Von Wien aus eroberte das Kipferl die Welt. In der Vanillekipferlwelt geht es nur um die Geschmackshoheit.

Foto: Kurt-Michael Westermann

Vanillekipferln teilen die Menschheit in zwei Hälften – und sind damit ein wenig wie Schwedenbomben. So wie es nämlich Leute geben soll, die die nackten Bomben jenen (ganz eindeutig besseren) mit Kokosstreuseln vorziehen, finden sich auch welche, die ihre Vanillekipferln lieber mit Walnüssen backen. Die andere Gruppe indessen besteht auf Haselnüssen. Befürworter von Mandeln sowie Erd-, Pekan- oder sonstigem exotischem Nusswerk gibt es freilich auch, sie werden hier allerdings übergangen. Genau übrigens wie die Verteidiger einer typisch österreichischen Lösung, die, um es allen recht zu machen, mit Nussmischungen arbeiten.

Bernie Rieder kennt das beste Rezept. Sagt er – und wir glauben's.
Live-Vanillekipferlbacken mit Bernie Rieder: Am Donnerstag, 17. Dezember ab 18 Uhr bäckt Spitzenkoch und Kochbuchautor Bernie Rieder im Livestream auf derStandard.at die vermutlich besten Vanillekipferln.

Sie können gerne auch gemeinsam mit Ihren Kindern mitbacken, Fragen stellen oder Fotos schicken. Gutes Gelingen!
Foto: Kurt-Michael Westermann, STANDARD

Österreichisch ist das Vanillekipferl sowieso durch und durch. Was ja allein schon die Endung auf -erl belegt. Denn Vanillekipfchen gibt es nicht; und Vanillehörnchen will keiner essen. Überhaupt gibt es ja kaum etwas typisch Österreichischeres als das Kipferl. Mit Ausnahme vielleicht des Beugerls, das in seiner Heimat heutzutage viel seltener anzutreffen ist, obgleich (oder gerade weil) es dem Kipferl in Form wie in Wortendung stark ähnelt.

Echte Wiener

Längst historisch widerlegt ist jedoch die Legende, dass das Kipferl eine Wiener Erfindung aus Zeiten der Türkenbelagerung des Jahres 1683 sei. Und die siegreichen Belagerten es gebacken hätten, um die Mondsichel – in gewisser Weise das Logo der Besiegten – schmähend zu verzehren. Dennoch scheint das Gebäck in Wien entstanden zu sein, wenn auch mehrere Jahrhunderte vor Eintreffen des Türkenheers.

Ausgehend vom Habsburgerreich in der Mitte Europas eroberten Kipferl wie Beugerl die Welt – wenngleich unter anderen Namen und in abgeänderten Formen. So ist etwa das urfranzösische Croissant nichts anderes als eine Weiterentwicklung des Kipferls – typisch gallisches Chichi inklusive. Wobei: Chichi war einmal. Heutzutage stammen über 90 Prozent der in Frankreich vornehmlich in dünnen Frühstücksmilchkaffee getunkten Croissants nämlich aus industrieller Produktion. Und dort arbeitet man nicht mit der von Franzosen ansonsten so hochgehaltenen Butter, sondern mit minderwertigerer Margarine. Die enthält in vielen Fällen das böse Palmöl, welches bekanntlich (und unter anderem) den Lebensraum des beliebten Orang-Utans bedroht.

Wien–Paris und retour

Nach Paris gelangte das Gebäck auch nicht im royalen Gepäck der unglücklichen Marie-Antoinette, wie eine weitere Legende besagt, sondern in jenem des weit glückvolleren Unternehmers August Zang. Der ehemalige K.-u.-k.-Offizier eröffnete im Jahr 1839 in Paris die sogenannte Boulangerie Viennoise, also die Wiener Bäckerei, in der er auch sein Kipferl anbot. Industrielle Fertigung war damals noch alles andere als verpönt, Orang-Utans noch kein Thema, Hygiene dafür sehr wohl. Weswegen jedes Einzelne von Zangs Croissants eine Banderole trug, auf der zu lesen stand, dass keine Hände dieses Produkt jemals berührt hätten.

Nach Einführung der Pressefreiheit in Österreich zog es Zang zurück nach Wien. Im Koffer hatte er diesmal die moderne Pariser Tageszeitung "La Presse", nach deren Vorbild er "Die Presse" gründete, bei der es sich damals noch um ein politisch eher links positioniertes Qualitätsblatt handelte. Womit dank Zang ein bedeutender Kulturaustausch zwischen Paris und Wien – Kipferl hin, Zeitung her – vollzogen war.

