Screenshot vom 2. November 2020.
Foto: Oe24.at Screenshot WebArchive

Warum veröffentlicht DER STANDARD diese Gegendarstellungen (hier und hier) der oe24.at GmbH? Sie zeigen recht anschaulich, wie nachdrücklich sich die Mediengruppe bemüht, den vor allem wirtschaftlichen Schaden der Veröffentlichung jedenfalls eines Erschießungsvideos vom Terroranschlag in Wien einzugrenzen.

Niki Fellner, ältester Sohn von Wolfgang Fellner und unter anderem Chefredakteur von oe24.at und oe24.tv, bis Juli nach eigenem Bekunden zusammen mit Richard Schmitt, hat im Falter die volle Verantwortung für die Veröffentlichung der Terrorvideos übernommen. Wolfgang Fellner war nach eigenem Bekunden am Abend des 2. November 2020 in den USA. Er sagt aber im Falter, er hätte wohl ähnlich gehandelt. Wolfgang Fellner stellt sich damit – auch innerhalb der Unternehmerfamilie – hinter seinen Sohn. Nachsatz: "Aber mit dem Wissen von heute würden wir es nicht mehr spielen."

Die Veröffentlichung hat eine Reihe von insbesondere großen Handelskunden veranlasst, am Tag nach dem Attentat einen – vorläufigen – Werbestopp zu verkünden. Die Werbeeinnahmen von diesen Kunden wie etwa XXXLutz auf oe24.at sind gewichtiger als jene im Fernsehkanal oe24.tv.

Screenshot vom 2. November 2020.
Foto: Screenshot Oe24.at am 2.11.2020 abends

Die Veröffentlichung des Überwachungsvideos, in dem der Attentäter eine Frau zunächst anschießt, dann zurückkehrt und erschießt, im Fernsehkanal bestreitet Fellner nicht. Das Video lief an dem Abend auch online auf dem Youtube-Kanal von oe24.tv.

"Gehört zum Verständnis"

Am Morgen nach der Attentatsnacht und nach dem ersten Bericht auf derStandard.at meldete sich Wolfgang Fellner (wie berichtet) beim STANDARD und verteidigte die Veröffentlichung des Videos aus einer Überwachungskamera der Israelitischen Kultusgemeinde mit Verweis auf Social Media, krone.at, bild.de und viele internationale Fernsehstationen. Fellner (wie damals zitiert): "Das ist ein Terroranschlag. Ich glaube schon, dass es zum Verständnis des Terroranschlags dazugehört, wie der Todesschütze agiert hat." Sein Medium habe "in keinem einzigen Fall eine Identität verletzt", die Videos hätten "primär den Schützen" gezeigt, "wie der um sich feuert". In einem von oe24.at gezeigten Video habe bereits ein israelischer Sender ein sonst womöglich erkennbares Opfer unkenntlich gemacht, sonst hätte dies oe24.at vor der Veröffentlichung getan. Im Gegensatz zu anderen Medien habe seines keine Werbung in der Berichterstattung zu den Anschlägen geschaltet, erklärte Fellner.

Werbestopps

Screenshot vom 2. November 2020.
Foto: Screenshot Oe24.at am 2.11.2020 abends

An diesem 3. November 2020 begannen Aktivisten auf Twitter, Werbekunden der Fellner-Gruppe anzuschreiben, sie auf die Terrorberichterstattung hinzuweisen und zum Werbestopp aufzufordern. Im Falter nennt Niki Fellner nun den Shitstorm auf Twitter und die Werbe-Debatte als "eine gesteuerte Aktion von Mitbewerbern gegen uns".

Am Abend des 3. November meldete sich Wolfgang Fellner noch einmal beim STANDARD, er verwies auf Niki Fellners Entschuldigung auf oe24.tv.

Zudem erklärte Fellner, das Video sei nicht auf oe24.at publiziert worden – dort habe man schon wegen Serverproblemen am Montagabend keine Videos hochladen können.

DER STANDARD wies Fellner in dem Gespräch auf den Livestream des Programms von oe24.tv hin, der von selbst startet, sobald man oe24.at öffnet – wenn man ihn nicht aktiv wegklickt. Die grundsätzliche Funktion des Autostart-Livestreams bestätigte Fellner in dem Gespräch. DER STANDARD schrieb daraufhin in der Möglichkeitsform: "Auf der Seite könne es alleine im Livestream von oe24.tv zu sehen gewesen sein."

