Ildikó von Kürthy gehört zu den meistgelesenen Autorinnen im deutschsprachigen Raum. Ihre Unterhaltungsromane haben mittlerweile eine Auflage von sechs Millionen Exemplaren, seit Ende der 1990er-Jahre begeistert die gebürtige Rheinländerin ihre Fans mit Geschichten über Liebestaumel, Botoxspritzen und Verlustängsten – von "Mondscheintarif" bis "Es wird Zeit". Zu ihrem letztjährigen Bestseller hat die 52-jährige Autorin nun eine Art Tagebuch zum Mitmachen veröffentlicht. Aus Hamburg hat sich von Kürthy per Video zum Interview zugeschaltet, neben ihr liegen die Tagebücher ihrer Jugend.

Ildikó von Kürthy ist Schriftstellerin. Mit ihrem Roman "Mondscheintarif" wurde sie einem breiten Publikum bekannt.
Foto: Sonja Tobias

STANDARD: Ildikó von Kürthy, Weihnachten steht vor der Tür. Freuen Sie sich?

Von Kürthy: Absolut. Schon seit Monaten. Ich bin die Einzige, die bereits im September jubelt, wenn im Supermarkt die Weihnachtssachen aufgebaut werden. Endlich! Ich fange auch im November schon damit an, unsere Wohnung zu schmücken. Trotzdem hinkt mein Empfinden der Begeisterung hinterher, als ich ein Kind war. Je älter ich bin, umso größer wird die Kluft zwischen meinen Gefühlen von früher und denen von heute. Weihnachten hat sich etwas abgenutzt. Oder ich mich.

STANDARD: Warum feiern Sie nicht auf Gran Canaria und brechen mit der Routine?

Von Kürthy: Das finde ich ganz schrecklich, für die Feiertage in den Süden zu fliegen und am Strand zu liegen. Früher musste es für mich zu Weihnachten kalt sein und schneien. Heute reichen mir 13 Grad und Nieselregen in Hamburg. Ich überlege manchmal, Weihnachten etwas Neues zu machen, etwas, woran man sich erinnern kann, fast egal ob gut oder schlecht, entscheide mich jedoch immer für die Tradition: mit meinem Mann und unseren zwei Söhnen zu Hause feiern, meine selbstgebackenen, stets verbrannten Plätzchen essen, bloß nicht weggehen. Es gehört zum Fest dazu, dass alles verlässlich gleich abläuft.

STANDARD: Dudelt also wieder "Last Christmas" im Radio ...

Von Kürthy: ... oder die Klassiker von Frank Sinatra oder Doris Day, dann hole ich kiloweise Lichterketten aus dem Schrank.

STANDARD: Ihr Vater war Pädagogikprofessor und blind, Ihre Mutter eine Buchhändlerin. Haben sie Ihnen schöne Familienerbstücke hinterlassen?

Von Kürthy: Bei uns war die Dekoration ein Trauerspiel. Mein Vater hat es nicht gesehen, und meine Mutter hatte keinen Geschmack. Es gab einen popeligen Adventskranz von der Tankstelle, und der Weihnachtsbaum war mit Lametta zugekleistert, damit niemand sah, wie wenig Schmuck dort dranhing. Als ich das selbst in die Hand nehmen durfte, bin ich ein bisschen übers Ziel hinausgeschossen. Ein überlebensgroßer Plastik-Nikolaus nahm in der Küche überproportional viel Platz weg. Der Baum, das ist allerdings bis heute so, war vor lauter bunten Kugeln quasi unsichtbar. Ich habe in dieser Beziehung Nachholbedarf. Schon im August kaufe ich die Karten fürs Weihnachtsmärchen – und zwar für alle fünf, die in Hamburg aufgeführt werden. Das wird dieses Jahr nicht möglich sein. Einerseits wegen Corona, andererseits wegen meiner beiden Söhne, die nicht mehr mitkommen wollen. Nächstes Jahr leihe ich mir die kleinen Kinder von meiner Nachbarin.

STANDARD: Zu Ihrem Bestseller "Es wird Zeit" haben Sie gerade ein Tagebuch veröffentlicht, mit Texten von Ihnen und leeren Seiten, auf die Leser ihre eigenen Gedanken schreiben können. Welche Gedanken hatte die zehnjährige Ildikó zu Weihnachten?