Welchen Einfluss Zang auf die Bäckerzunft in Frankreich hatte, zeigt sich daran, dass man dort bis heute von "viennoiseries" spricht, wenn man Feingebäck meint. Ja sogar ein "baguette viennoise" gibt es, das aus Mürbteig besteht und in der namensgebenden Stadt unbekannt ist. Überhaupt erlauben sich die Franzosen allerhand Freiheiten mit dem Begriff. Was aber auch damit zu tun hat, dass Viennoiserie genauso wie Chinoiserie gar keinen Anspruch auf geografisch-authentische Provenienz legt, sondern vielmehr darauf hinweist, dass das Produkt sich am Wiener Geschmack beziehungsweise am Wiener Stil orientiert. Ebenso wie die Chinavase aus dem Augarten am chinesischen.

Kipfele und "chifeletti"

Vanillekipferln gelten in Frankreich freilich nicht als Viennoiserie, sondern als Patisserie. Als solches sind sie dort auch tatsächlich vertreten, nämlich vorwiegend im einst alemannisch-deutschsprachigen Elsass, wo sie Kipfele oder aber "croissant lunaire (Mondsichel, Anm.) à la vanille" heißen und zu den Winachtsbredele zählen, wie Weihnachtsbäckereien im lokalen Dialekt genannt werden. Kipferln gibt es übrigens auch in Italien, vor allem in der nordöstlichen Region Friaul und in Triest. Jedoch sind sie dort weder Süßspeise noch Croissant, sondern eine Art Kartoffelkrokette in Beugerlform, die man "chifel" beziehungsweise "chifeletti" nennt.

Beim Beugerl ist die Sachlage übrigens weit weniger komplex – aber nicht minder interessant. Dieser nahe Verwandte des Kipferls emigrierte nämlich einst im Gepäck vieler Juden aus der Habsburgermonarchie nach Amerika. Dort nahm er sowohl eine neue Form als auch einen neuen Namen an und gelangte in der Folge als runder und hipper Bagel zurück in die Alte Welt, die er als amerikanisches Trendfood wiedererobern sollte.

Match Oma versus Tante

Doch von Ein-, Aus- und Rückwandergeschichten nun zurück zu unserem Vanillekipferl, das Haubenkoch Bernie Rieder, der jetzt für die Don Group tätig ist, für das STANDARD-Kochevent in zwei Varianten bäckt. Nämlich einmal mit Walnüssen wie seine Oma; und einmal mit Haselnüssen wie seine Tante Helga. Das Match Oma gegen Tante bringt womöglich die endgültige Entscheidung darüber, was tatsächlich ins Kipferl gehört. Viel wichtiger aber als die Frage nach den Nüssen ist sowieso jene nach dem Fett. Denn laut einer Studie des Vereins für Konsumenteninformation enthalten sechs von zehn im Handel angebotenen Vanillekipferln besagtes menschenaffengefährdendes Palmöl. Drum: Am besten selber backen, mit welchen Nüssen auch immer, in jedem Fall aber mit frischer Butter. (Georges Desrues, 16.12.2020)

Welches ist das perfekte Kipferl?
Montage/Foto: Braumüller Verlag Kurt Michael Westermann

Vanillekipferl "Oma Rieder"

180 g Mehl, glatt, gesiebt

80 g Staubzucker

140 g Butter, in kleine Würfel geschnitten, auf Zimmertemperatur erwärmt

70 g Walnüsse, gerieben

1 Pkg Vanillezucker

2 Eigelb

200 g Staubzucker

4 EL Vanillezucker

Vanillekipferl "Tante Helga"

150 Mehl, glatt

40 g Staubzucker

125 g Butter, in kleine Würfel geschnitten, auf Zimmertemperatur erwärmt

40 g Haselnüsse

1 Pkg Vanillezucker

200 g Staubzucker

4 EL Vanillezucker

1. Schritt Mehl auf eine Arbeitsfläche sieben, in der Mitte eine Mulde formen

2. Schritt Staubzucker, Butter, Walnüsse, Vanillezucker und ggf. Eigelb hineingeben

3. Schritt Teig kneten und ca. 1 Stunde rasten lassen

4. Schritt Backrohr auf 190 Grad Ober- und Unterhitze vorheizen, 170 Grad Umluft

5. Schritt Aus dem Teig dünne Rollen formen, diese mit einer Teigkarte oder einem Messer jeweils nach 5 cm abschneiden und daraus Kipferln formen

6. Schritt Auf mit Backpapier ausgelegtem Blech verteilen und 8–10 Minuten backen

7. Schritt Noch warm in Zuckermischung wälzen

8. Schritt Essen!

Hinweis: Wer während des Live-Events auch gleich Kipferln formen möchte, bereitet am besten schon einen der beiden Teige vor.