Die Möglichkeit des Livestreams auf oe24.at in der Terrornacht verneint Fellner in den Gegendarstellungen, und auch auf Nachfrage des STANDARD diesen Dienstag, warum ihm die Unterscheidung zwischen seinem TV-Programm und seiner Onlineseite, auf der das TV-Programm üblicherweise ja sofort läuft, so wesentlich ist.

Screenshot vom 2. November 2020.
Foto: Screenshot Oe24.at am 2.11.2020 abends

Fellner erklärt mit technischen und nicht etwa moralischen Gründen, warum das Video nicht auf oe24.at gelaufen sei: "Der Livestream von oe24.tv ist an diesem Abend wegen Serverproblemen nicht auf der Onlineseite oe24.at gelaufen."

Und zu der Frage, warum ihm die Unterscheidung so wesentlich sei, kommt Fellner kurz nach der "journalistischen Sorgfalt insbesondere" auf das Werbethema: "Es gebietet, glaube ich, die journalistische Sorgfalt, den linearen TV-Sender nicht mit der Online-Seite zu verwechseln – insbesondere als es ja aufgrund dieses Missverständnisses auch definitiv falsche Werbe-Boykottaufrufe gegen die Online-Seite gegeben hat. Das sind unterschiedliche Redaktionen, unterschiedliche Eigentümer, unterschiedliche Medien." Die Mediengruppe Österreich besteht aus Dutzenden Firmen, als deren Eigentümer verschiedene Stiftungen, Familienmitglieder, Anwälte und Wirtschaftstreuhänder im Firmenbuch eingetragen sind.

Screenshot-Sammlung

DER STANDARD sammelt derzeit Screenshots von oe24.at vom Abend des Anschlags in Wien. Einige dieser Screenshots zeigen auf die Seite eingebettete Videos, etwa von Anrainern. Ein Screenshot zeigt den sich gerade öffnenden Livestream mit Hinweis auf "LIVE: Sondersendung". Ein anderer die Aufmacherseite mit zwei Video-Storys "Schüsse in Wien: Erstes Video vom Attentäter in Wien" sowie "Hier liegt Attentäter tot auf der Straße" sowie einem Video-Snippet "Live Oe24.TV" mit dem Titel "JETZT LIVE: Sondersendung auf Oe24.TV". Web.archive.org hat vom Terrorabend einen Screenshot abgelegt, in dem im Fenster des oe24.tv-Livestreams eine Fehlermeldung angezeigt wurde, wonach "die Videodatei nicht angespielt werden kann".

DER STANDARD bat die Nationalbibliothek um Archivmaterial von oe24.at vom Abend des Terroranschlags am 2. November aus dem Webarchiv Österreich. Die Auskunft: Am späten Nachmittag des 2. November und am nächsten Morgen kurz nach 8 Uhr hatte www.oe24.at den Code im Sourcecode, der für das Pop-up-Fenster mit dem oe24.tv-Stream vorgesehen ist. Das Fenster war sicher da. Was gesendet wurde, könne mit der gespeicherten Daten nicht gesagt werden. Wenn der Stream nicht lief, dann – wie auch Fellner sagt – "wegen Serverproblemen".

Wie funktioniert das Zusammenspiel von oe24.tv und oe24.at im Normalbetrieb vor wie nach der Terrornacht? Sobald man die Website oe24.at öffnet, öffnet sich automatisch ein Fenster mit dem Livestream von oe24.tv, den man wegklicken muss, so man ihn nicht sehen will. Gibt man im Browser "oe24.tv" ein, kommt man auf die Seite oe24.at/Video. Dorthin kommt man auch, wenn man auf oe24.at auf einen Videoartikel klickt.

Behörde beginnt Verfahren

Die Medienbehörde KommAustria eröffnete nun Verfahren gegen drei (nicht genannte) Programmveranstalter, die Bilder und Videos von Schüssen oder Flüchtenden zeigten. Laut Behörde geht es um "mögliche Verletzungen der Menschenwürde, der journalistischen Sorgfalt und von Programmgrundsätzen".

Beim Presserat langten rund 1.500 Beschwerden über Terrorberichte mehrerer Medien zum Anschlag ein, er beriet am Dienstag dazu sechseinhalb Stunden, so lange wie nie. (Harald Fidler, 17.12.2020)