Eine Begegnung in Vienna, Georgia, im Dokumentarfilm "American Vienna".

Foto: Jasmin Al-Kattib / Richard Kromp

Wegweiser in 17 US-amerikanische Städte mit dem Namen Vienna plus in das original österreichische Wien finden sich auf einem Pfahl in Vienna, Maine. Der kleine Ort in Neuengland war der Ausgangspunkt für das dokumentarische Roadmovie American Vienna, für das die frühere STANDARD-Mitarbeiterin Jasmin Al-Kattib und Richard Kromp acht weitere Viennas im Osten der USA besuchten.

Wien-Referenzen spielen in dem seit kurzem auf Vimeo frei verfügbaren Film keine nennenswerte Rolle. Stattdessen entfaltet die impressionistisch angelegte Dokumentation ein Panorama kleinstädtischen Lebens. Bestechend schön fotografierte Aufnahmen von Fassaden, Landschaften und Autofahrten sind elegant verwoben mit Begegnungen mit den Bewohnern der meist "Waienna" ausgesprochenen Kleinstädte. In ihren Aussagen schwingt häufig Stolz über die Idylle mit. Umso eindrücklicher sind die Irritationen, die sich einstellen, wenn etwa jemand über einen durch die Chemieindustrie vergifteten Fluss und die vielen Krebserkrankungen in der Gegend erzählt oder wenn die verdrängte Geschichte der indianischen Bevölkerung durchbricht. Am Ende der Reise, in Vienna, Georgia, erzählt eine schwarze Frau vom alltäglichen Rassismus. Davor stehlen lebensfrohe Kinder in einer Kirche allen die Show.

American Vienna lässt den Menschen und Dingen Zeit, kommentiert nichts, spitzt nichts zu. In seiner humorvollen Beiläufigkeit vermittelt der Film aber weit mehr Gefühl für die derzeit oft zitierten "einfachen Menschen" als viele in TV-Reportagen grassierende Straßeninterviews. Besser als mit American Vienna lässt sich derzeit kaum reisen. (Karl Gedlicka, 16.12.2020)