Weniger Umsatz trotz reger Einkäufe vor Weihnachten: Der reale Konsum bricht heuer Wirtschaftsforschern zufolge um acht Prozent ein.

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Wien – Der deutsche Handel hat erneut Sperrstunde. Geschäfte und Dienstleister müssen seit gestern, Mittwoch, bis vorerst 10. Jänner geschlossen bleiben. Ziel ist es, die Welle an Corona-Neuinfektionen zu brechen. Österreich steckt mitten im vorweihnachtlichen Einkaufsrummel. Doch die Nervosität der Händler wächst, dass die Regierung ihnen auch hierzulande wieder schärfere Restriktionen verordnet.

Die Betriebe hielten alle Sicherheitsvorkehrungen ein, wird Rainer Will nicht müde zu betonen. Der Geschäftsführer des Handelsverbands fordert von der Regierung Planungssicherheit ein. Und er warnt: Sei der Handel nach dem 24. Dezember zum Stillstand gezwungen, setze Österreich ein Zehntel des Weihnachtsumsatzes aufs Spiel, das wohl ungebremst Amazon zugutekomme.

Konsumenten lösen in dieser Zeit Gutscheine und Geldgeschenke ein. Diese verleiten ebenso zu spontanen Zusatzkäufen, wie es der Umtausch unliebsamer Geschenke tut. Es sind Schlüsseltage, in denen der ohnehin unter zahlreichen Vorerkrankungen leidende stationäre Handel aufblühen sollte. Die Folgen der Pandemie treffen ihn daher doppelt hart.

Einbruch des Konsums

Politische Maßnahmen wie Kurzarbeit ließen die Haushaltseinkommen der Österreicher heuer nur geringfügig sinken. Die Sparquote verdoppelte sich jedoch auf 15 Prozent. Der reale Konsum breche in Folge um acht Prozent ein, zieht Josef Baumgartner, Experte des Wirtschaftsforschungsinstituts, Bilanz. Die Erwartungen der Einzelhändler fürs Weihnachtsgeschäft seien im Keller.

Das Wifo erhob für November Umsatzeinbußen für die Branche in Höhe von 20 Prozent im Vergleich zum Vormonat. Der vor allem in den Wochen des Lockdowns boomende Lebensmittelhandel ist darin nicht eingerechnet. Im Dezember zeichne sich ein Minus von zehn Prozent ab. Im Gesamtjahr büßten Händler abseits der Supermärkte 4,3 Prozent des Geschäfts ein. Schwer getroffen ist vor allem der Textil- und Schuhhandel mit Verlusten von fast einem Drittel. Lebensmittelhändler legten heuer um knapp acht Prozent zu.

Jeder zweite Händler habe Existenzängste, zeigten Erhebungen des Handelsverbands. Ein Fünftel habe Mitarbeitern die Weihnachtsgehälter nicht zeitgerecht auszahlen können. Jeder Vierte sitze auf offenen Rechnungen. Und der Hälfte gelang es bisher nicht, eine Reduktion des Mietzinses zu erreichen.

Verschleppte Insolvenzen

Insolvenzkriterien wurden in der Krise außer Kraft gesetzt. Teils sehr großzügige staatliche Hilfen verhinderten Pleiten. Hinter den Kulissen mutmaßen Handelsforscher jedoch darüber, wie lange es sich Österreich noch leiste, Konkurse maroder Betriebe nach hinten zu verschieben.

Retten kann die Adventszeit die Händler nur bedingt. Ein Fünftel des Umsatzes im Dezember fließt traditionell in Geschenke. Der Anteil des Einzelhandels daran wird aber von Jahr zu Jahr geringer. Statt in rein materielle Gaben stecken die Österreicher ihr Geld lieber in Urlaube, Kultur- und Freizeitangebote.

Corona macht dies heuer zunichte. Womit die Hochsaison der Gutscheine angebrochen ist. Diese beanspruchen neben den altbewährten Klassikern Spielzeug, Süßes, Bekleidung und Bücher gut ein Drittel des Weihnachtsbudgets für sich.

Hochsaison für Marktforscher

Wie viel Konsumenten ihre Gaben unterm Christbaum tatsächlich wert sind, dazu schießen alle Jahre wieder Prognosen wie Schwammerln aus dem Boden. Sie sind in sich auf den Euro genau – variieren untereinander aber um stattliche Beträge. Die Österreicher selbst wissen oft freilich nicht einmal nach dem Fest, wie spendabel sie wirklich waren.

Wolfgang Ziniel von der KMU Forschung Austria geht für 2020 von einem Weihnachtsbudget aus, das deutlich hinten jenem des Vorjahres liegt. "Erschreckend gering" seien die Ausgaben der 15- bis 29-Jährigen, sagt er dem STANDARD. Ziniel führt dies auf die hohe Arbeitslosigkeit unter den Jungen zurück. Marktforscher Wolfgang Richter, Chef der Regiodata, beziffert die Einbußen im Weihnachtsgeschäft für klassische stationäre Händler mit 30 Prozent. Onlineabsatz ist nicht einkalkuliert.

Die Kepler-Uni in Linz wiederum erwartet heuer annähernd so hohe Weihnachtsumsätze wie 2019. Darin enthalten sind jedoch auch jene, die sich Onlineriese Amazon sichert.

Der Handelsverband ging in seinen ersten Prognosen von Einbrüchen von bis zu einem Fünftel aus. Nun revidiert er sie auf ein Zehntel. Denn seit dem Ende des Lockdowns Anfang Dezember holten die Österreicher etliche Einkäufe nach. Will setzt die Ausgaben für Geschenke pro Kopf bei 420 Euro an. Im Vorjahr seien es noch 464 Euro gewesen. In Summe gehe es dabei um 1,1 Milliarden Euro. Auch der Verlust von zehn Prozent des Geschäfts sei bitter, sagt Will. Zumal die Einbußen vieler kleiner Händler mit 30 bis 40 Prozent deutlich höher seien. "Das ist schwer verkraftbar."

Sandkörner im Weltall

15 Prozent der Konsumenten signalisierten in Umfragen jedoch, ausschließlich im Internet einzukaufen. "Der Handel hat heuer in den ersten neun Monaten stärker digitalisiert als in den vergangenen zehn Jahren. Corona wurde zur Zäsur", resümiert Will. Elf Prozent des gesamten österreichischen Handels laufen mittlerweile übers Web. Dies ist seit Jänner ein Zuwachs von 17 Prozent.

Den Großteil des Onlinekuchens holt sich Amazon. "Österreichs gut 13.500 Webshops sind wie Sandkörner im digitalen Weltall." (Verena Kainrath, 16.12.2020)