Inkompatibilitäten die Kommission zwischen DSA, DMA und dem österreichisch-regionalen Blumengarten sieht und ob der Frohsinn der Bundesministerin also insgesamt berechtigt ist.

Grünes Licht gab es von der EU für das neue Gesetz.
Foto: APA/ROLAND SCHLAGER

Zweitens: Im Entwurf zum DSA heißt es gleich ganz am Anfang, im Zweiten (!) Erwägungsgrund: "Member States are increasingly introducing, or are considering introducing, national laws on the matters covered by this Regulation, imposing, in particular, diligence requirements for providers of intermediary services. Those diverging national laws negatively affect the internal market". Wen mag die Kommission damit gemeint haben? Und welche Auswirkungen hat das auf Verhandlungspositionen mit der Kommission (und anderen Stakeholdern)?

Und vielleicht auch noch ein Drittes: Eine der Institutionen, die im Notifizierungsverfahren zum KoPla-G bei der Kommission eine Stellungnahme abgegeben hat, war Wikimedia. In dieser heißt es (Fettdruck im Original): "We would highly recommend for the Austrian legislator postpone its plans until after the European Commission has presented its own legislative package known as the Digital Services Act. The reasons for this are manifold:

[...] We are doing our utmost to keep up with all laws and legislations across Europe and, indeed, the world. But it is simply impossible. If we want to make space for alternative platforms to compete with gatekeepers we need clear rules across Europe. Otherwise we help entrench very large gatekeeper platforms who can simply pay for carrying the legal risk. [...]" (Nikolaus Forgó, 17.12.2020) 

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