Von Kürthy: Moment, ich gucke gleich in meine alten Tagebücher rein, diese in chinesische Seide eingeschlagenen Bände. Da gibt es eine Zeitrechnung: nur noch 160 Tage bis Weihnachten. Das ziehe ich da knallhart durch. Und dann kommt der Wunschzettel von 1979: Plattenspieler, Preis um die 300 D-Mark, Tragband für die Gitarre, Preis um die (umgerechnet, Anm.) 10 Euro. Gutschein für zwei Platten. Ich habe prophylaktisch aufgemalt, wie ich mich freue, wenn ich das kriege. Mal gucken, was ich tatsächlich bekommen habe. Brotbeutel, Feldflasche, buntes Briefpapier, Gießkanne, zwei Bücher, "Momo" und "Die unendliche Geschichte", und das Beste: Rollerskates.

STANDARD: Keinen Plattenspieler?

Von Kürthy: Nein, ich habe mich aber riesig über die Skates gefreut. "Papa hat gleich die teuersten und besten gekauft für 179 D-Mark, weiße mit vergoldeten Rädern. Silvi hat auch welche, gelb-blau, scheußlich."

STANDARD: Sehen Sie bei diesen Einträgen das Kind, das Sie einmal waren, vor sich?

Von Kürthy: Ja, ich kann mich an die große, monatelange Vorfreude erinnern. Wenn ich mir heute im Oktober was wünsche, kaufe ich mir das im Zweifelsfall am nächsten Tag selbst.

STANDARD: Führen Sie nach wie vor ein Tagebuch?

Von Kürthy: Ich habe damit aufgehört, als ich in den 1990er-Jahren für Texte bezahlt wurde. Ich habe verlernt, arglos und ohne Verwertungsgedanken zu schreiben. Trotzdem predige ich meinen Lesern immer wieder: Schreibt eure Gedanken auf! Weil ich oft überrascht bin, was mir einfällt, wenn ich etwas zu Papier bringe. Schreiben strukturiert mich, macht mich klüger, als ich bin. Es geht natürlich gar nicht, dass ich anderen Menschen ein Tagebuch ans Herz lege und selber keines führe. Also habe ich mir dieses hier gekauft.

STANDARD: Sie halten gerade ein türkisfarbenes Heft mit Blumenmustern in die Kamera.

Von Kürthy: Wunderschön, nicht wahr? Das habe ich seit einem Dreivierteljahr. Jetzt schlage ich es auf. Was sehen Sie?

STANDARD: Lauter leere Seiten.

Von Kürthy: Vor kurzem habe ich für meinen Podcast Doris Dörrie interviewt, die in Seminaren wertvolle Tipps fürs Schreiben gibt. Ich habe sie gefragt: "Bitte helfen Sie mir! Ich schreibe naseweis in mein Buch: ‚Beginnen Sie einfach mit dem zweiten Satz, wenn Sie Angst vor dem ersten haben.‘ Warum gelingt mir das nicht?" Sie schaut sich das Tagebuch an und sagt: "In dieses Buch würde ich auch nicht hineinschreiben, das ist viel zu schön und baut gleich eine Hemmung auf! Typisch deutsch, man will es sofort ganz richtig machen." Sie hat mir geraten, in einem Schreibwarenladen das billigste Heft zu kaufen. Das mache ich und klebe dann die vollgeschriebenen Seiten in mein schönes Tagebuch.

STANDARD: Sie haben als Kind gelernt, die Welt zu beschreiben, als Sie Ihrem blinden Vater die Umgebung erklärt haben. Hat Ihnen das für den Beruf geholfen?

Von Kürthy: Der Schritt vom Beschreiben zum Schreiben ist jedenfalls nicht mehr so groß. Und ich hatte keine anderen Begabungen, war keine Schülerin, bei der man sich fragte: Wird sie jetzt Model oder Mathematikerin? Mein Talent war Sprache. Dieser Muskel wurde trainiert, vom ersten Tag an durchs Hören geschärft. Ich bin mit Adorno und Horkheimer aufgewachsen, weil die meinem Vater von Studenten oder meiner Mutter vorgelesen wurden. Dadurch wurde ich von Anfang an berieselt mit hochwertigster Sprache.

Ildikó von Kürthy zelebriert das Weihnachtsfest, verkleidet dabei auch schon einmal sich und ihren Hund.
Foto: privat

STANDARD: Neben dem Schreiben verfügen Sie über wenige andere Talente. Gehört Schenken dazu?

Von Kürthy: Das finde ich schon. Es wird allerdings schwerer. Meinen Mann beschenke ich seit 20 Jahren mit so viel Engagement, dass da schon mal was danebengeht. Einmal habe ich mich fast stranguliert, als ich mir ein Geschenk für ihn um den Hals gebunden habe. Er musste eilig das Päckchen abschneiden und hat dabei gleich meine Kette durchtrennt. Die hatte er mir im Jahr zuvor geschenkt. Letztes Jahr habe ich an Weihnachten eine Schnitzeljagd durchs ganze Haus veranstaltet, mit Rätseln hinter jeder Tür. Am Ende kam ein Wort mit dem Geschenk heraus. Das hat eine halbe Stunde gedauert. Der Akt, sich das Geschenk zu verdienen, hat so viel Spaß gemacht, dass es fast egal war, was am Ende auf dem Gabentisch stand.

