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Gedenken an die Opfer des Anschlags.

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Es war eigentlich ein unmöglicher Prozess – aber er hat immerhin stattgefunden und ist am Mittwoch mit einem Verdikt zu Ende gegangen. Ein Sondergericht in Paris hat vierzehn Angeklagte teils der Beihilfe zu einer "terroristischen Vereinigung" für schuldig befunden. Sie erhalten Haftstrafen von vier bis 30 Jahren.

Die Verurteilten hatten laut der mehrstündigen Urteilsverlesung Waffen und Autos geliefert, die bei den Anschlägen von Jänner 2015 gegen das Satiremagazin "Charlie Hebdo" (zwölf Tote) und den jüdischen Laden Hypercacher (vier Tote) zum Einsatz kamen. Die drei eigentlichen Attentäter, die Gebrüder Kouachi sowie Amédy Coulibaly, starben dabei. Ihr möglicher Auftraggeber, ein gewisser Peter Cherif, ist erst 2018 in Dschibuti gefasst worden; die Ermittlungen in seinem Fall sind nicht abgeschlossen.

Drei wichtige Mitangeklagte, darunter Coulibalys Gattin Hayat Boumeddiene, die womöglich in Syrien umgekommen ist, wurden in Abwesenheit zu 30 Jahren Haft verurteilt. Die elf anderen bestritten vor Gericht, von der Terrorabsicht gewusst zu haben. Sie stellten sich als gewöhnliche Kriminelle hin, die bei ihrer logistischen Hilfe "keine Fragen gestellt" hätten, wie einer sagte.

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Einige baten die Hinterbliebenen der ermordeten Karikaturisten und Kunden des jüdischen Ladens während der mehr als dreimonatigen Verhandlungen um Verzeihung. Der Franko-Türke Ali Rizat Polat erklärte dagegen, als er ein letztes Mal das Wort erhielt: "Ich kann nicht für etwas um Verzeihung bitten, das ich nicht begangen habe." Am Mittwochabend legte er umgehend Berufung gegen das Urteil ein. Damit wird es zu einem weiteren Prozess kommen.

Anwalt: "Die Karikaturen sind unschuldig!"

Die wegen Covid mehrfach unterbrochenen Verhandlungen trugen kaum dazu bei, die Motive der Komplizen zu erhellen. Auch sonst konnte der Prozess seine Erwartungen aus juristischer Sicht kaum erfüllen. Der Anwalt von "Charlie Hebdo", Richard Malka, erklärte unumwunden, er wolle sich zur allfälligen Schuld der Angeklagten gar nicht äußern.

Umso leidenschaftlicher rief er in seinem Schlussplädoyer aus: "Die Karikaturen sind unschuldig!" Der Wortführer der Je-suis-Charlie-Bewegung erinnerte daran, dass mehrere Mitarbeiter des Satiremagazins schon kurz nach Prozessbeginn am 2. September Morddrohungen erhalten hatten und polizeilich geschützt werden mussten. Ende September griff ein junger Pakistani die vermeintliche "Charlie"-Redaktion mit einem Messer an; im Oktober ermordete und enthauptete ein 18-jähriger Tschetschene sodann den Geschichtslehrer Samuel Paty. Er hatte die zum Prozessbeginn neu veröffentlichten Mohammed-Zeichnungen in der Schulklasse thematisiert.

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Der Anwalt von "Charlie Hebdo", Richard Malka, vor der Verkündung des Urteils.
Foto: AP/Michel Euler

Aufarbeitung in einem kochenden Umfeld

Malka verwies auf die französische Blasphemie-Tradition: Diderots Enzyklopädie habe schon 1740 dazu geführt, dass die Aufklärung "die Welt erstmals ohne Gott gesehen" habe. Daraus sei die Idee der Freiheit entstanden. An die Angeklagten gewandt meinte Malka: "Sie können uns umbringen, es würde nichts ändern. Denn 'Charlie' ist heute eine Idee geworden. Und eine Idee kann man nicht töten."

Die Anwälte der Angeklagten konterten, das Gericht habe einzig rechtlich relevante Akte zu beurteilen. Das gesellschaftspolitische Umfeld – darunter auch die antifranzösischen Proteste und Boykotte im arabischen Raum – gehöre nicht in den Gerichtssaal. Doch Frankreich wollte, ja brauchte diesen Prozess, um den Horror von Jänner 2015 endlich einmal in Worte und Bilder fassen zu können. Dass nur die Hintermänner auf der Anklagebank saßen, war fast nebensächlich. Auch so verließen noch einige Hinterbliebene den Saal, da sie die Schilderung der Szenen nicht ertrugen.

Bruchlinien durch die Gesellschaft

Was dem Prozess nicht gelang, war, einen Schlusspunkt zu setzen. Die Zäsur von 2015, die das "Charlie"-Attentat für Frankreich darstellte, ist keineswegs überwunden. Während sich französische Laizisten noch heute hinter den Slogan "Je suis Charlie" scharen, würde man in der zweiten und dritten Einwanderergeneration vergeblich Jugendliche suchen, die zu den "Charlie"-Karikaturen stehen.

Auf dem aktuellen Titelblatt liefert "Charly Hebdo" Gott ins Gefängnis ein.

Der Prozess hat diese Bruchlinien durch die französische Gesellschaft von neuem aktiviert. Und sie verlaufen, wie sich in der Prozessphase zeigte, nicht nur zwischen Anhängern und Gegnern der Karikaturen. Heillos zerstritten sind auch die "harten" und die "inklusiven" Laizisten. Dieser Graben ist fast stärker als der Rechts-links-Gegensatz: Feministinnen wie Elisabeth Badinter kämpfen in Sachen Laizismus und Karikaturen auf der gleichen Seite wie etwa die Rechtspopulistin Marine Le Pen.

Diese Differenzen, die letztlich allesamt auf das Reizwort Islam zurückgehen, sind seit September nicht etwa befriedet, sondern neu entfacht worden. Das ist umso gravierender, als eigentlich alle Seiten das gleiche Interesse und den gleichen Feind haben – den Terror. Seine Komplizen sind zwar verurteilt; seine Drahtzieher können aber nur frohlocken, dass sie ihre Gegner in der zivilisierten Welt weiter gespalten haben. (Stefan Brändle, red, 16.12.2020)