Vor allem die OMV profitiert in Österreich von den Anleihekäufen der Europäischen Zentralbank.

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Welche Anleihen von österreichischen Unternehmen die Europäische Zentralbank (EZB) kauft, wird in Helsinki entschieden. Denn für den hiesigen Markt ist die Suomen Pankki, also die finnische Nationalbank unter Gouverneur Olli Rehn, zuständig. Welche Anleihen österreichischer Unternehmen in den Büchern der EZB landen, entscheidet Helsinki jedoch nicht nach freiem Ermessen, sondern entlang streng definierter Regeln. Marktneutralität heißt dabei das Leitprinzip. Die Anleihenkäufe sollen demnach den Markt für Unternehmensanleihen abbilden, um keine Preise zu verzerren.

Das gewerkschaftsnahe Momentum-Institut hat sich im Rahmen einer Kurzstudie angeschaut, wie der Markt für Unternehmensanleihen in Österreich beschaffen ist. Dabei zeigt sich: Auch wenn die EZB marktneutral einkauft, geht doch das Gros der Zentralbankgelder in die fossilen Branchen. Der einfache Grund: Ein Großteil der von österreichischen Firmen begebenen Unternehmensanleihen stammt aus dem Sektor. Und von insgesamt 15 Anleihen aus der Erdölbranche in den Büchern der EZB stammen 13 von der OMV, die in Österreich damit als Hauptprofiteur des EZB-Programms gilt.

Relativ grüner Energiesektor

Mit Stand Oktober machten demnach Titel aus der Öl-, Gas- und Plastikbranche 62 Prozent der österreichischen Werte im EZB-Kaufprogramm aus. Der zweitgrößte Anteil entfiel mit zwölf Prozent auf die Telekom- und Finanzbranche. An dritter Stelle steht mit neun Prozent der Energiesektor – die entsprechenden Betriebe gelten als relativ grün, schreibt der Thinktank in dem Papier, das dem STANDARD schon vor seiner Veröffentlichung vorlag. Auch der heimische Glücksspielsektor und die Bauwirtschaft sind im Anleihenkaufprogramm vertreten.

Zwar hat die Klimapolitik nicht zuletzt mit der Gründung von Fridays for Future 2018 und mit den personellen Wechseln an der Spitze der EU-Kommission und der EZB zuletzt deutlich an Fahrt gewonnen. Im Unternehmensanleihen-Kaufprogramm der Währungshüter spiegelt sich dieser Trend jedoch nicht wider – zumindest mit Blick auf Österreich. Im Frühjahr 2019 machten Anleihen aus fossilen Industrien lediglich 42 Prozent aus – deutlich weniger als zuletzt. Energiefirmen mit einem nachhaltigen Energiemix machten damals noch 25 Prozent aus. Wenn man bedenkt, dass die EZB in dem Zeitraum auch das Volumen der Käufe aufgestockt hat, heißt das: Im Oktober 2020 war mit neun Milliarden Euro fast doppelt so viel Zentralbankgeld in fossile Anleihen aus Österreich investiert als im Frühjahr 2019.

Oliver Picek, Studienautor und Chefökonom des Momentum-Instituts, sieht darin keine Absicht der Währungshüter. "Die EZB kauft, was im Markt ist. Und im Markt sind eben Anleihen großer fossiler Konzerne überrepräsentiert." Eine grünere Geldpolitik wäre deshalb nicht unbedingt zugunsten nachhaltiger Industrien verzerrt, argumentiert Picek: "Sie würde die Zusammensetzung der Wirtschaft besser repräsentieren als bisher."

Grüner Pfad für EZB-Programm

Beim Momentum-Institut kritisiert man, dass die Währungshüter mit ihrer Politik die Klimaanstrengungen der EU ein Stück weit untergraben könnten. Dass die EZB Anleihen von fossilen Betrieben kauft, drückt die Zinsen auf deren Titel, argumentiert Picek. Die Finanzierung umweltschädlicher Industrien werde günstiger, wichtige Schritte auf dem Weg zur ökologischen Transformation der Wirtschaft könnten so hinausgezögert werden. "EZB-Gelder fließen in die fossile Vergangenheit und nicht in eine nachhaltigere Zukunft."

