Gleiche Kopfbedeckung, aber unterschiedliche Herangehensweisen an den Kriminalroman: die Kabarettisten Thomas Stipsits (links) und Leo Lukas (rechts) im Sherlock-Look.

Das Corona-bedingte Auftrittsverbot lässt sich für Kabarettisten ganz gut literarisch umgehen. Von Sach- über Ratgeberbücher bis hin zu Krimis reicht das aktuelle Angebot. Thomas Stipsits und Leo Lukas haben sich Letzterem angenommen. Stipsits hat mit Uhudler-Verschwörung bereits den zweiten Krimi über sein Heimatdorf Stinatz geschrieben, Leo Lukas hat sich mit Mörderquoten in die Welt der Glücksspielmafia und Sportwetten begeben. Wollte man Vergleiche heranziehen, wäre Stipsits' Werk ein Polt-Krimi, das Buch von Lukas ein Brenner-Roman. Beide sind im Ueberreuter-Verlag erschienen.

STANDARD: Gerade erscheinen ziemlich viele Bücher von Kabarettisten. Ist das Schreiben für die Branche ein Ausweg aus der Krise?

Lukas: Für mich ist das Schreiben schon lange ein zweites Standbein, ich habe ja an die 100 Science-Fiction-Romane der Reihe Perry Rhodan geschrieben. Für den Krimi jetzt ist mir Corona entgegengekommen, weil ich weniger Termine und damit Zeit fürs Schreiben hatte. Ein Diskussionspunkt mit meiner Lektorin war, ob Corona in den Krimi einfließen soll oder nicht. Er spielt jetzt in einer fiktiven Zeit nach der Krise, man blickt auf Corona nur noch zurück.

Stipsits: Leo und ich haben ja dieselbe Lektorin. Und auch bei mir haben wir beschlossen, die Pandemie nicht aufzugreifen, weil der Büchermarkt überschwemmt werden wird mit Corona-Literatur. Es kommt bei mir nur in einem einzigen Satz ganz am Schluss vor.Das Grundgerüst für den Krimi hatte ich schon Ende 2019. Die Pandemie hat mir ermöglicht, ihn schneller herauszubringen.

STANDARD: Was ist denn schwieriger – ein Kabarett zu schreiben oder einen guten Krimi?

Lukas: Die Betonung liegt auf gut. Das ist die Schwierigkeit. Ich glaube aber tatsächlich, dass der Krimi einfacher ist, vorausgesetzt man hat einen Plan, dann bringt man nämlich jeden Tag etwas weiter. Beim Kabarett schaut man manchmal eine Woche lang dem Cursor beim Blinken zu.

Stipsits: Das stimmt. Die kurze Form des Kabaretts ist schwieriger. Man kann beim Krimi ein Konzept durchziehen wie bei einem Drehbuch. Das geht beim Kabarett kaum.

STANDARD: Sind Kabarettisten mit ihrem Sinn für schwarzen Humor geborene Krimi-Autoren?

Lukas: Ja. Man darf das aber gar nicht zu laut sagen, weil es gibt eh schon genug.

Stipsits: Kabarettisten sind gute Menschenbeobachter, das hilft. Der Krimi kann aber in alle Richtungen gehen, da muss nicht zwingend Humor drin sein.

STANDARD: Man kann Ihre Bücher dem Regionalkrimi zuordnen. Was fasziniert Sie daran?

Stipsits: Das Schöne daran ist, dass es nur vordergründig um den Mord geht. Viel wichtiger ist das Lokalkolorit, es geht um echte Menschen und keine Superhelden. Mich freut, dass Leute, die meine Romane lesen, sich identifizieren können mit den Personen und Örtlichkeiten.

Lukas: Mein Buch sehe ich gar nicht als Regionalkrimi. Es gab zwar die Überlegung, die Geschichte in meiner weststeirischen Heimat spielen zu lassen, weil Regionalkrimis so beliebt sind. Aber ich hätte es als Schmäh empfunden, weil ich nur noch selten dort bin. Hauptsächlich spielt die Handlung in Wien, wo ich lebe. Lokalkolorit gibt’s aber auch da.

STANDARD: Was auffällt: Sie verzichten beim Schreiben weitestgehend auf den Dialekt. Geht da nicht viel Schmäh verloren?

Stipsits: Es liegt daran, dass Dialekt einfach sauschwer zu lesen ist. Und wie schreibt man ihn richtig? Ich helfe mir damit, grammatikalisch nicht zu genau zu sein und verwende umgangssprachliches Hochdeutsch. Wichtig ist, dass man sich die Dialoge beim Schreiben laut vorspricht.

Lukas: Ja, dann kommt man schnell drauf, ob der Dialog authentisch ist oder zu geschrieben wirkt. Ich bringe immer das Beispiel von den alten Groschen-Bauernromanen, die meine Mutter gelesen hat. Da haben die Bauern als Wort für "Wie bitte?" immer "Han?" gesagt. Was soll das denn sein? Gemeint ist "Ha, wos?". Ich habe mir dieses "Han" aber leider so eingeprägt, dass es mir manchmal selbst rausrutscht.

STANDARD: Mörderquoten ist Ihr erster Kriminalroman. Sie haben sich dafür in die Welt der Spieler, der Wettmafia und Sportwetten begeben. Wie ist die Idee entstanden?

