Bild nicht mehr verfügbar.

Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen bezeichnete "die nächsten Tage" als entscheidend für die Brexit-Gespräche. Haupthindernis bleibt offenbar der Fischfang.

Foto: John Thys/Pool Photo via AP

Drei Tage nach der erneuten Verlängerung der Brexit-Verhandlungen haben beide Seiten am Mittwoch vorsichtigen Optimismus verbreitet. Das Londoner Unterhaus geht nicht wie geplant am Donnerstag in die Parlamentsferien, um die Ratifizierung eines Freihandelsvertrages mit der EU noch vor Weihnachten zu gewährleisten. Diese sei notfalls binnen 24 Stunden möglich, sagte der zuständige Kabinettsminister Jacob Rees-Mogg.

Nach ihrem Telefonat mit Premierminister Boris Johnson am Sonntag hatte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen der Fortführung der Gespräche zugestimmt. Beide Seiten nannten keine Frist, obwohl sich das Zeitfenster unerbittlich schließt: An Silvester endet für das Ex-Mitglied Großbritannien auch die Übergangsfrist, in der sämtliche Pflichten und Regeln der Union auch auf der Insel weitergalten. Ohne Anschlussvereinbarung (No Deal) würden im neuen Jahr chaotische Verhältnisse im Handel zwischen dem größten Binnenmarkt und der sechstgrößten Volkswirtschaft der Welt herrschen.

"Entscheidende" nächste Tage

Während im Unterhaus der konservative Regierungschef am Mittwoch seiner Hoffnung Ausdruck verlieh, "unsere Freunde und Partner" würden Einsicht zeigen und seinem Land entgegenkommen, bezeichnete von der Leyen in Brüssel "die nächsten Tage" als entscheidend. Als Haupthindernis einer Einigung identifizierte die Politikerin den Fischfang in Gewässern der Nordsee und des Ärmelkanals, die Großbritannien für sich beansprucht. Diese Souveränität ziehe Brüssel nicht in Zweifel, wünsche sich aber "Berechenbarkeit und Stabilität" für die Fangflotten der eigenen Mitgliedsländer.

Der Sektor trägt 0,12 Prozent zur britischen Volkswirtschaft bei, setzt aber in der ex-imperialen Seefahrernation ebenso hohe Emotionen frei wie in den betroffenen Regionen der Anrainerstaaten Frankreich, Belgien und der Niederlande, die zukünftig Einbußen ebenso befürchten müssen wie Spanien und Dänemark. Das Verteidigungsministerium entzückte Brexit-Hardliner am Wochenende mit der Mitteilung, vier 80 Meter lange Hochsee-Patrouillenboote der River-Klasse stünden zum Einsatz im Ärmelkanal bereit. Dort sei die Royal Navy dazu befugt, Fischkutter befreundeter Nationen anzuhalten und notfalls zu entern, um Kabeljau, Heringe oder Jakobsmuscheln in Augenschein zu nehmen.

Erasmus-Beteiligung ungeklärt

Offenbar haben die eisern schweigenden Chefunterhändler David Frost (Großbritannien) und Michel Barnier (EU) bei zwei anderen zuletzt umstrittenen Themen Fortschritte gemacht. Dabei geht es um faire Konkurrenzbedingungen von Unternehmen, das sogenannte "level playing field", sowie das Verfahren zur Schlichtung zukünftiger Konflikte der Vertragsparteien. Übereinstimmung besteht auch bei wichtigen Feldern wie Energie und Verkehr, die entsprechenden Vertragsteile seien unterschriftsreif. Hingegen bleibt die zukünftige britische Beteiligung am Studierenden-Austauschprogramm Erasmus ungeklärt.

Auf eine bisher unterschätzte Gefahr des Brexits weisen dieser Tage die Genießer eines urbritischen Brotaufstrichs hin. Heimische Einkocher von Orangenmarmelade machten sich große Sorgen über die Versorgung mit ihrem wichtigsten Rohstoff, den vor allem aus Spanien importierten Bitterorangen, teilte ein Kenner den "Guardian"-Lesern mit. Dadurch würden Hobby-Marmeladekocher der "angenehmen Ablenkung" vom Alltag mitsamt dem Brexit-Durcheinander beraubt. (Sebastian Borger aus London, 16.12.2020)