Da die Währungshüter sich beim Kauf von Unternehmensanleihen auf Ratingagenturen verlassen, empfiehlt der Thinktank, bei der Bonitätsprüfung von Unternehmen anzusetzen, um die europäische Geldpolitik auf grünere Pfade zu lenken. Würden Unternehmen verpflichtet, ihre CO2-Bilanzen offenzulegen, könnte man Ratingagenturen dazu anhalten, diese bei der Bonitätsprüfung auch zu berücksichtigen. Manche Anleihen aus fossilen Sektoren würden dann wohl nicht mehr die Kriterien erfüllen, um für das Kaufprogramm der EZB infrage zu kommen.

Kriterien ändern

Aber auch bei der Praxis der Zentralbank müsse man ansetzen. Etwa mit günstigeren Zinssätzen für Banken, die einen hohen Anteil an grünen Projekten finanzieren. Das könnte der Wirtschaft helfen, kohlenstoffintensiver Produktion zu entfliehen, schreibt Picek. Nachhaltigkeitskriterien müssten jedenfalls in die konkreten Kaufentscheidungen der EZB einfließen, fordert der Chefökonom des Momentum-Instituts, der anfügt: "Die EZB könnte diese Maßnahme relativ einfach umsetzen."

Kritiker dieser Forderung bringen üblicherweise zwei Argumente vor. Erstens befürchten sie, dass sich die Verantwortungsbereiche verwischen und letztlich viel über Klimapolitik geredet, aber wenig gegen den Klimawandel getan wird. Wenn auch die EZB aktiv in den Kampf gegen den Klimawandel einsteige, würden sich andere Player womöglich ein bisschen weniger anstrengen. Picek sieht diese Gefahr nicht gegeben. Erstens würde eine grünere Geldpolitik nicht bedeuten, dass diese Preise verzerrt, sondern dass sie nicht mehr überproportional viele fossile Anleihen kauft. Zweitens dürfe man ihre Möglichkeiten im Kampf gegen den Klimawandel auch nicht überschätzen.

Gewählte Politiker

Das andere Argument von Kritikern einer grünen Geldpolitik lautet, es sei Aufgabe der gewählten Politiker, die Rahmenbedingungen auf den Märkten festzulegen und die Wirtschaft in eine grünere Zukunft zu lenken. Den Notenbankern in Frankfurt am Main fehle die demokratische Legitimation, um zu entscheiden, welche Branchen gefördert werden sollen und welchen der Geldhahn abgedreht gehört. Der Momentum-Chefökonom weist darauf hin, dass im Mandat der EZB nicht nur Preisstabilität festgeschrieben ist, sondern auch die Unterstützung der europäischen Wirtschaftspolitik – insofern sei eine grünere Geldpolitik sehr wohl legitimiert.

Die erst seit rund einem Jahr amtierende EZB-Präsidentin Christine Lagarde, die eine Evaluation des EZB-Mandats angestoßen hat, interpretiert ihr Mandat wie Picek.

Teil eines größeren Programms

Das 2016 gestartete Unternehmensanleihen-Kaufprogramm CSPP (Corporate Sector Purchase Program) ist Teil des größeren Anleihenkaufprogramms APP (Asset Purchase Program), das auch den Kauf von Staatsanleihen und anderen Wertpapieren beinhaltet. Zur Größenordnung: Das Volumen des gesamten Anleihenkaufprogramms lag im Oktober bei einem Viertel der europäischen Wertschöpfung. Unternehmensanleihen machten dabei nur 2,2 Prozent des BIP der Eurozone aus, der Löwenanteil entfiel auf Staatsanleihen.

Zusätzlich wurde 2020 das Corona-Notprogramm PEPP (Pandemic Emergency Purchasing Program) gestartet, jüngst wurde sein Volumen um eine halbe Billion auf 1,85 Billionen Euro erhöht. Im Rahmen des Notprogramms hielten die Währungshüter mit Ende September Staats- und Unternehmensanleihen im Ausmaß von etwa fünf Prozent des Euro-BIP. (Aloysius Widmann, 17.12.2020)