Im Gastkommentar kritisiert Lea Susemichel, leitende Redakteurin des feministischen Magazins "an.schläge", die "Initiation" der Klum-Tochter.

"Modelmama" Heidi Klum am Set von "Germany’s Next Topmodel".
Foto: Imago Images / Jens Krick

Heidi Klum wird in der Hölle schmoren, das war natürlich vorher schon klar. Allein wegen der Gnadenlosigkeit, mit der sie in ihren militärisch geführten Modelcamps auf den zarten Seelen ganzer Generationen von Mädchen herumtrampelt. Von den verletzlichen Seelen hunderttausender Fangirls vor den Bildschirmen gar nicht zu reden. Doch Klums neue moralische Monstrosität, ihre gerade einmal 16-jährige Tochter neben sich auf dem neuen Cover der Vogue zu präsentieren, stellt das alles in den Schatten.

Mutter und Tochter auf dem Cover der deutschen "Vogue".
Foto: Vogue

Es war ein meisterhafter Mediencoup, mit dem die "Modelmama" das Mädchen in den letzten Monaten stückchenweise präsentiert hat: mit Mundschutz, das Gesicht abgewandt oder halb verborgen hinterm Handy, dabei das Dekolleté dramatisch in Szene gesetzt – buchstäblich wie ein Schmuckstück, das man unter dem langsam gelüpften Tuch hervorblitzen lässt, um es nach solchem Spannungsaufbau mit garantiertem Knalleffekt zu enthüllen.

Letzter Tabubruch

Und nein, das ist keine findige Indienstnahme medialer Spielregeln durch eine erfolgreiche Geschäftsfrau, die einzig den Karrierechancen ihrer Tochter dient. Selbstbestimmung, my ass! Es ist stattdessen der letzte Tabubruch, mit dem die kapitalistische Kunstfigur Klum nun auch noch die Haut des eigenen Kindes zu Markte trägt. Einem Kind, dem dabei wenig Spielraum bleibt. Es könnte sich in jugendlicher Rebellion kugelrund futtern und das Gesicht zupiercen lassen. Aber der kindliche Wunsch, der Mutter ein "Mini me" zu sein und ihr ganz buchstäblich zu gefallen, ist offensichtlich größer.

Sich über die narzisstische Instrumentalisierung einer Minderjährigen zu empören und zum tausendsten Mal die feministischer Klum-Kritik auszupacken ist freilich nicht sehr originell. Und angesichts des Miefs, der solchem oldschool Feminismus mit seiner Kritik an der Schönheitsindustrie anhaftet, ist es auch nicht dankbar. Schließlich haben wir uns längst zur queer-feministischen Bodypositivity weiterbewegt, die sich bestens mit Glitzerstrapsen und viel Lidschatten verträgt. Was gut ist, keine Frage! Kritik an Beautyregimen, die immer rigider und brutaler werden, muss aber trotzdem sein.

Ständige Optimierung

Denn trotz des "Trendthemas Feminismus" und obwohl bei den Geschlechterrollen zuletzt glücklicherweise einiges in Bewegung geraten ist: Was die weichgezeichneten Influencerinnen mit ihren Beauty-Tutorials auf Tiktok, Instagram und Youtube anrichten, ist verheerend wie nie zuvor. Der Druck auf Mädchen und junge Frauen, den eigenen Körper zu kontrollieren und unablässig weiter zu optimieren, wird stetig größer. "Top Model"-Spielzeug, das selbst Barbie alt aussehen lässt, und ständig neue Körperideale mit furchteinflößenden Namen wie "Thigh-Gap" und "Ab-Crack" beschäftigen inzwischen immer jüngere Mädchen, die sich immer früher Gedanken darüber machen, ob ihre Haut zu dunkel oder ihr Po zu dick ist. Sie bescheren der Beautyindustrie mit ihren hunderten Milliarden Euro Umsatz jährlich noch höhere Wachstumsraten.

Dass Mädchen und Frauen dadurch zu Objekten gemacht werden, ist eine feministische Binsenweisheit, die sich auch in Studien zur Verarbeitung von Sinneseindrücken belegen ließ. Während Männer für gewöhnlich das Privileg genießen, als Summe ihrer Einzelteile, also in ihrer Gesamtheit und als unteilbares Ganzes, betrachtet zu werden (eben einfach als Menschen), nimmt man Frauen oft genau wie Gegenstände in ihren Einzelheiten wahr (Busen, Stimme, Po). In kleinen Details und stückchenweise – wie bei der Initiation von Leni Klum beispielhaft demonstriert.

Sezierender Blick

Auch Frauen haben diesen sezierenden Blick, diesen "Male Gaze" internalisiert und betrachten einander oft auf diese Weise, mitunter leider selbst ihre Töchter.

Diese Objektifizierung ist für das Selbstbild gerade junger Menschen fatal. Es läge in gesamtgesellschaftlicher Verantwortung, entschlossen gegenzusteuern, zum Beispiel durch ein Verbot sexistischer Werbung. Derweil sind es eben die Eltern, die ihre Kinder so gut es eben geht schützen müssen. Doch auch die Mütter, und das macht die Sache so kompliziert, stehen mit ihren Körpern auf Kriegsfuß. Dieser, meiner, Generation sitzt der Wunsch, gut auszusehen, so tief in den Knochen, wir werden uns vermutlich bis zuletzt noch um das Doppelkinn bei der Aufbahrung sorgen, statt dem Leben noch ein wenig Süße abzutrotzen. Deswegen ist es so besonders schwer, unseren Töchtern diese simple Wahrheit zu vermitteln: Ihr schuldet niemandem Schönheit.

Last nehmen

Wir sollten uns um diese Vermittlung aber zumindest ehrlich bemühen, statt mit ihnen bereits im Volksschulalter übers Abnehmen zu sprechen oder beim Kinderturnen abfällig "die Plumpheit" der eigenen vierjährigen Tochter zu kommentieren (alles schon erlebt).

Der Berg an politischen Problemen, den wir unseren Kindern hinterlassen, ist gewaltig. Nicht zuletzt werden sie die Welt vor dem Klimakollaps retten müssen. Nehmen wir doch bitte zumindest die Last von ihnen, sich dabei auch noch Gedanken machen zu müssen, wie ihr Hintern in der neuen Hose aussieht. (Lea Susemichel, 17.12.2020)