Lukas: Eigentlich mit dem ungewöhnlichen Detektiv. Ich bin mitten in der Nacht aufgewacht, und mir ist der Satz "Man braucht einen Dieb, um einen Dieb zu fangen" durch den Kopf gegangen. Das war dann der Ausgangspunkt für meinen Detektiv, der selbst Berufskiller ist und einen Mord aufklären muss, den er selbst hätte begehen sollen.

STANDARD: Macht es Spaß, sich in einen Auftragsmörder hineinzudenken?

Lukas: Ja, bestimmt. Wer hat denn noch nie an Mord gedacht? Zumindest so ganz, ganz spielerisch? Es ist vielleicht zu vergleichen mit der Freude am raffinierten Einbruch, am gut geplanten Verbrechen. Aber ich wäre viel zu feig, so etwas umzusetzen.

STANDARD: Der Krimi ist nicht nur unterhaltsam, er stimmt auch nachdenklich. Sie prangern das System des Glücksspiels recht detailliert an, nennen die Übeltäter, die Wettunternehmen mit ihrem kriminellen Anhang, oft beim Namen. Alles recherchiert oder auch erlebt?

Lukas: Ich spiele zwar gerne, aber nie um Geld, und hatte tatsächlich keine Kenntnis dieses Systems. Jetzt, wo ich alles recherchiert habe, mit vielen gesprochen habe, die Orte besucht habe, fällt es mir aber natürlich ständig auf. Wenn mein Zwölfjähriger mir stolz erzählt, dass er Coin-Master am Handy spielt, muss ich ihm leider sagen, dass das eine Einstiegsdroge fürs Automatenspiel ist.

STANDARD: Muss Glücksspiel stärker reglementiert werden?

Lukas: Ja, unbedingt. Es ist unglaublich, wie viele Existenzen und Familien diese Branche auf dem Gewissen hat. Von irgendwo muss der zweitreichste Unternehmer Österreichs ja auch sein Geld herhaben.

STANDARD: Herr Stipsits, Sie haben schon den zweiten Krimi über Ihre südburgendländische Heimatmetropole Stinatz geschrieben. Wie findet man dort das Verbrechen?

Stipsits: Recherchieren musste ich die Welt, in der der Krimi spielt, nicht, weil ich die eh kenne. Aber für alles rund um die polizeiliche Ermittlung musste ich mit Experten reden, das war spannend. Mich interessiert auch die Frage, ob man Verständnis für den Täter aufbringen kann. Die große politische Ebene ist bei mir aber nicht zu finden. Es geht klar um Unterhaltung. Die Leute sollen für ein paar Stunden in eine Welt des Schmunzelns entführt werden.

STANDARD: Ist in Stinatz überhaupt schon einmal etwas Schlimmes passiert?

Stipsits: Meinem Opa haben sie in den 80er-Jahren einmal die Winterreifen gefladert. Aber das war dann auch nur der Nachbarsbub. Und ich kann mich auch erinnern, dass es früher so Mythen gab, dass die Stinatzer lauter Messerstecher sind. Da hat es geheißen, jeder Stinatzer hat ein Messer im Stiefel. Obwohl die wenigsten Stiefel angehabt haben.

STANDARD: Im Roman gibt’s viele Stipsitse und Resetaritse. Sind das alles reale Charaktere?

Stipsits: Nicht alle. Aber es gibt Figuren, die ich eins zu eins übernehme, wie den Pfarrer David oder meine Oma. Die gehört noch richtig zur Kriegsgeneration, was man am Vorräte-Anlegen merkt. Sie erstickt zwar in alter Marmelade und Eingelegtem, aber es käme ihr nicht in den Sinn, irgendwas davon wegzuwerfen. Und wenn das Klopapier im Penny im Angebot ist, muss man natürlich 30 Pack kaufen. Und das sogar ohne Corona.

STANDARD: Wollen Sie etwas von dieser dörflichen Idylle bewahren, die ja durch Landflucht und Infrastrukturrückbau bedroht ist?

Stipsits: Bewahren vielleicht nicht, aber schon in Erinnerung behalten. Und ich glaube, dass es auch einen kleinen Umkehrtrend gibt, dass viele, die in die Stadt gegangen sind, auch gerne wieder zurückkehren, um zum Beispiel das Haus der Großeltern zu revitalisieren.

STANDARD: Man erfährt im Roman, nomen est omen, viel über den berüchtigten Uhudler. Sie schreiben: "Bei einer Flasche wird man glücklich, nach der zweiten blind und nach der dritten wieder glücklich." Ist das noch immer so?

Stipsits: Also man kann aus einem Škoda keinen Ferrari machen, aber ein Škoda mit Sonderausstattung ist mittlerweile drin. Es hat sich schon sehr viel verbessert. Man versucht, diesen sehr urtümlichen Wein hipper zu machen, ihn zu bobofizieren.

Lukas: Ein naher Verwandter des Uhudlers in der Steiermark ist übrigens der Schilcher. Da sagt man: Beim ersten Vierterl schmeckt er nicht, beim zweiten ist er der beste Wein der Welt, und beim dritten fliegen die Fetzen.

STANDARD: Was tut am Morgen danach mehr weh: Schilcher oder Uhudler?

Lukas: Ich will es nicht austesten.

Stipsits: Was ich weiß: Ein Schilcher-Rausch tut jedenfalls weniger weh als ein Uhudler-Likör-Rausch. Den spürt man drei Tage. (Stefan Weiss, 17.12.2020)