STANDARD: Goethe hat über Geschenke geschrieben: "Es muss von Herzen kommen, was auf Herzen wirken soll." Darf man nach dieser Logik einen Gutschein fürs Waxing verschenken?

Von Kürthy: Der kommt doch bestimmt von Herzen, weil man sich an glattere Beine kuscheln möchte. Außerdem hat man Geld gespart – schön mitgedacht. Ich würde allerdings die Scheidung einreichen.

STANDARD: Kann man sich ein Geschenk auch einmal sparen?

Von Kürthy: Ich verzichte nicht freiwillig auf Geschenke. Als ich meinen 50. Geburtstag gefeiert habe, wussten meine Gäste: Sie können gern was in meinem Namen spenden, aber müssen auf jeden Fall etwas mitbringen. Das ist mir wichtig. Ich will mir auch nichts mehr wünschen. Ich möchte, dass man mir meine Wünsche von den Augen abliest.

STANDARD: Oh, da riskieren Sie große Enttäuschungen.

Von Kürthy: Das tue ich auch, wenn ich genau das bekomme, um was ich gebeten habe. Aha, dem anderen ist also nichts eingefallen. Ich freue mich über alles! Kann natürlich sein, dass man eine immer größer werdende Schar an Räuchermännchen hat, weil sich der Schenkende einbildet, sie hat sich das letzte Mal so gefreut, jetzt möchte sie sammeln. Ich habe einmal einen Koch kennengelernt, der mir erzählte, dass seine Frau ihm jedes Jahr einen Abend schenkt, an dem sie kocht. Sie kann das nicht besonders gut, aber nie im Leben würde er das anmerken, weil sie sich solche Mühe gibt. Finde ich richtig. Es schickt sich nicht, Geschenke zu kritisieren.

STANDARD: Haben Sie nie Ihre Eltern gebeten: Bitte keine Kleider mehr für mich?

Von Kürthy: Warum? Man kann es doch weiterverschenken oder sehr schön in die Altkleidersammlung geben. Es gibt natürlich schlimme Geschenke. Einen Amazon-Gutschein von meinem Mann fände ich beleidigend. Er war übrigens sauer, als ich ihm vor Jahren einen Servierlöffel geschenkt habe – zusätzlich zu den tausend anderen Dingen. Ich bin ein Freund von gefüllten Gabentischen unter dem Baum, den Löffel brauchten wir – und da habe ich ihn dazugelegt. Er kam von Herzen und ist bis heute noch in Betrieb. Zum Geburtstag habe ich ihm später einmal eine Vase geschenkt, die sehr originell verpackt war. "Das ist deine Urne", habe ich gesagt, "ich finde, es wird Zeit." Fand ich wahnsinnig komisch. Er auch. Glaube ich zumindest.

STANDARD: Haben Kinder Narrenfreiheit, wenn sie etwas verschenken?

Von Kürthy: Kindergeschenke müssen nicht schön oder funktional, aber selbstgemacht sein. Lieber was ungeschickt basteln als halbherzig im Geschäft holen. Meinem Vater habe ich einmal einen Bierhumpen geschenkt, da stand der Spruch drauf: Wer immer trinken kann, ist ein Immerkönner. Mein Vater trank nie Bier, er war blind, es war ein hässlicher Humpen, aber ich wollte unbedingt was für ihn kaufen. Erst im Nachhinein habe ich festgestellt, was für ein schreckliches Geschenk ich ihm gemacht habe. Aber er hat, so wie sich das gehört, so getan, als würde er sich unbändig freuen.

STANDARD: Der amerikanische Schriftsteller David Sedaris hatte lange Zeit die Tradition, nach den Feiertagen mit seinen Geschwistern wegzufahren und drei Tage lang Drogen zu nehmen. Wie klingt bei Ihnen das Fest aus?

Von Kürthy: Ich mag die Tage nach Heiligabend nicht. Schon am ersten Weihnachtsfeiertag räume ich die Deko weg. Für mich sind die Festtage nach der Bescherung vorbei. Sollte nach Weihnachten Schnee fallen, empfinde ich das als persönlichen Angriff. Ich möchte lieber Tulpen kaufen und das neue Jahr beginnen. (Ulf Lippitz, 21.12.2020)