Geschichtsbewusstsein und Respekt gegenüber dem Handwerk vertritt die in Paris lebende Textilkünstlerin Sheila Hicks.

Foto: Cristobal Zanartu

Es ist angenehm schummrig in den Hallen des Mak, die der großangelegten Schau Sheila Hicks – Garn, Bäume, Fluss gerade den Platz einräumen, den die Arbeiten einfordern. Muss es auch sein, sonst würden die Textilien, mit denen die 1934 geborene Amerikanerin mit Lebensmittelpunkt in Paris arbeitet, ihre strahlenden Farben verlieren. Sie verwendet alle außer Schwarz. Das gedimmte Licht, das in erster Linie dazu dient, künftige Generationen von Restauratoren vor der Verzweiflung zu bewahren, schafft aber auch eine weihnachtlich-dumpere Atmosphäre, die Hicks’ oft zur Kontemplation anregenden Werken zupasskommt.

"Zur Kontemplation anregend" ist hier übrigens kein Euphemismus für "fad", denn Hicks’ Arbeiten sind alles andere als das. Jede an sich fasziniert – von den Monumenten, die imposant, aber nie protzig wirken, bis zur Miniatur. Genauso wie der Abwechslungsreichtum in Hicks’ Gesamtwerk fasziniert. Denn gäbe es da nicht den einen roten Faden (!), der sich durch ihr Schaffen zieht, nämlich die Arbeit am Textil, würde man so unterschiedliche Werke kaum miteinander in Verbindung bringen.

Racines de la Culture, 2018
Foto: MAK/Georg Mayer

Da stapeln sich in Fischernetze gepresste Wattebäusche in warmen Tönen und bilden lässig-blad einen Berg, der den Betrachter mit seiner Flauschigkeit frotzelt – denn anfassen oder gar reinspringen ist verboten –, da wirkt erstarrtes Wurzelwerk inklusive Schattenwurf wie das bedrohliche Artefakt eines Rituals, da betont eine Wulst-Kaskade die Vertikale des Ausstellungsraums, da findet sich aber auch streng Geometrisches, das auf Gemälde macht, in kühlen Tönen.

Malen mit Garn

Die zirka 50 Werke, die in der Ausstellung zu sehen sind, sind hauptsächlich Leihgaben der Künstlerin selbst. Einige wenige wurden auch extra für die Schau angefertigt. Sie enthüllen ihre Geheimnisse, wenn man ihnen näherkommt. Erst dann entdeckt man, gerade bei den der Malerei verpflichteten Arbeiten, dass das, was oft aus der Ferne wie durchgängige Flächen wirkt, eigentlich mehrere Tiefenstufen aufweist – das Zweidimensionale entpuppt sich als Dreidimensionales. Auf Fotografien vermittelt sich die Plastizität von Hicks’ Arbeiten nicht; diese Kunst braucht das Live-Erlebnis unbedingt.

Hicks thematisiert, was eine Kunstgattung überhaupt zu einer Kunstgattung macht. Muss eine Malerei tatsächlich gemalt sein? Lässt sich ein Pinselstrich auch anders als durch einen Pinsel erwirken?

Wirkt wie Malerei, ist aber keine.
Foto: MAK/Georg Mayer

Doch scheint es ihr nicht darum zu gehen, aus theoretischem Interesse Begriffsdefinitionen auf die künstlerische Waagschale zu legen, stattdessen dürfte sie die pure Neugier, die Liebe und Lust am Material dazu antreiben, Grenzen und Gattungen gar nicht als solche wahrzunehmen.

Wissen ums Handwerk

Bei ihren Forschungsreisen, die die Künstlerin nach Nord- und Lateinamerika, in den Nahen Osten und nach Asien führten, vertiefte sie ihr Wissen um das Handwerk des Webens. Der präkolumbianischen Kultur und damit ihren ideell gesehen Altvorderen zollt sie Tribut, wenn sie ein kleines Stück aus der Mak-Sammlung, entstanden zwischen 700 und 800 in Nazca, zeigt. Mit dieser kleinen Geste mahnt sie, die Wurzeln von Kultur und Handwerk nicht zu vergessen.

Ursprünglich hatte Hicks bei Josef Albers Malerei studiert. Dessen Frau, die Textilkünstlerin Anni Albers, verstärkte in Hicks das Interesse für die Arbeit mit Stoff, Garn, Kunstfaser, Wolle. Die 86-Jährige, die auf ein produktives Schaffen zurückschauen könnte, schaut lieber in die Zukunft, wie die Kuratorin der Schau, Bärbel Vischer, erzählt.

Reinkuscheln ist leider nicht möglich.
Foto: MAK/Georg Mayer

Noch immer entstehen so ungefähr 80 Arbeiten im Jahr, schätzt sie. Darunter natürlich auch viele kleine: Einen Webrahmen, ungefähr im A4-Format, hat Hicks immer dabei. An den großen Werken arbeiten mehrere Menschen nach genauen Anweisung der Chefin.

2018 waren erst einige Werke von Hicks in der Galerie Nächst St. Stephan in Wien zu sehen, eine monografische Ausstellung dieser Größe ist aber eine Premiere im deutschsprachigen Raum – eine berechtigte und gelungene. (Amira Ben Saoud, 17.12.2020)